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# taz.de -- Ratzinger und die Missbrauchs-Affäre: Geraucht, aber nicht inhalie…
> Ratzingers Ausreden in der Missbrauchs-Affäre werden immer
> unglaubwürdiger. Sein Vorgehen erinnert an die Salami-Taktik von Bill
> Clinton.
Bild: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. Joseph Ratzinger 2020
Gekifft hat Joseph Ratzinger vermutlich nie. Doch die Entschuldigung, die
der fast 95-jährige emeritierte Papst diese Woche gegenüber kirchlichen
Missbrauchsopfern aussprach, klang doch arg nach „geraucht, aber nicht
inhaliert“. Mit katholischen Pathos-Schlüsselwörtern wie „tiefe Scham“ …
„großer Schmerz“ garniert, bedauerte Ratzinger die während seiner Amtszeit
als Erzbischof von München und Freising geschehenen sexuellen Übergriffe
durch Priester. Ja, es wurde geraucht damals – Ratzinger war
nachgewiesermaßen damals doch anwesend, als in einer Sitzung über die
Therapie eines strafversetzten pädosexuellen Priesters gesprochen wurde.
Aber nein, inhaliert hat er selbstverständlich nicht: Es wurde ja nicht
gesagt, warum der Mann eine Therapie machen musste!
Ratzinger, oder vielmehr seine Berater, orientieren sich erkennbar am
Großmeister der Salamitaktik: [1][Bill Clinton], dem 1992 im US-Wahlkampf
Drogenkonsum vorgeworfen wurde, musste zugeben, mal am Joint gezogen zu
haben. Aber als er treuherzig beteuerte, nicht inhaliert und sich den
Blutkreislauf so mit THC verschmutzt zu haben, schaffte er es erfolgreich
ins Oval Office. Seinen Ruf als „Teflon-Bill“ verteidigte er nach der
Lewinsky-Sex-Affäre damit, dass er ja nur Oralverkehr gehabt hatte
(öffentliche Entschuldigung bei der Gattin) und keinen „richtigen“
Geschlechtsverkehr (Amtsenthebungsverfahren).
Trickreiches Herauswinden – das entspricht eigentlich so gar nicht dem
aggressiven Charakter des Springer-Vorstands Mathias Döpfner. Als ihm die
britische Financial Times jetzt nachwies, doch sehr viel früher und sehr
viel mehr über die libidinösen Machtspielchen seines Starjournalisten
Julian Reichelt gewusst zu haben, hätte der Boulevardmann, der überzeugt
ist, hinter den Anschuldigungen gegen Reichelt stecke eine „Hass-Agenda“
gegen das Springer-Haus, wohl gern jemanden gefeuert.
Aber Reichelt ist schon entlassen (und, wie er vernehmen ließ, sehr
glücklich mit seiner aktuellen Freundin, einer Springer-Mitarbeiterin).
Also entschloss sich Döpfner zu einer papstähnlichen Nichtentschuldigung:
„Rückblickend müssen wir zugeben, dass wir nicht alles richtig gemacht
haben. Unser größter Fehler war, (Reichelt) zu lange zu vertrauen.“Den
Einzelnen opfern, um das System zu erhalten: Ist nicht schön, funktioniert
aber fast immer. Denn es lenkt die Aufmerksamkeit weg vom System, das dann
munter weiter funktionieren und zum Beispiel eine schützende Hand über
missbrauchende Priester halten kann.
Interessantes Detail des Münchner Missbrauchsgutachtens: Während von 53
Laien, die in katholischen Einrichtungen der Übergriffe auf Kinder
beschuldigt wurden, 16 ihren Job verloren, wurden von 173 beschuldigten
Klerikern gerade mal 4 aus dem Klerikerstand entlassen.Auch Döpfner geht es
erkennbar darum, die Compliance-Affäre irgendwie zu überstehen – damit das
Springer-System weiter seine Hetze gegen die mitregierenden Grünen und
besonders deren Klimapolitik betreiben kann.
Nachdem erst Cem Özdemir für steigende Fleischpreise mit verbalem
Gammelfleisch beworfen wurde, sind jetzt Wirtschaftsminister Habeck (lässt
Rotmilane für Windräder sterben!), Außenministerin Baerbock (ernennt
Ex-Greenpeace-Brückenabseilerin zur Klimasonderbeauftragten!) und
Umweltministerin Lemke (verteidigt Autobahnblockieren als „zivilen
Ungehorsam“!) dran.
Als Kronzeuge darf CSU-Landesgruppenchef bei Bild gegen den „Grünstaat“
wettern.Grünstaat, das klingt fast so schlimm wie Grünkohl – dass es einen
Bayern da schüttelt, verstehe ich. Und ob es wirklich nötig und zielführend
ist, sich die Fingerkuppen am Straßenbelag festzukleben, um auf die
Zerstörung des Planeten aufmerksam zu machen, das bezweifle ich auch stark.
Aber man kann bei Grünstaat ja auch an was Schöneres denken: Es ist
sattgrün, hat handförmige Blätter, wirkt entspannend und soll bald legal
konsumiert werden können. Dann werden wir alle guten Gewissens sagen
können: Jawohl, ich habe geraucht. Und inhaliert!
13 Feb 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Lewinsky-Aff%C3%A4re
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Papst Benedikt XVI.
sexueller Missbrauch
Katholische Kirche
Kolumne Der rote Faden
Sexualisierte Gewalt
Joseph Ratzinger
Katholische Kirche
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