| # taz.de -- Ehrenamt in Berlin-Wedding: Meditatives Müllsammeln | |
| > Litter Picker ziehen freitags mit Greifzange und Müllbeutel durch den | |
| > Wedding – für manch Ehrenamtlichen der perfekte Einstieg ins Wochenende. | |
| Bild: Bewegung nach einem Tag auf dem Bürostuhl: Müll sammeln | |
| Mit Musik und Stirnlampen ausgestattet, zieht ein Trupp fröhlicher Leute | |
| durch die Bastianstraße in Berlin-Wedding, in ihren Händen Greifzangen und | |
| Müllbeutel. Nur langsam kommen sie voran, denn alle zwei, drei Schritte | |
| picken sie mit ihren Zangen Abfall von der Straße auf. Die ehrenamtliche | |
| Gruppe trägt den Namen [1][„Litter Picker“], zu deutsch „Müllsammelnde�… | |
| Auch ohne Kopflampe ist der Müll auf den Straßen dieses dicht besiedelten | |
| innerstädtischen Stadtteils gut sichtbar, insbesondere größerer Sperrmüll | |
| wie defekte Staubsauger oder zersprungene Spiegel. Zwischen alten | |
| Tannbäumen liegen aber auch Plastikverpackungen, Glasscherben und jede | |
| Menge Zigarettenstummel. Kein Wunder – denn im Wedding ist auch abends viel | |
| los. Auch an diesem Freitagabend sind nach Einbruch der Dunkelheit auf den | |
| Gehwegen im Stadtteil Gesundbrunnen viele Menschen unterwegs, einige | |
| rauchen und schnipsen ihre Zigarettenkippen einfach weg. So sammelt sich | |
| eben dort, wo viele Menschen sind, auch mehr Abfall. | |
| Gerade deshalb sind die Litter Picker im Wedding und rund um Gesundbrunnen | |
| herum aktiv. Jeden Freitag von 17 bis 19 Uhr sammeln sie dort alles auf, | |
| was sie als Müll erkennen. Das können Abfälle wie Plastikverpackungen, | |
| Coronamasken und Kaffeebecher sein. Zigarettenfilter oder Heroinspritzen | |
| gehören aber auch dazu. | |
| Anna Wasilewski ist hauptberuflich Fotografin und Mitgründerin der | |
| Initiative. Sie habe früher selbst viel geraucht, erzählt sie. Da sei es es | |
| auch vorgekommen, dass sie am Spielplatz gesessen und ihre Stummel dort | |
| liegen gelassen habe. Erst durch das Müllsammeln habe sich ihr Blick auf | |
| Abfall geändert. | |
| „Ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich da hinterlasse. Aber als ich | |
| einmal gehört habe, wie schädlich das ist, habe ich das nicht mehr | |
| gemacht“, erzählt sie. Denn Giftstoffe und Mikroplastik aus den Filtern | |
| gelangten bei Regen ins Grundwasser. Eine Zigarette könne bis zu 60 Liter | |
| Grundwasser verunreinigen. Wenn Wasilewski heute Menschen sieht, die | |
| draußen rauchen, bietet sie ihnen einen portablen Aschenbecher an: „Das ist | |
| natürlich der Kracher, wenn du nicht mit erhobenem Zeigefinger zu den | |
| Leuten gehst, sondern sagst, hier, ich hab' ein Geschenk für dich!“ | |
| ## „Es gibt mir Energie“ | |
| Nicolas Rengeling gehört seit Mai zu den ehrenamtlichen Müllsammelnden. Er | |
| habe sich über den Abfall auf der Straße aufgeregt und nach Initiativen | |
| gesucht, die im Wedding aufräumten, erzählt er. So sei er auf die Litter | |
| Picker gestoßen. „Ich arbeite von zuhause, immer so bis 17 Uhr. Das hier | |
| ist mein Einstieg ins Wochenende“, erklärt Rengeling und grinst. „Nach | |
| einem ganzen Tag auf dem Stuhl tut es gut, sich einfach mal zu bewegen und | |
| dabei Müll zu sammeln.“ | |
| Wenn die Truppe die Straßen entlangzieht, schauen Passant:innen | |
| neugierig zu. In der Bastianstraße steht Amirali Pourkian und beobachtet | |
| die Müllsammler:innen. Er habe auch mal bei einer Aufräumaktion in der | |
| Bellermannstraße mitgemacht, schmunzelt er und gibt verlegen zu: „Ich finde | |
| es authentisch, wenn ein bisschen Müll auf der Straße rumliegt. Ich mag es | |
| nicht so sauber wie in den kleinen Städten.“ Aber zu viel Müll sei eklig. | |
| Für Wasilewski sind saubere Straßen längst nicht mehr der einzige Grund, | |
| Müll zu sammeln. Sie freut sich über die Verbesserung der Sauberkeit in dem | |
| Kiez. Und neben Bewegung und Gesellschaft an der frischen Luft habe das | |
| Aufsammeln von einzelnen Zigarettenstummeln auch etwas Meditatives, findet | |
| sie: „Ich habe zuerst gedacht, dass es mich sehr viel Energie kosten wird. | |
| Aber vielmehr gibt es mir Energie. Es macht mir einfach Spaß.“ | |
| Nach der Aufräumaktion werden die vollen Müllbeutel vor dem | |
| Gemeinschaftsgarten in der Böttgerstraße abgestellt und der Berliner | |
| Stadtreinigung gemeldet. Und dann gibt es wie jeden Freitag ein Gruppenfoto | |
| – von allen Beteiligten, die mit Zange in die Kamera grinsen. | |
| 28 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.litterpicker.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
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