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# taz.de -- Kritik an Vorschlag von Minister Özdemir: Essen als Luxusgut?
> Landwirtschaftsminister Cem Özdemir fordert faire Preise für
> Lebensmittel. Sozialverbände und Hartz-IV-Bezieher befürchten noch mehr
> Druck auf Arme.
Bild: „Faire Preise“ für Lebensmittel kann nur bezahlen, wer sie sich leis…
Heiligabend verbrachte Florian Wild bei seinen Eltern. Es gab unter anderem
Rouladen, Kartoffelklöße, Rotkohl, Rosenkohl und Lachs im
Blätterteigmantel. Ein Festmahl, das Wild sich selbst kaum leisten könnte.
„Ein Weihnachtessen wäre sehr schwer zu finanzieren gewesen“, sagt der
33-Jährige. Derzeit lebt er wegen einer Umschulung zum technischen Zeichner
von nur 850 Euro im Monat. Mehr als Discounteressen ist damit nicht drin.
Auch deshalb richtet er klare Worte an den neuen Ernährungsminister, Cem
Özdemir. „Der hat doch ein Rad ab!“
Im Gespräch mit der Bild am Sonntag hatte der Grüne eine Erhöhung der
Lebensmittelpreise gefordert. „Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel
mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl,
befördern das Artensterben und belasten das Klima“, sagte Özdemir.
Lebensmittel dürften jedoch kein Luxusgut werden. „Doch der Preis muss die
ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“, so Özdemir. Es gebe drei wichti…
Ziele: ein sicheres und gutes Einkommen für die Bauern, gesundes Essen für
alle sowie mehr Tierwohl, Klima- und Umweltschutz. Die Anzahl der Nutztiere
in Deutschland müsse verringert werden.
Bei Armutsbetroffenen lösen die Äußerungen Unverständnis aus. So auch bei
Florian Wild, der eigentlich anders heißt, aber wegen der Stigmatisierung
von Armut in Deutschland anonym bleiben will. Schon jetzt bemerkt er
erhebliche Preissteigerungen bei Lebensmitteln. „Vor einem Jahr bin ich
noch mit 30 Euro pro Woche ausgekommen“, sagt er – nun seien es schon 40
Euro. „Als Ramschpreise empfinde ich das nicht.“ Wenn Lebensmittel nun noch
teurer würden, wäre der Notgroschen kleiner, etwa für ein dringend nötiges
neues Handy.
## Gesunde Ernährung? Keine Chance!
Die Sozialverbände kritisieren Özdemirs Äußerungen ebenfalls. Ulrich
Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, sagte im
Gespräch mit der taz: „Wir haben jetzt schon knapp fünf Prozent
Preissteigerungen bei den Lebensmitteln.“
Vor allem Hartz-IV-Betroffene litten darunter bereits. Im Regelsatz für
einen Single-Haushalt sind ab kommendem Jahr knapp 5,19 Euro pro Tag für
die Ernährung eingerechnet. Damit „ist schon jetzt eine ausgewogene
Ernährung überhaupt nicht möglich“, sagte Schneider. Davon zeugten zwei
Millionen regelmäßige Nutzer der Tafeln. Jetzt noch mal einen draufpacken
heiße: „Die Leute haben keine Chance, sich halbwegs gesund zu ernähren.“
Auch die Union verlangte, das Soziale im Auge zu behalten. „Wir werden
jedenfalls sehr genau auf die sozialen Auswirkungen achten, denn nicht
jeder kann sich Bioprodukte leisten“, so CDU/CSU-Fraktionsvize Steffen
Bilger (CDU) zur Welt.
Ulrich Schneider fordert einen sozialen Ausgleich, um etwaige
Preiserhöhungen abzufedern – vor allem für Bezieher von Grundsicherung und
ALG II. „Wir brauchen Regelsätze, mit denen man über den Monat kommt. Und
das sind nach unseren Berechnungen etwa 650 Euro im Monat“, so Schneider.
Ab dem 1. Januar beträgt der Hartz-IV-Regelbedarf aber nur 449 Euro.
Ob es unter der neuen Bundesregierung eine spürbare Erhöhung gibt, ist
fraglich. Eine ökologische Wende gehe aber nur sozialökologisch – oder gar
nicht, so Schneider. „Man muss den Leuten soziale Sicherheit geben.“ Wenn
nicht alle mitgenommen würden, verlören die Grünen die Akzeptanz in der
Bevölkerung für umwelt- und klimapolitische Maßnahmen.
27 Dec 2021
## AUTOREN
Jörg Wimalasena
## TAGS
Cem Özdemir
Landwirtschaft
Lebensmittel
Schwerpunkt Klimawandel
Hartz IV
Boden
Cem Özdemir
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