| # taz.de -- Roman über Liebe in Nordkorea: Das Fremde mit der Seele suchend | |
| > Autor Andreas Stichmann erzählt in seinem Roman über „Eine Liebe in | |
| > Pjöngjang“. Dabei wirft er die Verhältnisse zwischen nah und fern | |
| > durcheinander. | |
| Bild: Die deutsche Bibliothek in Pjöngjang im Goethe Institut kurz nach der Er… | |
| Der Titel des Buchs, „Eine Liebe in Pjöngjang“, enthält eine Plattheit und | |
| ein Versprechen. Einfach noch eine Liebesgeschichte braucht kein Mensch. | |
| Aber es steht da wirklich Pjöngjang, und Nordkorea ist das Land, in dem die | |
| zentrale Begegnung, die hier Liebe genannt wird, sich tatsächlich abspielt. | |
| Es geht hinein in das sehr fremde, lange fast komplett abgeriegelte, | |
| totalitär regierte Land. Und die Geschichte endet auch dort, weil eine der | |
| beiden, die sich hier lieben, die, man sollte vorsichtiger sagen und bliebe | |
| in der etwas pathetischen Formulierung auch näher an der Sprache des Buchs: | |
| die hier die Möglichkeit einer Liebe erfahren, am Ende in Nordkorea bleiben | |
| wird, in ihrer Heimat. | |
| Die andere heißt Claudia Aebischer, sie ist Deutsche – Ostdeutsche –, eine | |
| renommierte Intellektuelle, fünfzig Jahre alt, groß, kurze Haare, Vorliebe | |
| für Hosenanzüge, aktuell ohne Partnerin. Sie ist hier, um eine deutsche | |
| Bibliothek in Pjöngjang zu eröffnen, eine Gruppe junger Leute um sich, die | |
| ihr fremd bleiben, die bald auch wieder verschwinden, früher, als es | |
| vereinbart worden war. | |
| Nun ist sie allein im Land. Noch dazu ist sie dabei, die Verbindung zu | |
| ihrer eigenen Vergangenheit zu kappen. Sie will ein neues Leben beginnen, | |
| vielleicht den Roman schreiben, von dem sie immer geträumt hat. Wir | |
| erfahren das alles, sonst weiß von ihren Plänen noch keiner. Wir können es | |
| wissen, denn die Erzählinstanz ist nahe an der Figur, auch an ihren | |
| Gedanken. | |
| Zweimal nimmt Claudia Aebischer eine jüngere Frau wahr, Nordkoreanerin, von | |
| der sich zeigen wird, dass sie ihr als Übersetzerin, Betreuerin, | |
| Aufpasserin, auch Verführerin (in politischer Absicht) zur Seite gestellt | |
| wurde. Ihr Name ist Sunmi, sie ist mit einem viel älteren einbeinigen | |
| Germanisten namens Wi (zwangs)verheiratet. | |
| Claudia Aebischer ist von Anfang an fasziniert von Sunmi, ahnt, dass hinter | |
| der kühlen Fassade etwas pocht, wenn nicht lodert. Und kaum beginnt man zu | |
| fürchten, dass Andreas Stichmann hier das Fremde noch fremder, die | |
| nordkoreanische Frau zum exotischen Gegenstand einer westlichen | |
| Erotikprojektion machen könnte, bringt er die Verhältnisse zwischen nah und | |
| fern, fremd und vertraut komplett durcheinander. | |
| Nicht nur kommt er Sunmi mit der Erzählinstanz so nah wie der Deutschen, | |
| ohne doch den Eindruck zu geben, es ließe sich die eine wie die andere | |
| völlig oder auch nur einfach verstehen. Sunmi, erfährt man, hat eine | |
| Doktorarbeit über die deutsche Romantik geschrieben, im rauschhaften | |
| Schreiben an dieser Arbeit ist Sunmi, das Deutsche mit der Seele suchend, | |
| sich selbst fremd geworden und dadurch umso näher gekommen. | |
| ## Doppelt kompliziert | |
| Hier also die ihrer Vergangenheit entfremdete Deutsche, da die | |
| Nordkoreanerin, die im Klischee der Fremden nicht aufgeht. In dieser | |
| verdoppelten Komplizierung eröffnet sich für die beiden Frauen ein intimer | |
| Raum, in dem alles möglich scheint. Es ist, und das macht den Roman zu | |
| einem wirklich spannenden Buch, in erster Linie ein sprachlicher Raum. | |
| Sunmi spricht ein sehr eigenes, von der Romantik geprägtes, formales, | |
| altertümliches, lyrisches Deutsch: Gegenstand der Faszination für Claudia | |
| Aebischer. Und nicht nur für sie: Auch Stichmann selbst hat offenkundig | |
| große Freude an dieser Lyrisierung der Normalsprache, zu der durchaus auch | |
| die Konfrontation mit denglischem Neudeutsch gehört – zumal auch der | |
| Erzählinstanz selbst, also der Sprache, die nicht einfach einer der Figuren | |
| zugeschrieben werden kann, gewisse Eigenheiten alles andere als fremd sind. | |
| So ist dieser Roman, in dem das Unterdrückungsregime Nordkoreas immer | |
| präsent bleibt, anders politisch: Als Meditation über die Frage über das | |
| Eigene und das Fremde, die ihrerseits Eigentümlichkeiten nicht nur zulässt, | |
| sondern ausdrücklich sucht. Gerade in diesem Raum des Eigentümlichen, das | |
| aber keinem Kollektiv restlos als Identität zuschreibbar wäre, nicht der | |
| Nationalität und nicht der sexuellen Identität, gerade in diesem Raum | |
| scheint die Option einer Utopie auf. | |
| Im Roman selbst wird es ausdrücklich formuliert: „Im Anderen das Fremde | |
| gelten lassen, als das Unverständliche.“ Wie alle Resümees oder Thesen | |
| klingt das farblos, selbst schon nah am Klischee. Stichmann aber gelingt | |
| es, mit seinem lustvoll perspektivwechselnden Text diese These in ein | |
| Vexierbild zu überführen. Wohin das am Ende führt, ist gar nicht der Punkt. | |
| Der an Beobachtungen und Schönheiten reiche Weg ist das Ziel. | |
| 17 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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