| # taz.de -- Belarus bei den Olympischen Spielen: Das kaputte Team | |
| > Athleten aus Belarus waren beim Freesyle-Skiing stets erfolgreich. Doch | |
| > in Peking brechen sie ein. Das liegt auch am politischen Druck aus Minsk. | |
| Bild: Ein Frage der Haltung: Hanna Huskowa aus Belarus im olympischen Snowpark | |
| Peking taz | Wenn spät am Abend oben im Snowpark über Zhangjiakou die | |
| Artisten auf Skiern ihre Saltos und Schrauben in den schwarzen Himmel | |
| drehen, dann ist der Berg von unzähligen Flutlichtscheinwerfern so hell | |
| erleuchtet, dass es auch weit unten im Tal noch zu sehen ist. Das Licht | |
| soll die Trickskifahrer zum Strahlen bringen, die sich von den Schanzen in | |
| die Lüfte katapultieren lassen. | |
| In Belarus schaut man meist ganz genau hin, wenn bei Olympia Medaillen | |
| vergeben werden an den Kickern, wie die Schanzen genannt werden, denn | |
| Athleten aus Belarus haben seit den Spielen 1998 in Nagano immer mindesten | |
| eine Medaille für ihr Land gewonnen. Vor vier Jahren hat [1][Hanna Huskowa] | |
| in Pyeongchang Gold geholt. Diesmal ist nicht so viel zu erwarten von den | |
| Artistinnen aus Belarus. Wer nach den Gründen dafür forscht, landet schnell | |
| beim Wahlbetrug des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko im | |
| Sommer 2020 und den Protesten dagegen. | |
| Schon kurz nach den Wahlen hatten Sportler und Trainer einen offenen Brief | |
| unterzeichnet, mit dem zu Neuwahlen und einem Ende der Gewalt gegen | |
| friedliche Demonstranten im Land aufgerufen wurde. Ende August 2020, drei | |
| Wochen nach der Abstimmung, hatten mehr als 250 Sportler und Trainer den | |
| Brief unterschrieben. Schnell waren es mehr als 2.000 Unterzeichner. Einer | |
| von ihnen war Nikolai Kozeko. Der Coach des Freestyle-Teams gilt als Vater | |
| all der Erfolge in der Vergangenheit. Nachdem er den Brief unterschrieben | |
| hatte, durfte er die besten Freestyler seines Landes nicht mehr betreuen. | |
| Offiziell wurde er zum Juniorencoach gemacht. | |
| ## Kotau wird Dissident | |
| „Doch nach allem, was wir wissen, durfte er seit seiner Versetzung keine | |
| Sportler mehr trainieren.“ Das sagt Anatol Kotau. Der war einst | |
| Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees von Belarus, dessen | |
| Präsident bis vor Kurzem Staatschef Alexander Lukaschenko war. Nach dem | |
| Wahlbetrug wandte sich der einst treue Staatsdiener vom System ab. Seitdem | |
| arbeitet er von Polen aus für die [2][Belarussische Solidaritätsstiftung | |
| für den Sport]. Die versuchte Unterstützung, auch Geld für all diejenigen | |
| Sportler zu organisieren, die in Konflikt mit dem Staat geraten sind. | |
| Derer gibt es viele. Im Oktober des vergangenen Jahres machte die | |
| Verhaftung von Alexandra Romanowskaja Schlagzeilen. Die wurde 2019 in Park | |
| City Weltmeisterin. Sie hat die Goldmedaille, die sie da gewonnen hat, | |
| zugunsten der Solidaritätsstiftung für knapp 1.000 Dollar verkauft. Da war | |
| sie schon aus dem Kader geworfen worden, weil auch sie den offenen Brief | |
| der Sportlerinnen unterzeichnet hatte. Doch sie trainierte weiter. Mit | |
| ihrer Verhaftung, so Kotau, wollte man Druck auf sie ausüben. Weil sie | |
| verletzt ist, hätte sie in Peking aber eh nicht starten können. Kotau: „So | |
| musste sich das Nationale Olympische Komitee nichts einfallen lassen, um | |
| sie von den Spielen auszusperren.“ | |
| Bei anderen Athleten war der offizielle Sport des Landes in dieser Hinsicht | |
| alles andere als zimperlich. Langläuferin Darja Dalidowitsch, die mit ihrem | |
| Vater zusammen gegen die Wahlfälschungen protestiert hatte, musste im | |
| Januar feststellen, dass sie an keinen Rennen unter der Ägide des | |
| Internationalen Skiverbands Fis mehr teilnehmen konnte. Ihr Verband hatte | |
| ihre Registrierung bei der Fis gelöscht. Das bedeutete auch das | |
| Olympia-Aus. Sie hat sich beschwert. Doch eine Entscheidung wird die Fis | |
| erst nach den Spielen treffen. Am vergangenen Mittwoch nun hat sich ihr | |
| Vater Sergej, ein siebenfacher Olympiateilnehmer im Langlauf, mit einer | |
| Videobotschaft aus Polen gemeldet. Seine Tochter und er sind geflohen. | |
| „Das ist es, wovor das System am meisten Angst hat“, sagt Kotau. Deshalb | |
| stünden die Sportler in Peking unter besonderer Beobachtung. Sie dürfen nur | |
| mit Medienvertretern sprechen, die über den eigenen Verband akkreditiert | |
| worden sind. Selbst wer es nur mit einem Smalltalk versucht, wird gemieden. | |
| „Das ist so, wie man sich das vielleicht in Nordkorea vorstellt“, sagt | |
| Kotau und erinnert an den Fall der Sprinterin Kristina Timanowskaja, die | |
| bei den Sommerspielen von Tokio zum Staatsfeind erklärt wurde, weil sie | |
| eine Trainerentscheidung öffentlich kritisiert hatte. | |
| Die Solidaritätsstiftung, erzählt Kotau, stehe in Kontakt mit ihr. Es gehe | |
| ihr gut in Polen, wo sie nun lebt. Sie trainiere und möchte für Polen | |
| starten. Doch wer seine Nationalität wechseln will, wird erst einmal | |
| gesperrt, es sei denn der Herkunftsverband erteilt eine Freigabe. So hat | |
| Belarus immer noch eine Hand am Hebel von Timanowskajas Karriere. | |
| Aus Peking schickt das Team Belarus via Instagram derweil gespenstische | |
| Videobotschaften in die Heimat. Maxim Gustik und Stanislaw Hladschenko, | |
| zwei Springer, die am Donnerstag in der ersten Runde gescheitert waren, | |
| versicherten vor der Flagge von Belarus, wie gut die Vorbereitung in der | |
| Heimat gelaufen ist und dass allein sie schuld am schlechten Abschneiden | |
| seien. Das erinnere an die berüchtigten Reuevideos aus den Büros des | |
| Innenministeriums, findet Kotau. | |
| Am Montag wird wieder gesprungen im Snowpark. Mit dabei: Hanna Huskowa, die | |
| Goldmedaillengewinnerin von 2018. Ihr drückt man bei der | |
| Solidaritätsstiftung die Daumen. Sie gehört zu den Unterzeichnern des | |
| Briefes gegen Lukaschenko. | |
| 13 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hanna_Huskowa | |
| [2] https://bysol.org/en/ | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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