# taz.de -- Inflation in der Türkei: Währungspolitik droht zu scheitern | |
> Präsident Erdoğan wollte die Inflation in der Türkei durch kursgeschützte | |
> Lira-Konten eindämmen. Doch die Strategie ist nicht aufgegangen. | |
Bild: Alles viel teurer in Istanbul: Dennoch senkte die Zentralbank die Zinsen | |
ISTANBUL taz | Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit | |
großem Tamtam angekündigte neue ökonomische Politik ist gescheitert. Weder | |
konnte der Lira-Kurs stabilisiert werden, noch gelang es, die | |
Preisexplosion einzudämmen. | |
Am 20. Dezember hatte Erdoğan ein Programm verkündet, mit dem er die Lira | |
wieder stabilisieren und die Verbraucherpreise unter Kontrolle bekommen | |
wollte. Er kündigte an, dass bei den staatlichen Banken sogenannte | |
kursgeschützte Lira-Konten eingerichtet werden. Für Verluste durch die | |
Abwertung der Landeswährung gegenüber dem US-Dollar während der Laufzeit | |
sollen die Sparer eine Entschädigung bekommen. | |
Mit diesem Angebot wollte Erdoğan die türkischen Bürger dazu bringen, ihre | |
Dollarguthaben wieder in Lira einzutauschen und so zur Stabilisierung der | |
heimischen Währung beizutragen. Dasselbe sollte für Sparer gelten, die Gold | |
in Lira umtauschen. Gleichzeitig kaufte die Zentralbank noch einmal für 20 | |
Milliarden Dollar Türkische Lira. | |
Beide Maßnahmen zusammen schienen auf den ersten Blick erfolgreich. Der | |
Dollarkurs sank über Nacht von 18 auf 11 Lira und für einen Euro musste man | |
nur noch 12 statt wie am Tag zuvor 20 Lira zahlen. Wenige Tagen später | |
verkündete [1][Finanzminister Nureddin Nebati] stolz, auf die | |
„kursgeschützten Lira-Konten“ seien bereits rund 90 Milliarden Lira, rund | |
5,8 Milliarden Euro, eingezahlt worden. | |
## Erdoğan tobte wohl ob der Zahlen | |
Aus Bankenkreisen erfuhr die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte | |
Agentur Reuters allerdings, dass diese Milliarden nur zu 1 bis 2 Prozent | |
aus umgetauschten Devisen stammten. Die anderen 98 Prozent kamen einfach | |
von anderen Lira-Konten, die auf die neuen „kursgeschützten Konten“ | |
umgeschichtet wurden. Denn einen Nachweis, dass Geld, welches auf diese | |
neue Lira-Konten eingezahlt wird, tatsächlich aus umgetauschten Devisen | |
stammen, muss man nicht erbringen. | |
Wenn diese Zahlen stimmen, hat [2][Erdoğan sein Ziel haushoch verfehlt]. | |
Ein nicht genannter hoher Funktionär seiner Partei AKP gab im Gespräch mit | |
dem deutschen Handelsblatt zu, dass die Erwartungen der Regierung „bislang | |
nicht vollständig erfüllt wurden“. | |
Wie wichtig es für die Regierung wäre, dass die Leute ihre Devisen wieder | |
in den Wirtschaftskreislauf einspeisen, machen die Zahlen der türkischen | |
Bankenaufsicht deutlich. Danach sind von den insgesamt umgerechnet 349 | |
Milliarden Euro, die von allen türkischen Banken gehalten werden, zwei | |
Drittel in Devisen. | |
Nach Berichten oppositionsnaher Zeitungen soll Erdoğan getobt haben, als er | |
vom Finanzminister die Zahlen vorgelegt bekam. „Jetzt hilft nur noch | |
beten“, wird der stellvertretende Finanzminister Murat Zaman in der Zeitung | |
Birgün zitiert. Denn mittlerweile ist die Wirkung der | |
Zentralbankintervention vom 20. Dezember schon fast wieder verpufft. Für | |
einen Euro müssen statt 12 Lira bereits wieder knapp 16 Lira bezahlt | |
werden, ähnlich sieht es beim Dollar aus. Statt 11 Lira sind bereits wieder | |
knapp 14 Lira fällig. | |
Und die [3][Inflation steigt weiter]. Anfang Januar hatte die staatliche | |
Statistikbehörde zugegeben, dass die Preise 2021 nicht wie von ihr lange | |
behauptet um 20 Prozent, sondern um 36 Prozent gestiegen sind. ENAK, eine | |
unabhängige Inflationsforschungsgruppe, veröffentlichte Anfang der Woche | |
ihre Erkenntnisse. Danach betrug die Inflation 2021 sogar gut 82 Prozent. | |
Zusammen mit den Steuererhöhungen, die Anfang Januar in Kraft traten, sind | |
manche Preise, beispielsweise für alkoholische Getränke, geradezu | |
explodiert. Keine guten Aussichten für Präsident Erdoğan und seinen | |
Finanzminister Nureddin Nebati. | |
13 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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