# taz.de -- Studie über Alkoholkonsum: Trockener Donnerstag | |
> Menschen trinken, um negative Gefühle beiseitezuschieben. Doch die | |
> verstärken sich so, haben Forschende herausgefunden. Hilft ein „Dry | |
> January“? | |
Bild: Das Wissen um die Segnungen des Alkohols fällt wie ein Kartenhaus in sic… | |
Die erste Januarhälfte ist hinüber und damit auch die meisten [1][guten | |
Vorsätze]. Die Neujahrsjogger haben spätestens am Zehnten von ihrem | |
fruchtlosen Tun abgelassen, Straßenbahnfahrer am Rande des | |
Nervenzusammenbruchs rammen absichtlich Taxis, und Hundebesitzerinnen | |
entsorgen die Kotbeutel wieder klandestin zwischen die parkenden Autos. | |
Nur eine Handvoll Unbeugsamer hört nicht auf, dem eigenen Verlangen | |
Widerstand zu leisten. Sie haben sich einen alkoholfreien Januar verordnet | |
und sind wild entschlossen, das bizarre Ansinnen bis zum Monatsende | |
durchzuhalten. Jüngst staunte der Autor dieser Zeilen auf einer | |
Geburtstagsparty über ein selten übellauniges Paar, bis man ihn nach Abgang | |
der Miesepampel darüber aufklärte, dass die ihm bis dahin unbekannten Leute | |
normalerweise über Herzen aus Gold verfügten, doch sich aktuell mit der | |
ihnen offensichtlich [2][wesensfremden Schnapsidee „Dry January“] nervlich | |
selbst ins Knie geschossen hätten. | |
Das erklärte einiges. Doch hat es nicht vielleicht auch massig Vorteile, | |
wenigstens vorübergehend mal auf Alkohol zu verzichten? Brauchen wir das | |
Zeug wirklich so dringend und stützt es unsere schwachen Seelchen echt so | |
massiv, wie wir oft denken? | |
Ein Forschungsteam der University of Missouri hat in einer Studie über die | |
Erfahrungen regelmäßiger Alkoholkonsumenten [3][Erstaunliches zutage | |
gebracht]: Menschen trinken, um negative Gefühle beiseitezuschieben, was | |
ihnen vordergründig auch gelingt. Doch auf den zweiten Blick verstärkten | |
sich die negativen Empfindungen wie Nervosität oder Traurigkeit sogar noch. | |
Alkohol, so legt die Studie überraschend nahe, sei irgendwie nicht gut. | |
Aber das ist Quatsch. Alkohol kann etwas sehr Schönes sein. Dem Autoren | |
dieses Textes – ach lassen wir doch jetzt endlich mal diese | |
Journalistenmarotte mit der dritten Person; dann ist das alles gleich viel | |
persönlicher –, also MIR hilft er praktisch immer. Das glaube ich | |
jedenfalls. | |
## Ein Mann für die Langstrecke | |
Ich habe das Gefühl, dass mir Alkohol derart guttut, dass ich eigentlich am | |
liebsten jeden Tag von morgens bis abends nur noch söffe, wenn das nicht | |
leider kurzfristig auch jedes gute Erleben dämpfte und vernebelte, | |
mittelfristig für Angst und Depressionen sorgte und auf längere Sicht den | |
körperlichen, geistigen, seelischen, beruflichen und sozialen Totalabsturz | |
bedeutete. Jammerschade, aber nichts ist umsonst. Man verreckt halt | |
jämmerlich und einsam – das ist in der Tat ein nicht zu unterschätzender | |
Nachteil. | |
Außerdem darf der passionierte Trinker davon ausgehen, dass er einer | |
Selbsttäuschung unterliegt. Ähnlich wie beim Rauchen baut sich das | |
Bedürfnis nach dem Stoff erst durch dessen Missbrauch künstlich auf und | |
ermöglicht so überhaupt erst die Befriedigung ebenjenes Bedürfnisses; es | |
handelt sich quasi um ein Strohmannargument des Körpers, der sich damit | |
immanenterweise selbst belügt, so wie es offenbar auch die Teilnehmer | |
besagter Studie tun: Das bei den meisten anfangs durchaus vorhandene | |
Gefühl, der Drink hätte zumindest ambulant geholfen, löste sich im | |
Angesicht konkreter Fragen („Fühlen Sie sich jetzt niedergeschlagen?“) zum | |
eigenen Gefühlshaushalt auf einmal in Katzen- respektive Katerjammer auf. | |
Das kollektive Wissen um die Segnungen des Alkohols fällt doch tatsächlich | |
nach nur einer Studie mit 110 Probanden wie ein Kartenhaus in sich | |
zusammen. Unglaublich, aber wahr. | |
Also dann doch lieber Enthaltsamkeit oder immerhin Mäßigung mithilfe | |
artifizieller Bremsrituale à la Dry January? Oder gibt es womöglich gar | |
Alternativen, die dem Teilzeitasketen weniger Härten abverlangen? | |
Ich antworte für einen Freund. So habe ich selbst gute Erfahrung mit einem | |
Dry Thursday gemacht. Anstatt einen ganzen Monat lang abstinent zu bleiben, | |
trinke ich jeden Donnerstag, sofern es sich einigermaßen einrichten lässt, | |
praktisch nichts, also nach Möglichkeit höchstens zwei oder drei Biere. | |
Das ziehe ich dafür das ganze Jahr über durch und nicht nur einen Monat | |
lang wie die Dry-January-Dünnbrettbohrer. Ich bin eben ein Mann für die | |
Langstrecke. Und warum ausgerechnet der Donnerstag? Nun, den kann ich mir | |
mit der Eselsbrücke „Dry Thirstday“ einfach am besten merken. Sonst merke | |
ich mir nämlich nicht mehr viel. | |
19 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Wie-Neujahrsvorsaetze-gelingen/!5823311 | |
[2] /Einen-Monat-ohne-Alkohol/!5565425 | |
[3] https://www.spektrum.de/news/alkohol-wer-trinkt-fuehlt-sich-dadurch-nicht-b… | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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