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# taz.de -- Die Wahrheit: Sauteure Hamsterfahrten
> Das aktuelle Mittel gegen das animalische Artensterben: Tiertaxis ganz
> auf Staatskosten. Die Lachse klatschen begeistert in die Flossen.
Bild: Wie kriegt man den Lachs ins Taxi? Keine leichte Aufgabe
Dass der Mensch Tieren – materiell, ideell, gastronomisch – unter die Arme,
Flossen oder Flügel greift, um ihren Bestand zu stützen, hat fast so lange
Tradition wie die Vernichtung anderer oder manchmal gar derselben
Tierarten: Vogelhäuser, Krötentunnel, Katzenklos, Fischtreppen,
Wildbrücken, Hasenbrote, Eichhörnchennotdienste, Wolfsberatungen, you name
it.
Der letzte Schrei in Sachen Tierdienstleistung ist nun seit vorigem Jahr
das sogenannte Lachs-Taxi, von dem unter anderem kürzlich die „Tagesthemen“
im Fernsehen berichteten. Damit werden die Lachse wegen der dürrebedingt
gesunkenen Wasserspiegel ihrer Wanderflüsse gratis aus dem kalifornischen
Hinterland an den nördlichen Pazifik gefahren. Da können sie dann
ablaichen.
Die Lachse dürfen zwischen der lokalen Taxifirma Central Valley Cab („Call
744901 – Valley Cab is safe and fun!“), Uber und dem staatseigenen
Fahrdienst Salmon Shuttle wählen. Apropos wählen: In der Praxis ist es dann
doch meistens so, dass Angestellte der zuständigen Fischereibehörde den
Fahrdienst für die Fische rufen müssen, da nur die wenigsten über
Mobiltelefone verfügen und diese mit ihren labbrigen Vorderflossen
obendrein auch schlecht bedienen können.
Die luxuriösen Fahrzeuge sind mit Rücksitzaquarien ausgestattet, damit die
feuchten Passagiere die Polster nicht durch Nässe und fischigen Geruch
ruinieren. Doch zur Not, wenn zum Beispiel ein Lachs unerwartet ein freies
Taxi am Straßenrand heranwinkt, tut es auch mal behelfsmäßig ein rasch zu
installierender Plastiküberzug aus dem Kofferraum. Für all das zahlt –
ungewöhnlich für die USA – der Staat.
## Feldhamster gegen Mähdrescher
Noch großzügiger verhält sich Deutschland. Ab sofort greift der Bund für
die jüngst eingeführten „Hamsterfahrten“ tief ins Staatssäckel, um vor
jeder Ernte die Feldhamster vor den Mähdreschern in Sicherheit zu bringen.
Die eigens zur Rettung des vom Aussterben bedrohten Tieres konzipierten,
kaum schuhkartongroßen Hamstermobile kosten das klamme Land zwischen
fünf und acht Milliarden Euro im Jahr.
Das ist kein Pappenstiel in Zeiten, da die Inflation wächst und der
deutsche Michel darbt. Die geländegängigen Vehikel sind simpel zu bedienen,
damit sie von den Hamstern selbst gefahren werden können – hier haben die
Ingenieure von Daimler ausgezeichnete Arbeit geleistet. Unter keinen
Umständen würden die misstrauischen Nager sich von Fremden fahren lassen,
deren Vorfahren sie noch beinah ausgerottet haben – „arglos wie ein Lachs“
ist unter Hamstern ein geflügeltes Wort.
Endlich scheint der Mensch zu begreifen, dass wir momentan das größte
Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier erleben. Nun steuert er mit
aller Macht dagegen, wenngleich mit den Mitteln, denen er vertraut und die
er schätzt. Und das sind nun mal die Mittel des Verkehrs. Auf der ganzen
Welt entstehen Krakenautobahnen, Hirschkäferdraisinen, Pandabusse und
Pinguinfähren, auf denen sich die Vögel nach dem Verschwinden großer
Eismassen in der Antarktis zu neuen Lebensräumen transportieren lassen.
Störche wiederum werden per Luftbrücke aus ihren Winterquartieren in
Krisengebieten ausgeflogen. Es ist eine Win-win-Situation, denn die
Fluglinien müssen ihre wertvollen Start- und Landeslots nicht für
unökonomische Geisterflüge verpulvern, und für die gefiederten Fluggäste
gibt es unterwegs noch eine warme Froschmahlzeit. Da staunt so manche im
Elend von Afghanistan zurückgelassene Ortskraft.
## Zugvögel im Bordbistro
Die meisten Zugvögel fahren jedoch lieber mit dem Zug. Auf der neuen
Vogelschnellfahrstrecke von Skandinavien über Bebra und Gibraltar bis ins
tropische Zentralafrika können die Piepmätze das gefährliche Teilstück
durch die Sahara nun sicher bei Wurmragout und Korn im Bordbistro der
Deutschen Vogelbahn überbrücken. Der feuchte Traum der FDP wird wahr:
Allein mithilfe innovativer Technik dreht Homo Sapiens dem Klimawandel und
der Umweltzerstörung eine lange Nase, ohne auf irgendetwas zu verzichten.
Munter raucht der Schlot, auf dem der Uhu nistet.
Doch auch im Kleinen engagieren sich zahllose Helfer für den Artenschutz.
Das kann buchstäblich Handarbeit bedeuten, wie für die vielen emsigen
Bienenträger, die die Bienen in winzig kleinen Sänften an Pestizidwolken
und überdüngten Äckern vorbei- und auf die von den amtlichen Bienen-Scouts
ausgekundschafteten Klee- und Blumeninseln tragen.
Einige der Träger absolvieren hier ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr, doch
leider werden auch nicht wenige ALG-II-Empfänger im Rahmen von sogenannten
Eingliederungsmaßnahmen zur quasi unbezahlten Fron herangezogen. So etwas
sollte nicht passieren. Tier- und Menschenwohl dürfen keinesfalls
gegeneinander ausgespielt werden.
25 Jan 2022
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Artensterben
Tiere
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