| # taz.de -- Die Wahrheit: Tanz den Astaire | |
| > Ein alter weißer und steppender Mann mit viel Potential: Das Beste an | |
| > Fred Astaire selig ist, dass bei ihm sämtliche Damen freiwillig | |
| > mittanzen. | |
| Auch in diesen gar nicht lustigen Zeiten sollte man daran festhalten, der | |
| Umwelt ab und an ein paar freundliche Lektionen zu erteilen. Das beginnt | |
| bei kleinen Dingen: Eine V-Muster-förmige Klopapierblattfaltung auf einer | |
| versifften öffentlichen Toilette hier, das In-die-erste-Reihe-Zurechtrücken | |
| der letzten Speiseölflaschen im lokalen Supermarkt da. Man kann auch den | |
| unbekannten Zugsitznachbarn fragen, ob man seine Bierflaschen und -dosen | |
| müllgetrennt entsorgen darf. | |
| Die Intention dahinter muss natürlich stimmen. Wenn es „This is a way to | |
| kill a wife with kindness“ heißt, wie in Shakespeares „Der Widerspenstigen | |
| Zähmung“, zu deutsch: „So mordet man mit Milde seine Frau“, dann sind die | |
| zu erteilenden Lektionen nur indirekt zur Gute-Laune-Steigerung gedacht. | |
| Shakespeare präsentierte vielmehr Anwendungshinweise für einen misogynen | |
| Incel aus dem 16. Jahrhundert, der sich seine „sture“ Frau untertan machen | |
| möchte. Kratzbürstige Frauen kann man demnach besonders gut Mores lehren, | |
| und sie geben ergiebigeren Komödienstoff ab als sanfte. | |
| Selbst 350 Jahre nach Shakespeare inszenierten Regisseure wie Ernst | |
| Lubitsch (1920) und Axel von Ambesser (1962) noch Spielfilme darüber: In | |
| „Kohlhiesels Töchter“, der Bauernschwank-Version des Shakespeare-Stoffs, | |
| ist eine Frau so kratzbürstig, dass sie zunächst nicht verheiratet werden | |
| kann. Sie muss „gezähmt“ werden – selbstverständlich durch das Lernen | |
| einiger Lektionen: sich anständig zu kleiden und ihren Mann zu bedienen zum | |
| Beispiel. Am Ende findet „Susi“ (Lilo Pulver im Ambesser-Film) trotz ihres | |
| wilden Undone-Dutts als Töpfchen ihr Deckelchen. Und alle haben gute Laune. | |
| ## Fred-Astaire-Phase, die dritte | |
| Auch ohne erteilte Lektionen sind alte Unterhaltungsfilme oft ein Garant | |
| für Laune. Momentan durchlebe ich darum gerade meine dritte | |
| Fred-Astaire-Phase. Die erste in den achtziger Jahren brachte ein paar | |
| Steppkurse, bei denen ich zwar einige der Schritte lernte, leider aber | |
| nicht die dazugehörige Eleganz und das Tempo. Es klingt immer so, als ob | |
| ein sehr alter Mann mit Krückstock versucht, langsam über die Straße zu | |
| gehen, und sieht auch so aus, nur ohne Stock. | |
| Darum konzentrierten sich die beiden nächsten Phasen auf intensiven | |
| Filmkonsum. Und weil der Tänzer, Sänger und Pianist Astaire vor allem auf | |
| die Unbeschwertheit seiner Filme Wert legte, kann man sich drauf verlassen, | |
| mit 90 Minuten Astaire 90 Minuten Eskapismus zu erleben. Egal, wo er sich | |
| befindet, auf einem Militärschiff oder in einem Hotelzimmer; egal, was drum | |
| herum passiert, Zweiter Weltkrieg, Depression, Inflation – Fred Astaires | |
| Frisur sitzt, er tanzt wie ein Gott und singt dazu „Pick yourself up“. | |
| Das Beste ist, dass bei ihm sämtliche Damen freiwillig mittanzen – in | |
| seinen Filmen werden keine Widerspenstigen gezähmt. Bevor ich mit ihm | |
| tanzen würde, müsste ich allerdings trotzdem jede Menge Lektionen in einem | |
| Tanzstudio nehmen. Das täte ich sogar freiwillig. | |
| 4 Apr 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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