# taz.de -- Mitbestimmung in der Pflege: Angehörige fordern Entlastung | |
> Angehörige betreuen rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen. In | |
> Schleswig-Holstein fordern sie, stärker eingebunden zu werden. | |
Bild: Rund um die Uhr im Einsatz und keinen Tag bezahlten Urlaub: Angehörigen-… | |
RENDSBURG taz | Als bei ihrem Mann erste Krankheitssymptome auftraten, hat | |
Nicole Knudsen versucht, sie „wegzulieben“. Nachdem die Diagnose feststand, | |
hat sie ihre Stelle gekündigt und sich [1][auf seine Pflege konzentriert]. | |
Auch nach dem Tod ihres Mannes bleibt Knudsen dem Thema verbunden: [2][Als | |
Landesvorsitzende des Vereins „Wir pflegen“ setzt sie sich für die Rechte | |
pflegender Angehöriger ein]. | |
Die [3][Pandemiejahre seien für pflegende Angehörige schrecklich gewesen], | |
berichtet Knudsen: „Von einem Tag auf den andere brachen alle | |
Unterstützungsangebote weg.“ Tagespflegen schlossen, Treffpunkte ebenso, | |
nicht einmal Beratungsstellen hätten noch gearbeitet, sagt die 58-Jährige, | |
die im nordfriesischen Örtchen Oldersbek lebt. | |
Sie habe sogar Verständnis dafür: „Es war für uns alle die erste Pandemie.… | |
Etwas anderes stört sie: „Während für die professionellen Pflegekräfte | |
anfangs immerhin applaudiert wurde, hat sich um die pflegenden Angehörigen | |
niemand gekümmert.“ | |
Dabei tragen sie die Hauptlast: [4][Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen], | |
darunter Alte, aber auch Erwachsene und Kinder mit Behinderungen, Sucht- | |
oder psychischen Krankheiten, würden zu Hause betreut, so Knudsen. Das | |
Gesundheits- und Sozialsystem, die Politik und die Öffentlichkeit schauten | |
aber fast nur auf die stationäre Pflege in Heimen, bemängelt die | |
Kommunikationswissenschaftlerin. „Angehörige sind in den politischen | |
Gremien und Beratungsrunden nicht vertreten.“ | |
## Pflege kostet Kraft | |
Das liege auch daran, dass die Pflegenden, die im „täglichen | |
Improvisationstheater“ feststeckten, kaum die Zeit oder Nerven für ein | |
politisches Ehrenamt haben, weiß Knudsen, die sich selbst ebenfalls erst | |
engagiert, nachdem ihr Mann – der an Parkinson und Alzheimer litt – | |
verstorben war. | |
Auf Amrum lernte sie ihren 30 Jahre älteren Partner kennen, 35 Jahre waren | |
beide verheiratet. 2014 wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert. Ein Schock | |
für den damals über 80-Jährigen und seine Frau, die als Geschäftsführerin | |
des Bundesverbandes Windenergie in Husum tätig war. Damit sie ihren Mann | |
betreuen konnte, arbeitete sie von zu Hause aus auf Projektbasis weiter. | |
Unglaublich intensiv sei die Zeit gewesen: „Man wird praktisch zu einer | |
Einheit. Und man begreift, was wirklich wichtig ist.“ | |
Dennoch kostet der Alltag mit einem Pflegebedürftigen Kraft. Der Verband | |
fordert daher, die Angehörigen mehr zu entlasten – etwa durch Tagespflege | |
nicht nur für Hochaltrige, sondern auch für Kinder und Erwachsene mit | |
Behinderungen und durch Kurzzeitpflege-Angebote, die zurzeit Mangelware | |
sind: „Zurzeit gilt für pflegende Angehörige: Bitte planen Sie Ihren | |
Beinbruch ein Jahr im Voraus“, spottet Knudsen. | |
Allein in Schleswig-Holstein beziehen rund 130.000 Menschen Pflegegeld, | |
etwa ebenso viele Angehörige, Freund*innen, Partner*innen kümmern sich | |
nach Schätzungen des Angehörigenverbandes um sie. Darunter seien auch | |
[5][Kinder und Jugendliche, die als „Young Carers“] im Haushalt helfen oder | |
Geschwister betreuen, wenn ihre Eltern wegen Krankheit ausfallen. | |
## Kleine Gruppe mit Gewicht | |
Der Landesverband „Wir pflegen“ wurde im Februar gegründet – eine bisher | |
kleine Gruppe, aber mit politischem Gewicht. Mit Birte Pauls (SPD) und | |
Christian Dirschauer (SSW) sind zwei aktive Landtagsabgeordnete und | |
Sozialausschuss-Mitglieder dabei. Flemming Meyer, ebenfalls | |
Gründungsmitglied, saß lange für den SSW im Landtag, legte sein Mandat | |
nieder, um seine kranke Frau zu pflegen: „Der weiß genau, wie die Lage | |
ist“, sagt Knudsen. | |
Sie wünscht sich für den Verein weiteren Zulauf – und in der kommenden | |
Legislaturperiode mehr Mitsprache für die Gruppe der Angehörigen. „Es soll | |
nicht über uns, sondern mit uns geredet werden“, fordert sie. | |
1 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Altenpflege/!5835526 | |
[2] https://www.wir-pflegen.net/ | |
[3] /Haeusliche-Pflege-waehrend-Corona/!5791122 | |
[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Hinterg… | |
[5] /Kranke-Familienmitglieder/!5807816 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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