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# taz.de -- Urteil gegen Gangsta-Rapper erwartet: Der doppelte Gzuz
> Im Prozess gegen den Hamburger Gangsta-Rapper Gzuz entscheidet die
> Balance zwischen Kunstfigur und Person übers Strafmaß – und seine
> Glaubwürdigkeit.
Bild: Gangsta-Rapper Gzuz oder braver Familienvater Klauß? Das ist vor Gericht…
Hamburg taz | Die neue Sittlichkeit trägt Polohemd und akkurat frisiertes
Haar. Pünktlich ist der Mann auch. Rasch tauscht er noch den OP-Mundschutz
gegen die FFP2-Maske – Vorschrift des Hauses. Der Kopf ist gesenkt, die
Stirn glänzt. Er wischt sich den Schweiß weg, so als stünde er das erste
Mal vor Gericht. Dabei ist es sein Berufungsverfahren vor dem Hamburger
Landgericht, in dem diese Woche das Urteil erwartet wird. Sein bürgerlicher
Name: Kristoffer Jonas Klauß. Sein Künstlername: Gzuz.
Er ist einer der bekanntesten deutschen Gangsta-Rapper, allein auf
Instagram folgen ihm zweieinhalb Millionen Menschen. Nur die Anklageschrift
ist länger als sein Vorstrafenregister. Gzuz ist Teil der „187
Straßenbande“, einer Hip-Hop-Crew aus Hamburg. Ihre Texte handeln von
Partys, Drogen, Sex, Gewalt – und Kriminalität.
Im Gerichtssaal trennt eine riesengroße Plexiglaswand das Publikum vom
Geschehen. Überall dunkles Eichenmobiliar, an der Seite lange grüne
Samtvorhänge. Das rechte Fenster ist offen, es ist kalt. Das ursprüngliche
Urteil lautete: 18 Monate Gefängnis und 510.000 Euro Strafe. Vorgeworfen
wurden ihm vorsätzliche Körperverletzung, versuchter Diebstahl, Verstöße
gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz sowie gegen das
Betäubungsmittelgesetz.
Von Diebstahl ist inzwischen nicht mehr die Rede – ein erster Teilerfolg
für Klauß.
## Kunst und Künstlichkeit
Dieser Prozess hat eine interessante kulturelle Dimension. Das zeigt sich
gleich zu Beginn, am ersten Verhandlungstag, als Klauß von seinen Anwälten
ein Statement verlesen lässt. Es verdeutlicht ihre Strategie und sticht
mitten in das Herz einer hitzigen Hip-Hop-Debatte. Der Richter habe [1][im
ersten Prozess] die Kunstfigur Gzuz mit der Person Kristoffer Klauß
verwechselt. „Ich weiß, die Balance gelingt mir selber auch nicht immer.“
Er sei aber nicht derselbe wie seine Kunstfigur. „Die Kunst ist, es nicht
künstlich aussehen zu lassen.“
Wo aber verläuft die Grenze zwischen Person und Fiktion? Sein Verhalten
während des ersten Prozesses 2020 schien für viele die Antwort zu liefern
und machte landesweit Schlagzeilen: Mal kam der Angeklagte einfach nicht
ins Gericht, mal war er besoffen, viel zu spät, flog aus dem Saal oder
legte sich mit dem Richter an. An vielem ließ der Rapper seine Follower
online unmittelbar teilhaben. Wovon er als Gzuz profitierte, das schadete
ihm als Klauß vor Gericht.
Dieses Mal aber macht der 33-Jährige Aussagen und ist teilweise geständig.
Er entschuldigt sich bei einigen Zeugen und Opfern für sein Verhalten. Er
spricht darüber, wie „belastend“ das Urteil für ihn gewesen sei. „Ich h…
viel getrunken, [2][viel Blödsinn gemacht]. Aber es läuft alles besser seit
der letzten Verhandlung. Meine Freundin hat das auch gesagt.“
Wenn er nicht Gzuz ist, dann wohnt Klauß mit seiner Verlobten namens Lisa
in einer kleinen Gemeinde im Kreis Pinneberg, nördlich von Hamburg. In
dieser Gemeinde gibt es mehr Baumschulen als Bars. Zusammen haben die
beiden ein Eigenheim und zwei Töchter. Das bürgerliche Familienidyll im
Grünen – darüber verliert der Rapper öffentlich fast kein Wort. Mit
Sicherheit, um seine Privatsphäre zu schützen. Mit Sicherheit auch, um sein
Image zu wahren.
