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# taz.de -- Zuwendungen aus der Pharmaindustrie: Interessenkonflikte von Ärzten
> Pharmaunternehmen unterstützen Mediziner*innen mit Millionensummen.
> Wer davon profitiert, ist oft nicht transparent.
Bild: Lassen sich Ärzte bei der Medikamentenwahl durch Geld beeinflussen?
Hamburg taz | Im Gesundheitswesen gibt es viel Geld zu verteilen, das gilt
auch bei Kooperationen zwischen Medizin, Wissenschaft und Industrie. 2020
zahlten umsatzstarke Pharmafirmen rund 558 Millionen Euro hierzulande an
medizinische Institutionen, Ärzt*innen, Apotheker*innen und weitere
Fachberufler*innen. So bilanziert es die [1][Freiwillige Selbstkontrolle
für die Arzneimittelindustrie e. V. (FSA),] ein Verein von 55 großen
Unternehmen, die rund 75 Prozent des deutschen Pharmamarktes
repräsentieren, darunter Hersteller wie AbbVie, AstraZeneca, Bayer,
GlaxoSmithKline, Grünenthal, Merck, Novartis, Pfizer, Roche,
Sanofi-Aventis, Takeda.
Laut FSA flossen 408,2 Millionen Euro für [2][klinische Studien und
Anwendungsbeobachtungen zugelassener Medikamente;] 55,8 Millionen Euro
gingen an Personen für Fortbildungen und Vorträge, und 93,7 Millionen Euro
gaben die Pharmafirmen aus, um Veranstaltungen und Kongresse sowie die
Arbeit medizinischer Institutionen zu unterstützen.
Im Prinzip veröffentlichen die Unternehmen seit dem Jahr 2015 auch die
Namen der von ihnen bezahlten Ärzt*innen – [3][auf der Webseite
www.fsa-pharma.de steht eine „Transparenzliste“ mit FSA-Mitgliedsfirmen];
klickt man auf die Namen der Unternehmen, erreicht man direkt deren Seiten
mit Offenlegungen finanzieller Zuwendungen.
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt der FSA aber nicht. Denn genannt werden
nur Namen derjenigen Geldnehmer*innen, die einer Veröffentlichung
freiwillig zugestimmt haben. Das passiert eher selten, 2020 erklärten sich
laut FSA „rund 20 Prozent“ mit der „individualisierten Nennung von
Leistungsbezügen“ einverstanden, 2019 waren es 19 Prozent.
Die [4][mangelnde persönliche Transparenz] ihrer ärztlichen
Kooperationspartner*innen findet die Pharmaselbstkontrolle offenbar
auch nicht gut. Jedenfalls versicherte der Verein im Juli 2021 einmal mehr:
„Der FSA und seine Mitgliedsunternehmen werden sich weiterhin dafür
einsetzen, Ärztinnen und Ärzte zu überzeugen, einer individualisierten
Veröffentlichung zuzustimmen.“
## Namensnennung nur mit Zustimmung
Das klingt redlich bemüht, blendet jedoch denkbare Alternativen aus: Jedem
Arzneimittelhersteller steht es ja frei, Mediziner*innen und
Professor*innen nur dann für Studien, Vorträge, Gutachten etc. zu
bezahlen, wenn diese sich bereit erklären, dass ihr Name sowie Honorar und
Angaben zu ihrer Dienstleistung später publiziert werden. So lange dies
nicht regelmäßig geschieht, ist die Selbstverpflichtung der FSA-Firmen ein
Muster, das in der Praxis ganz überwiegend ohne Transparenzwert ist.
Für mehr Verbindlichkeit und detaillierteren Durchblick könnte der
Gesetzgeber selbst sorgen; eine Andeutung dazu gibt es tatsächlich im
Koalitionsvertrag der politischen Ampel. Im Abschnitt zum Thema „Versorgung
mit Arzneimitteln und Impfstoffen“ formulieren SPD, Grüne und FDP zunächst
diese Ankündigung: „Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von
Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland
oder in die EU zurück zu verlagern.“ Im selben Abschnitt steht am Ende aber
auch dieser Satz: „Um Interessenkonflikte zu vermeiden, schaffen wir mehr
Transparenz über finanzielle Zuwendungen an Leistungs- und
Hilfsmittelerbringer.“
Was genau wann verbindlich passieren soll, ob und welche gesetzliche
Regelungen geplant sind – das alles lässt der Koalitionsvertrag allerdings
offen.
Interessenkonflikte können unter anderem entstehen, wenn Ärzt*innen und
Wissenschaftler*innen für Hersteller von Arzneien und Medizinprodukten
bezahlte Leistungen erbringen, etwa im Rahmen klinischer Auftragsstudien,
mit Gutachten oder Vorträgen bei Ärztefortbildungen. Oder wenn sie
Unternehmen beraten, deren Produkte sie auch wissenschaftlich bewerten oder
verschreiben. Oder falls sie selbst Patente auf pharmazeutische und
medizintechnische Erfindungen halten, womöglich auch Aktien einschlägiger
Firmen besitzen.
