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# taz.de -- Phänomen Phantommülleimer: Abfall ohne Eimer
> Was steckt dahinter, dass Menschen ihren Müll dort ablegen, wo mal ein
> Abfallkorb war, aber gar keiner mehr ist?
Bild: Die Berliner Stadtreinigung machts' einem ja eigentlich recht leicht…
Berlin taz | Eine Kleingartenanlage im Süden Berlins. Gepflegte, gar nicht
mal so kleine Häuschen, die nicht mehr viel mit jenen Schuppen zu tun
haben, die Kleingärtner auf ihrer Scholle lediglich dazu errichten durften,
ihre Arbeitsgeräte dort zu lagern und nicht stets mitschleppen zu müssen.
Ein Weg führt schnurstracks hindurch, von einem Park im Süden bis zur
S-Bahn-Linie im Norden, knapp einen Kilometer lang. Mehr als die
Kleingärtner nutzen Spaziergänger und Radler ihn als ruhige Alternative –
und auch Hundebesitzer tun das.
Die sammeln in der großen Mehrzahl auch ordentlich auf, was liegen bleibt,
wenn ihr Hund mal Pause macht. Die kleinen Plastikbeutel landen in einem
Mülleimer, der neben einer Sitzbank steht. Steht? Stand. Denn jetzt ist er
nicht mehr da. Der Mülleimer jedenfalls. Der Inhalt ist sehr wohl noch da,
genauer gesagt: der gedachte Inhalt, weil nun die Hülle fehlt.
Mehr als ein Dutzend Kotbeutel liegt dort, wo sonst der Mülleimer war – wie
eine stumme Anklage gegen sein Entfernen. Was also tun? Den nicht gerade
schweren Beutel einige wenige hundert Meter bis zum nächsten Müllbehälter
in der Hand behalten und dort entsorgen? Natürlich nicht. Schließlich war
an dieser Stelle immer ein Mülleimer.
Es steht ein gewaltiges Anspruchsdenken hinter einem solchen Verhalten:
Hier komme ich, und alles hat so zu sein, wie ich das erwarte, Abweichungen
oder neue Erfordernisse an das eigene Verhalten gehen gar nicht. Da müssen
sich jetzt andere kümmern – die Müllabfuhr, der Kleingartenverein, die
örtliche Verwaltung oder am besten gleich der offenbar allzuständige Senat,
Berlins Landesregierung.
## Man hat ja recht
Inzwischen ist da nun ein gar nicht mehr so kleiner Haufen entstanden, der
es nicht länger attraktiv macht, auf der Bank daneben Platz zu nehmen. Denn
zu den Beuteln wurde noch weiterer Müll gelegt – wo es schon dreckig
aussieht, fällt so etwas leichter, das haben schon längst wissenschaftliche
Studien ergeben. Nicht meine Schuld, scheinen die Beutel-Entsorger zu
denken, sondern ganz klar die von denen, die den Mülleimer abgebaut haben.
Das ist wie mit den Hupe-Drückern und Ungebremstweiterfahrern: Bei einer
drohenden Gefahr – plötzlich ausscherender Radler, die Vorfahrt
ignorierender Pkw – ist die erste Reaktion oft nicht: vom Gaspedal gehen,
sondern: Hupen. Man hat ja recht. Genauer: Man meint, es zu haben. Frau
übrigens auch. Wieso dann Zugeständnisse machen, also die Geschwindigkeit
drosseln oder – um zum Ausgangspunkt zurückzukommen – den Müll einfach bis
zum nächsten Abfalleimer mitnehmen?
Umso weniger geht natürlich, fremden Müll aufzuheben. Sei es auch nur eine
saubere Chipstüte, die so mittig in der langen Geraden der
Kleingartenanlage liegt, die Architekten „Blickachse“ nennen würden, dass
sie das ganze Panorama verschandelt – wer ist man denn, Müll einzusammeln?
Das wird bis zum nächsten Spazier- oder Gassigang schon jemand anders
gemacht haben. Vielleicht ja einer von den Joggern, die da bei ihrem
Training hier oft mehrfach vorbeikommen und sich nicht jede Runde erneut
über diese Chipstüte ärgern wollen. Oder eben die Müllabfuhr. Wofür zahlt
man schließlich Steuern?
17 Jan 2022
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Müll
BSR
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Schwerpunkt Stadtland
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Neukölln
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