Wer die Kunstfigur Gzuz verstehen will, muss die wichtigste Quelle kennen:
seine Musik. Erst Mitte Januar hat er ein neues Album veröffentlicht – vier
Tage vor Prozessbeginn. „Große Freiheit“ heißt es und bezieht sich dabei
auch auf das drohende Ende dieser Freiheit: Knast.
Der potenzielle Gefängnisaufenthalt wird direkt auf dem Cover vermarktet.
Es zeigt den bekannten Eingang der Hamburger Kult-Kneipe „Zur Ritze“.
Schwarze Wände, darauf leuchten zwei nackte, gespreizte Beine mit roten
High Heels. Darüber hängt ein weißes Schild, auf dem „Große Freiheit“ s…
– aber die Buchstaben sind durchgestrichen. In der Mitte des Covers: Eine
geschlossene Gefängniszellentür. Nur Gzuz’ Hände ragen noch durch eine
kleine Luke.
## Auf Koks durch St. Pauli
Die Themen auf diesem Album sind nicht neu. Im verballerten Koks-Modus
rauscht Gzuz durch Partys, Gewalt, Exzess, Sex und St. Pauli. Das Ganze zu
meist brachialen Beats und einer düsteren Soundästhetik. Sein Modus:
Selbstgefälligkeit und Selbstzerstörung. Und das genussvoll. Dabei klingt
er so, als rolle er in einem verqualmten Panzer direkt über die Ohren
seines Publikums. Seine Stimmgewalt ist unbestreitbar. Aber inhaltlich
wirkt Gzuz uninspiriert, ja gar satt. Das Album erzählt keine Geschichte,
alle Songs wirken in der Reihenfolge zufällig platziert, nichts baut
aufeinander auf. Seine dunkel-anziehende Energie mag manche faszinieren.
Sie ist aber vor allem eines: sehr erwartbar.
Am meisten gefeiert wird Gzuz für seine Authentizität. Die Rapperin
Loredana sagt über ihn: „Es gibt keinen Menschen, der authentischer ist als
er. Der ist richtig Gangster. Und er ist wirklich so.“ Gzuz bestätigt das.
„Das ist die Wahrheit“, lacht er. „Das ist ein Vorteil und ein Nachteil.
Dafür gibt’s halt viel Knast.“
Die angebliche Authentizität ist der Schlüssel, wenn man die Kunstfigur
Gzuz verstehen will. Im HipHop-Kosmos ist die „Realness“ ein essenzieller
Wert, der häufig diskutiert wird. Insbesondere für Gangsta-Rapper ist es
wichtig, dass ihr Publikum das Gangster-Image konstant für glaubwürdig
hält. Wer sich als Gangster stilisiert, aber keiner ist, wird meist als
„Fake“ abgetan. Authentizität ist aber nicht nur ein ästhetisches Ziel,
sondern auch ein kommerzielles. Um das besser zu verstehen, muss man ein
wichtiges Konzept kennen: die „Street Credibility“.
„Street Credibility“ ist eine Art Ansehen, das sich manche Menschen
erarbeiten können. Man muss „die Straße“’ kennen und glaubhaft verkörp…
„Die Straße“ meint sozioökonomisch benachteiligte und gefährliche Gegend…
mitsamt deren Umgangs- und [3][Ausdrucksformen]. Man muss „hart sein“ und
die eigene Macht demonstrieren. Sehr wichtig für die „Street Credibility“
ist auch die Herkunft.
Bevor Klauß zu Gzuz wurde, ist er auf St. Pauli aufgewachsen. Er hat früh
mit Drogen experimentiert, viele Straftaten begangen und saß auch schon im
Gefängnis. All das ist Gold für sein Gangster-Image, denn mehr kriminelles
Verhalten verleiht ihm auch mehr „Street Credibility“. Reale Straftaten
wirken dabei wie textexterne Beweise für die Wahrhaftigkeit seiner
Kunstfigur. Das heißt: Je näher Kunstfigur und reale Person zusammenrücken,
desto glaubhafter empfindet ihn sein Publikum – was für Kristoffer Klauß
sehr lukrativ ist.
Die absichtlich verschwimmende Grenze zwischen Person und Fiktion – das ist
sein Erfolgsrezept. Aber vor Gericht geht es nun genau um das Gegenteil:
Die Trennung von Person und Kunstfigur möglichst glaubhaft zu verkörpern.
Aber ohne dass es seinen Fans sauer aufstößt und damit seine Marke
beschädigt. Von der Glaubwürdigkeit der Trennung von Klauß und Gzuz hängt
vor Gericht viel ab: seine Sozialprognose und das Strafmaß. Ob seine
Strategie aufgeht? Das wird das Urteil zeigen.
3 Mar 2022
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## AUTOREN
Viorica Engelhardt
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