# taz.de -- Putins Atomwaffen-Drohung: Spiel mit der Angst | |
> Es wächst die Sorge vor einem Atomkrieg. Bisher aber handelt Putin noch | |
> rational. Angst darf nicht dazu führen, dass wir seine Gewalt tolerieren. | |
Bild: Russische Militärübung als Propaganda in einem Video vom 19. Februar | |
Ist es egoistisch, in diesen Tagen über die eigene Angst zu schreiben? | |
Müssten wir nicht einfach nur Mitleid fühlen mit den Menschen in der | |
Ukraine, die von den erbarmungslosen Angriffen der russischen Armee | |
unmittelbar betroffen und von ihnen bedroht sind? | |
Wer auch nur einen Funken Mitgefühl für menschliches Leid empfindet, kann | |
nicht wegschauen bei den Bildern aus einem Krieg, in dem Wladimir Putin | |
ganz offensichtlich [1][ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung schießen, | |
bomben, töten lässt]. Die Vorstellung, wie Familien in U-Bahn-Schächten | |
sitzen und nur noch hoffen, die nächste Nacht zu überleben, kann niemanden | |
kaltlassen. | |
Die Gewalt und die Bedrohung der gesamten Ukraine ist so akut schrecklich, | |
dass dahinter alles andere irrelevant wirkt, auch die eigene Sorge vor den | |
möglichen weiteren Folgen dieses Krieges. Einfach nur zuzuschauen, ist | |
keine Option, wenn wir künftig nicht in einer Welt leben wollen, in der | |
[2][sich die Barbarei ungebremst durchsetzt]. Nur was hilft jetzt wirklich | |
weiter, außer erster Hilfe für Geflüchtete, außer den Appellen, | |
Solidaritätsbekundungen und Sanktionen? | |
Das alles ist wahrscheinlich richtig und das Mindeste, was der Rest der | |
Welt jetzt tun muss. Aber – und das ist so niederschmetternd: All das | |
scheint ja nichts auszurichten, der Krieg geht weiter. Das macht ratlos. | |
## Hilfsreflex wird stärker werden | |
Hat es also Sinn, die eigene Angst vor Putin und [3][seinem Atomarsenal, | |
mit dem er offen droht], zu verdrängen und dem immer dringenderen Impuls zu | |
folgen, den Ukrainer:innen direkt zu helfen, koste es, was es wolle? | |
Also auch militärisch? Bisher scheint das niemand ernsthaft zu erwägen, | |
aber je brutaler Putin in der Ukraine zuschlägt, desto stärker wird dieser | |
Hilfsreflex werden. | |
Und dann sind wir wieder bei der Angst. Genauer gesagt, bei der [4][Angst | |
vor einem Atomkrieg]. Denn, seien wir ehrlich: Diese Angst ist da. Sie wird | |
nicht immer offen ausgesprochen, aber sie schwingt bei vielen Gesprächen am | |
Küchentisch genauso mit wie bei zunehmend panischen Posts in den sozialen | |
Netzen, in denen der Hashtag #Atomkrieg trendet. | |
## Wie bedingungslos folgen die Militärs? | |
Und diese Angst ist nicht nur privat, sie ist auch politisch. Denn wenn es | |
darauf ankommt, hält sie auch die Nato davon ab, Putin militärisch | |
aufzuhalten. Also müssen wir uns der Frage stellen: Ist diese Angst | |
berechtigt? Darauf gibt es leider keine klare Antwort, weil bekanntlich | |
niemand weiß, was in Putins Kopf vorgeht und wie bedingungslos ihm seine | |
Militärs im Extremfall folgen würden. | |
Zunächst die schlechte Nachricht: Die Gefahr ist durchaus real. So falsch | |
die Vergleiche des bisherigen Vorgehen Putins mit dem Wahnsinn Hitlers | |
sind, weil sie den Holocaust verharmlosen, so lässt sich leider nicht | |
bestreiten: Putins heutiges militärisches Zerstörungspotenzial ist ungleich | |
höher. | |
## Putin kann nicht allein den Knopf drücken | |
Nun die halbwegs gute Nachricht: Nein, Putin kann nicht einfach in einem | |
Wutanfall allein und ohne Rücksprache auf den roten Knopf drücken. Dagegen | |
gibt es Sicherungen. Dazu braucht auch Putin mehrere Menschen, die Codes | |
eingeben müssten. Außerdem handelt er bisher, bei aller Grausamkeit, noch | |
rational. Wäre er komplett verrückt und selbstmörderisch, hätte er die | |
Ukraine oder auch andere Länder schon zerstören können. Aber die Angst | |
deshalb komplett beiseite zu schieben und alles zu riskieren, würde auch | |
der Ukraine langfristig nicht helfen. Denn in einem totalen Krieg würde | |
auch sie erst recht untergehen. | |
Bisher spielt Putin nur mit unserer Angst. Sie soll uns lähmen. Das dürfen | |
wir nicht zulassen. Sie darf nicht dazu führen, dass wir seine Gewalt | |
tolerieren. Wir müssen den Ukrainer:innen helfen, so weit es nach | |
menschlichem Ermessen noch kalkulierbar ist. Nicht weniger, aber auch nicht | |
mehr. | |
3 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lukas Wallraff | |
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