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# taz.de -- Evolution der Antibiotika-Resistenzen: Stachelige Infektionsträger
> Im Klinikalltag sind antibiotikaresistente Bakterien gefürchtet. Studien
> zeigen nun, dass auch Igel die gefährlichen Keime verbreiten.
Bild: Igel sind häufig mit Methicillin-resistenten Bakterien infiziert
Wo kommen sie her und wie kommen sie zu uns, die gefährlichen Bakterien in
Krankenhäusern? Vor genau 60 Jahren veröffentlichten Wissenschaftler erste
Arbeiten aus In-vitro-Studien über [1][antibiotikaresistente Bakterien] und
warnten vor dem Auftreten von klinisch bedeutsamen Stämmen. Noch im selben
Jahr tauchten in Guildfort in Südengland die ersten klinisch relevanten
Fälle von MRSA auf, dem wohl bekanntesten antibiotikaresistenten
Krankenhauskeim.
In den letzten Jahren bekam er viel Aufmerksamkeit in den Medien. Genauer
handelt es sich dabei um Methicillin-resistente Bakterien der
Staphylococcus-aureus-Stämme; oft umgangssprachlich als [2][Multiresistente
Staphylococcus aureus ] bezeichnet, da sie meist auch gegen weitere
Antibiotika immun sind. Das Antibiotikum Methicillin gehört zu der Gruppe
der Penicilline.
Verantwortlich für die Methicillin-Resistenz sind vor allem die zwei
Resistenzgene mecA und mecC. Die resistenten Bakterien breiteten sich von
England über Europa und weitere Teile der Erde aus. Dabei wird davon
ausgegangen, dass Nutztiere wie Kühe fleißig an der Verbreitung beteiligt
sind, denn diese werden häufig mit Antibiotika behandelt. So lautet die
gängige Theorie. Eine kürzlich [3][in Nature veröffentlichte Studie]
erzählt jedoch eine andere Geschichte des Keimes.
Ein Forschungsteam um Jesper Larsen vom staatlichen Seruminstitut in
Kopenhagen folgte der Spur des mecC-Restistenzgens in Igeln. Dort kommt es
häufig vor, ohne dass diese Tiere viel Kontakt zu Antibiotika hätten.
Larsen und sein Team untersuchten Igel auf mecC-MRSA in zehn europäischen
Ländern sowie Neuseeland und kamen zu der Erkenntnis, die gefürchteten
resistenten Bakterien seien vor allem in Mittel- und Nordeuropa verbreitet.
Tatsächlich waren sogar häufiger Igel als Rinder von der Infektion
betroffen.
## Früher standen vor allem Kühe in Verdacht
Ein Widerspruch zu der herkömmlichen Verbreitungstheorie. Statt der Kühe
sind es wohl vielmehr die stacheligen Wald- und Gartenbewohner, die die
primären Träger dieser resistenten Bakterien sind. Fast noch erstaunlicher
erscheint die Tatsache, dass es MRSA-Keime schon seit 200 Jahren gibt.
So war es nicht das Zeitalter der Antibiotika, das Alexander Fleming ins
Leben rief, welches für die Entstehung resistenter Bakterien sorgte. Es war
Trichphyton erinaceid, ein Schimmelpilz, der häufig die Haut von Igeln
bewohnt und zwei Penicilline produziert.
Die Forscher gehen davon aus, dass sich MRSA zwischen den Igelstacheln
entwickelte und sich durch direkten Kontakt auf Nutztiere und Menschen
verbreitete. Dennoch, die Schuld für die heutige Macht der MRSA-Bakterien
ist nicht bei den Igeln zu suchen. [4][Der weite Gebrauch von Antibiotika]
ermöglichte weitere Resistenzausbildungen und Weiterentwicklungen der
bereits vorhandenen MRSA-Linien.
Mark Holmes, Mitautor der Studie aus Cambridge, fasst zusammen: „Wildtiere,
Nutztiere und Menschen sind alle miteinander verbunden – wir teilen ein
Ökosystem. Man kann daher die Evolution der Antibiotika-Resistenzen nicht
verstehen, ohne das gesamte System zu betrachten.“
So ging die Studie ein wenig auf die globale Verbreitung der resistenten
Bakterien ein. Die Forscher bemerkten Ausbreitungsereignisse über große
Entfernungen hinweg zwischen britischen und dänischen Inseln und dem
europäischen Festland. Die Verbindung zu isoliert lebenden Igelpopulationen
ist gegenwärtig schlecht untersucht, doch vermuten die Forscher einen
Zusammenhang mit Überseebewegungen von Menschen und Nutztieren. Weiter
verweisen sie auf frühere Studien, nach denen Zugvögel wie Störche an der
Verbreitung beteiligt sind.
