# taz.de -- Solidarität mit der Ukraine: Kurz mal schweigen und zuhören | |
> Viele Menschen fragen sich gerade, was sie als wenig Informierte beim | |
> Ukraine-Krieg tun können. Zum Beispiel: die eigenen Belange ruhen lassen. | |
Bild: Eine Ukrainerin hört in einer rumänischen Unterkunft für Geflüchtete … | |
Viele Menschen fragen sich in diesen turbulenten Tagen und Nächten, was sie | |
tun können, um [1][dem Angriffskrieg von Wladimir Putin] etwas | |
entgegenzusetzen. Vor allem für jene, die weder eine inhaltliche noch eine | |
persönliche Beziehung zu Russland oder der Ukraine pflegen, ist diese Frage | |
kompliziert: Man spricht die Sprachen nicht, kennt keine Betroffene | |
persönlich, muss sich über grundsätzliche Fakten mühsam informieren, sich | |
wie in der Schule Basiswissen erarbeiten. | |
Ich kenne diesen Blick von der anderen Seite zu gut, wenn es zum Beispiel | |
[2][über die Revolutionen und Konflikte in Nordafrika] und im Nahen Osten | |
geht und die meisten Europäer*innen verwundert oder desinteressiert aus | |
der Wäsche gucken. Nun ist es so, dass ich mich in der Ukraine nicht | |
auskenne, dennoch schnell nachvollziehen konnte, warum die Aggression des | |
Kreml-Regimes zu verurteilen ist. Ich habe den Eindruck, dass nicht nur ich | |
mich frage: Was kann ich unter diesen Umständen zur Diskussion beitragen? | |
Die Palette der drängenden Themen unserer Zeit aus den verschiedensten | |
Perspektiven ist lang: [3][#MeToo], die Gewalt in Kurdistan, der Kampf | |
gegen [4][den deutschen Rechtsextremismus], die Klimakrise, Queer- und | |
Transfeindlichkeit, der andauernde Israel-Palästina-Konflikt, Antirassismus | |
und Polizeikritik, der Krieg in Syrien [5][oder im Jemen], Hartz IV, die | |
chinesische [6][Staatsgewalt in der Provinz Xinjiang], das Sterben auf dem | |
Mittelmeer … Genau: diese Liste ist schmerzvoll und endlos. Sie überfordert | |
einige Menschen. Es ist okay, dies zuzugeben. Viele entscheiden sich – | |
absolut nachvollziehbar – beruflich, aktivistisch oder einfach aus privatem | |
Interesse oder einer Betroffenenperspektive, sich auf eines dieser Themen | |
zu fokussieren. | |
## Die eigene Sache mal pausieren lassen | |
Hier nun mein diskursiver Vorschlag: Es ist in einigen historischen | |
Momenten angebracht, die eigene Sache, die eigene Expertise zu einem | |
bestimmten Thema pausieren zu lassen und somit den Raum für etwas | |
Drängendes freizumachen: in diesen Tagen eben für den Krieg in der Ukraine, | |
die gefährdeten Menschen in Lwiw, Kyjiw oder Charkiw, die pazifistischen | |
Demonstrant*innen in Sankt Petersburg, Moskau oder Nowosibirsk, ALLE | |
Flüchtenden an den östlichen Außengrenzen der Europäischen Union. | |
Zurückhaltung bedeutet nicht, dass keine Kritik geäußert werden kann: Über | |
das Märchen, dass die Bundeswehr in den vergangenen Jahren „kaputt gespart“ | |
wurde bei einer der höchsten Militärausgaben weltweit, müssen wir als | |
Gesellschaft zum Beispiel sprechen. Aber in dieser Woche zumindest kann ich | |
sagen: It’s not the time, nor the place für viele andere Themen, obwohl sie | |
legitim sind und wir darüber streiten müssen. Auszuhalten, dass es nicht | |
andauernd um die eigenen Belange geht: Solidarität kann aber auch darin | |
bestehen, im Zweifelsfall kurz (!) mal zu schweigen, sich zurückzunehmen, | |
zuzuhören. | |
3 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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