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# taz.de -- Poker um Pipelines aus Nordafrika: Madrid biedert sich Rabat an
> Spaniens Regierung vollzieht eine Kehrtwende im Westsahara-Konflikt und
> unterstützt jetzt Marokkos Linie. Algerien ist wütend.
Bild: Entladung von algerischem Flüssiggas in der Türkei am 31. Januar 2022
Madrid taz | Im Konflikt um die seit 1975 von Marokko besetzte und
annektierte spanische Ex-Kolonie Westsahara hat die Regierung in Madrid
eine 180-Grad-Wende vollzogen. In einem Brief an Marokkos König Mohammed
VI. schreibt Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez:
„Spanien betrachtet die von Marokko 2007 präsentierte Autonomieinitiative
als die seriöseste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage zur Lösung
des Streits.“
Das von Rabat am Freitag der Presse zugänglich gemachte Dokument bedeutet
eine Abkehr von der bisherigen spanischen Doktrin, wonach der
Westsahara-Konflikt im Rahmen der UNO gelöst werden muss. Die UNO strebt
seit 1991, als ein Waffenstillstand zwischen der Unabhängigkeitsbewegung
Polisario und Marokko in Kraft trat, eine Volksabstimmung über den
Landstrich im Nordwesten Afrikas gegenüber den Kanarischen Inseln an. Diese
scheiterte bisher immer an der Frage, wer abstimmungsberechtigt ist.
Seit November 2020, als die Polisario den Waffenstillstand aufkündigte,
kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen entlang des über
2.000 Kilometer langen, von Marokko errichteten Sandwalls.
Er trennt die marokkanisch kontrollierten Gebiete, die 70 Prozent der
Fläche der Westsahara ausmachen, von den „befreiten Zonen“ der Polisario im
Landesinneren an den Grenzen zu Algerien und Mauretanien.
## „Neue Etappe der Beziehungen mit Marokko“
Nach der marokkanischen Veröffentlichung des Briefes aus Madrid bestätigte
Spaniens Regierung eine „neue Etappe in den Beziehungen mit Marokko auf der
Grundlage gegenseitigen Respekts“. Sánchez wird in den nächsten Tagen nach
Rabat reisen.
Spanien schließt sich damit der Linie an, die 2020 der damalige
US-Präsident Donald Trump vorgegeben hatte: Er erkannte Marokkos Hoheit
über die Westsahara an. Rabat nahm dafür vollständige Beziehungen zu Israel
auf.
Der aktuelle US-Präsident Joe Biden hält, trotz scharfer Proteste der UNO,
an dieser Linie fest. Für die UNO ist die Westsahara ein „nicht
entkolonialisiertes Gebiet“ und Madrid völkerrechtlich weiter der koloniale
Verwalter.
„Die Position der spanischen Regierung steht im völligen Widerspruch zur
internationalen Legitimität“, heißt es in einem Kommuniqué der Polisario.
Die Westsahara-Befreiungsbewegung unterhält in den sahrauischen
Flüchtlingscamps in Algerien eine Exilregierung samt Armee.
## Algerien zieht Botschafter zurück
Über 170.000 Flüchtlinge leben nach Polisario-Angaben seit den 1970er
Jahren in diesen Lagern, während in der Westsahara mehrheitlich nach 1975
angesiedelte Marokkaner leben.
Algerien reagierte als Schutzmacht der Polisario umgehend und scharf und
zog seinen Botschafter in Madrid zu Beratungen ab. Diplomatische Quellen in
Algier sprechen gegenüber der spanischen Presse vom „zweiten großen Verrat
Spaniens an den Sahrauis“. Der erste sei gewesen, als Madrid die Kolonie
1975 an Marokko und Mauretanien übergab, der zweite jetzt mit dem Brief von
Sánchez.
Die spanische Regierung behauptet, die Regierung in Algier sei im Vorfeld
vom Inhalt des Schreibens informiert gewesen. Die bestreitet dies.
Madrid pokert hoch. Algerien ist der Hauptlieferant von Erdgas nach
Spanien. Eine Lieferbeschränkung könnte im gegenwärtigen Konflikt mit
Russland als dem anderen großen Gaslieferanten Europas schwere Folgen
haben.
## Spanien gefährdet seine Erdgasversorgung aus Algerien
Dank des Westsaharakonflikts funktioniert seit Herbst nur noch die
Pipeline, welche die algerische Wüste direkt über das Mittelmeer mit
Spanien verbindet. Eine zweite, die durch Marokko verläuft, wurde von
Algerien nach Angriffen marokkanischer Drohnen in der sahrauischen Wüste,
bei denen algerische Lkw-Fahrer ums Leben gekommen sein sollen,
stillgelegt.
Ungerührt von den algerischen Protesten erklärt der spanische Außenminister
José Manuel Albares: „Heute beginnen wir eine neue Phase unserer
Beziehungen mit Marokko und beenden eine Krise mit einem strategischen
Partner.“
Gemeint ist die Krise vom vergangenen Jahr, als Madrid dem Polisario-Führer
Brahim Ghali erlaubte, aus Algerien nach Spanien einzureisen, um sich gegen
Covid-19 behandeln zu lassen.
Seither erlaubt Marokko immer wieder Massenanstürme afrikanischer Migranten
auf die Grenzen, die Spaniens nordafrikanische Exklaven Ceuta und Melilla
von Marokko trennen.
20 Mar 2022
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Spanien
Pedro Sánchez
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