Orientieren könnten sich Bundesregierung und Bundestag zum Beispiel an den
Vorschlägen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).
Die fordert seit Jahren eine „gesetzliche Verpflichtung“ mit dem Ziel,
finanzielle Beziehungen von Ärzt*innen zu Pharma- und
Medizinprodukteherstellern öffentlich nachvollziehbar zu machen. Die
gezahlten Gelder müssten in einer Onlinedatenbank publiziert und „durch
geeignete und unabhängige Hintergrundinformationen“ ergänzt werden –
einsehbar für alle, die es interessiert.
Nachzulesen ist diese Idee auch in [5][einer mit der Bundesärztekammer
abgestimmten AkdÄ-Stellungnahme,] veröffentlicht im Februar 2019 im
Deutschen Ärzteblatt. Zum praktischen Nutzen schreibt die AkdÄ:
„Insbesondere Patientinnen und Patienten würden durch die Einführung einer
gesetzlichen Transparenzverpflichtung Gelegenheit bekommen, sich schnell
und zuverlässig zu Interessenkonflikten ihrer behandelnden Ärzte zu
informieren.“
## Verzerrtes Urteilsvermögen
Interessenkonflikte sind nach Einschätzung der AkdÄ „nicht per se schlecht
oder verwerflich“. Problematisch sei aber das „beeinflusste bzw. verzerrte
Urteilsvermögen oder Handeln (‚bias‘) derjenigen, die Interessenkonflikte
haben“. Ein Arzt, der nach Besuch einer gesponserten Fortbildung Produkte
der einladenden Firma bevorzugt verschreibe, obwohl andere Präparate
womöglich wirkungsvoller, sicherer oder preisgünstiger seien, „kann der
einzelnen Patientin/dem einzelnen Patienten Schaden zufügen“, gibt die AkdÄ
zu bedenken.
Sogar ganze Gruppen von Patient*innen könnten von Nebenwirkungen
finanzieller Interessen einflussreicher Fachleute betroffen sein.
Jedenfalls erklärt die AkdÄ auch: „Das Urteil eines Mitglieds einer
Leitlinienkommission, das beispielsweise regelmäßig Vorträge auf
Satellitensymposien eines Unternehmens hält und die Leitliniengestaltung
zugunsten eines Produktes beeinflusst, kann im Prinzip sogar alle Patienten
mit dem entsprechenden Krankheitsbild schädigen.“
Ideen für mehr verbindliche Transparenz fanden im Bundestag bisher kaum
Rückhalt. Sie waren auch kein Thema im Wahlkampf 2021; nur im Programm der
Linken standen dazu ein paar Sätze. Diese lesen sich durchaus konkreter als
das Koalitionspapier der neuen Regierung. „Wir fordern eine transparente,
gesetzliche Regelung über Zuwendungen der Pharmaindustrie an
Mediziner*innen und Heilberufe“, schrieben die Linken und erklärten
auch, was sie hier motiviert: „Wir wollen den Einfluss der Pharmakonzerne
zurückdrängen.
Das betrifft Werbung und Beeinflussung von Ärzt*innen, Wissenschaft und
Patientenorganisationen.“ Offengelegt werden müssten zudem „Sponsoring und
sonstige Verträge, die öffentliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen
mit privaten Unternehmen oder Stiftungen abschließen“.
Die Sensibilität beim Blick auf Kooperationen, Sponsoring und potenzielle
Interessenkonflikte scheint also gewachsen zu sein. Man wird sehen, wer
sich traut, in dieser – wohl weiterhin von der Coronapandemie
überschatteten – Legislaturperiode substanzielle Initiativen pro
Transparenz in den Bundestag einzubringen. Außerparlamentarische
Aufmerksamkeit, befördert auch von Patientenvertreter*innen,
Verbraucherschützer*innen und Informationsfreiheitsbeauftragten, wäre
für die Politik sicher hilfreich.
30 Jan 2022
## LINKS
[1] /Transparenz-beim-Sponsoring/!5044991
[2] /Medizinerin-kritisiert-Pillen-Hersteller/!5052486
[3] https://www.fsa-pharma.de/de/kodizes/transparenzkodex/veroffentlichungen-tr…
[4] /Zuwendungen-der-Pharmakonzerne/!5311175
[5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/205751/Arzneimittelkommission-der-deutsch…
## AUTOREN
Klaus-Peter Görlitzer
## TAGS
Transparenz
Gesundheitspolitik
Ärzte
Pharmaindustrie
Interessenskonflikte
Kolumne Krank und Schein
Krankenkassen
Sponsoring
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