Mit lokaler statt globaler Ausbreitung beschäftigte sich ein Forschungsteam
der Berliner Charité und der Friedrich-Schiller-Universität Jena in einer
Studie [5][(BioMedCentral).] Dabei war für die Wissenschaftler vor allem
von Interesse, wer genau denn ein Stationszimmer in einem Klinikneubau
besiedelt. Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und
Umweltmedizin an der Charité, nutzte die Gunst der Stunde, als das
Haupthaus der Charité komplett entkernt und neu gemacht wurde, um die
Ökologie der Bakterien genauer zu betrachten. Wie verändert sich das
Mikrobiom, wenn die Patienten kommen?
Hortense Slevogt, Leiterin der Arbeitsgruppe Septomics in Jena, die mit der
Charité zusammen an der Studie arbeitete, erklärte, in den ersten Wochen
seien vermehrt Bakterien zu beobachten gewesen, die auf Pflanzen und
Baustoffen wie Holz siedeln. Das änderte sich aber mit Einzug der Patienten
bald.
Untersucht wurden die Zimmer an drei Stellen: an der Türklinke, dem
Waschbecken und dem Fußboden. Es mag zunächst verwundern, dass der Boden
als Testfläche gewählt wurde, doch Slevogt verdeutlicht: „Der Boden ist in
einem Raum eine der wichtigsten Flächen, weil dank der Schwerkraft alles
auf den Boden fällt.“ Während an der Türklinke nur das von uns
zurückbleibt, was an unseren Händen haftet, landet auf dem Boden alles, was
sich von uns löst; Hautabschilferungen, kleine Tröpfchen, Haare.
Insgesamt veränderte sich die Zusammensetzung der Bakterien, von denen der
größte Teil aber unbedenklich für den Menschen war. Es gab Überlappungen
mit den Arten, die bei den Patienten gefunden wurden. „Dabei kriegte – wir
fanden das sehr spannend – jeder Ort seine ganz spezifische Kolonisierung“,
berichtet Slevogt, „und das, obwohl alle Flächen einmal am Tag gereinigt
und desinfiziert wurden.“
## Freie DNA auf dem Fußboden
Das allein erscheint faszinierend, denn es zeigt, wie widerstandsfähig
Bakterien sein können. Doch das Forschungsteam stieß auf noch etwas
Ungewöhnliches. Zwar blieb die Zahl der pathogenen Keime über die Zeit
konstant und zahlenmäßig unbedenklich, doch nahm die Zahl der
Resistenzgensequenzen auf dem Boden erstaunlich zu. Diese Gensequenzen
sorgen dafür, dass Bakterien gegen Antibiotika resistent werden. Dabei
stachen besonders zwei Gene hervor, darunter mecA, das Hauptresistenzgen
von MRSA-Bakterien.
Warum sich die Resistenzgene ausgerechnet auf dem Fußboden sammeln, können
die Wissenschaftler noch nicht genau sagen. „Möglicherweise ist der
Fußboden ein Reservoir für diese Resistenzgendeterminanten“, meint Slevogt.
Bakterien können freie DNA aus ihrer Umgebung durch ihre Zellwand hindurch
aufnehmen und sich so genetisch austauschen.
Der Austausch erfolgt meist über Plasmide, freie, vom Erbgut unabhängige
zirkuläre DNA in Bakterien. Entsprechend können sich die Resistenzgene in
dem breiten Spektrum der Bakterien auf dem Fußboden gut verteilen. Dieser
Gentransfer kann sogar von einem toten Bakterium auf ein lebendes erfolgen.
Fallen beispielsweise mit Resistenzgenen ausgestattete
Staphylococcus-aureus-Bakterien auf den Boden, können sie die Resistenz an
andere dort lebende Bakterien weitergeben.
Wie in dieser Studie wurdem auch schon in anderen die Abnahme der
Diversität der Bakterien sowie die Zunahme von Resistenzgendeterminanten
nach häufiger Desinfektion beobachtet.
„Vielleicht ist es effektiver, stattdessen verschiedene, für den Menschen
unschädliche Bakterien einzubringen, die die problematischen Bakterien
verdrängen, und damit ein neues stabiles Ökosystem zu schaffen“, überlegt
Slevogt. Ob und wie gut dieser völlig neue Ansatz des Entfernens pathogener
Keime durch Infizierung mit Probiotika funktioniert, muss aber noch weiter
untersucht werden. „Es ist eine wissenschaftliche Hypothese, die es gilt in
Studien zu zeigen“, wie Slevogt betont. Und bis dahin muss uns das
klassische Desinfizieren noch genügen.
5 Mar 2022
## LINKS
[1] /Studie-zu-multiresistenten-Keimen/!5545255
[2] /Multiresistente-Keime--ein-FAQ/!5481080
[3] https://www.nature.com/articles/s41586-021-04265-w
[4] /Antiobiotikaresistente-Keime/!5020683
[5] https://microbiomejournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40168-021-011…
## AUTOREN
Charlotte Fuchs
## TAGS
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