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# taz.de -- „Generation F – Zeit für Sportler:innen“: Jedes Häkchen g…
> Ein WDR-Format will den Blick auf Sportler:innen schärfen. Mehr
> Sendezeit für die Sportarten selbst wäre aber auch angebracht.
Bild: GENERATION F über Weitspringerin Maryse Luzolo, Sonntag, 23:15 Uhr im WDR
Der Sport ist ein notorisch später Gast auf der Party des Fortschritts; ob
Homosexualität oder Feminismus, Klimaschutz oder Diversität, der alte Mann
fürchtet die Verweichlichung. Seit einigen Jahren aber rollt mit Verspätung
und viel Gegenwehr die Welle des wirtschaftsfreundlichen Liberalismus
hinein – [1][und damit mehr Präsenz von Frauen] in Sportmedien. „Equalate
Sports“, „Flutlicht an“, „Mittag’s bei Henning“ oder „Frauen rede…
Fußball“ heißen Podcasts, die Sexismus im Sport zum Thema machen.
Mit sportfrauen.net ist ein Portal nur über Sportlerinnen entstanden,
Biopics über unangepasste Athletinnen wie Tennisikone Billie Jean King oder
Eiskunstläuferin Tonya Harding laufen gut, und selbst der Kicker hat jetzt
einen Podcast namens „FE:male“. Offenbar möchte nun auch der WDR mit von
der Partie sein.
[2][„Generation F – Zeit für Sportler:innen“] heißt die einmal monatlich
erscheinende Serie, die „die Sichtbarkeit von Frauen im Leistungssport
fördern“ soll. Die Folgen sollen von Instagram über YouTube bis zum
linearen Fernsehen möglichst viele Plattformen nutzen; im TV ist die erste
Folge allerdings nach 23 Uhr versteckt. Das Rezept von „Generation F“ ist
nicht überraschend: In jeder Episode wird eine Sportlerin oder ein Team
porträtiert.
Los geht es mit Weitspringerin Maryse Luzolo, die im vergangenen Jahr in
Tokio nach langer Verletzung mit 26 Jahren ihr olympisches Debüt gab. Es
ist ein Auftakt, der akkurat jedes Häkchen für Diversität setzt: eine
Schwarze deutsche Athletin, eine Randsportart, eine Migrationsbiografie,
eine Karriere der zweiten Reihe mit Brüchen, und mit Christiane Schwalm
führt eine Frau Regie. Gut gemeint – aber auch gut gemacht?
## Die Heldinnenreise als Standardplot
Damit Sportdokus Emotionen wecken, folgen sie einer vorhersehbaren
Dramaturgie: aus dem tiefen Tal an die Spitze. Eine, der sich auch
„Generation F“ nicht entziehen kann. Losgehen muss es am Tiefpunkt: Luzolo
berichtet von ihrem schweren, fast mag man sagen traumatischen Knieunfall
2017, in dessen Folge der Arzt ihr sagte, sie werde vielleicht nie wieder
Leistungssport treiben können. Und es folgt die obligatorische
Heldinnenreise, bei der sie sich zurückkämpft, inklusive Bildcollagen vom
Training und Fitnessstudio-Soundtrack.
Das Ganze kulminiert in den Olympischen Spielen, die die Protagonistin zum
Glück für die Macher:innen und entgegen aller Wahrscheinlichkeit
erreichte. Kritische Töne über Leistungssport – Luzolo räumt in einem
Nebensatz ein, dass sie seit dem Unfall konstant unter Schmerzen Sport
treibt – muss man hier nicht suchen.
Dass die Geschichte dennoch in Bann zieht, hat sie der ganz hervorragenden
Protagonistin und ihrem Umfeld zu verdanken. Maryse Luzolo agiert
natürlich, ehrlich, emotional, ansteckend gut gelaunt – und lässt es zu,
dass andere sehr persönlich über sie sprechen. Partner David erzählt, was
es mit ihrer damals sehr frischen Beziehung machte, als seine Freundin
plötzlich nach dem Unfall nicht mal mehr allein auf die Toilette gehen
konnte. Und wie eine psychische Belastung nach der Verletzung blieb: „Es
gibt immer noch Tage, wo sie weinend zusammenbricht oder nachts
Panikattacken bekommt. Wenn wir einen Film gucken, wo es eine Kampfszene
gibt und man hört, wie der Knochen bricht, ist der Abend gelaufen.“
## Deutscher Adler
Es ist ein Verdienst der Macher:innen, nahe genug herangekommen zu sein, um
ein Kernthema zu erkennen, das die Geschichte über das übliche Zero-to-Hero
heraushebt: Verletzung. Nicht nur durch den Unfall, sondern auch durch das
Dasein als schwarzes Mädchen in Deutschland.
Maryse Luzolo selbst wird bisweilen [3][sehr deutlich zum Thema Rassismus.]
Die Leichtathletik nennt sie „den Ausweg aus der blöden Realität, in der
ich als schwarzes Mädchen gelebt hatte“. Sport als Weg zur Anerkennung in
der rassistischen Mehrheitsgesellschaft. Und gleichzeitig als Institution,
in der es, wie Luzolo anhand persönlicher Beispiele erzählt, ebenfalls
Rassismus gibt. Ein großer Stolz, der deutsche Adler, aber ein Stolz, der
nicht ohne Brüche ist.
Zum heimlichen Star der Geschichte avanciert derweil Maryse Luzolos Mutter
Ambote, die mit Verve vom Kampfwillen ihrer Tochter erzählt, in der Wohnung
nach ihrer Migration aus dem Kongo ein kleines Afrika schaffen möchte und
grandiose Sätze über ihre Tochter sagen kann wie: „Sie ist für mich
manchmal wie ein Ehemann.“
Ob so eine Serie der erfolgreichste Weg ist, Fans für Sportlerinnen zu
gewinnen? Ob das überhaupt Aufgabe von Journalist:innen ist? Dafür
bräuchte es schon eine regelmäßige Plattform. Für Maryse Luzolo wäre wohl
vor allem eines hilfreich: Weitsprung mehr als einmal pro Jahr zu zeigen.
10 Feb 2022
## LINKS
[1] /Frauen-im-Profiradsport/!5830021
[2] https://www.ardmediathek.de/sendung/Y3JpZDovL3dkci5kZS9nZW5lcmF0aW9uZg/
[3] https://sportspitze.de/2021/05/02/__trashed-2/
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Sport
Gender
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Feminismus
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