# taz.de -- Abschied von Twitter: Tschüss, Twitter! | |
> Nach Facebook und Google verabschiede ich mich jetzt auch von der | |
> Datenkrake Twitter. Auch wenn mir manche Diskussion fehlen wird. | |
Bild: Zum Wackeln bringen und gelöscht: Twitter App | |
Mein Twitter-Account macht es sich nach der überstandenen Jahresendfeierei | |
gemütlich und wärmt seine Füße an den Hassposts rechter Trollarmeen. Was er | |
nicht weiß: Nicht nur das Jahr neigt sich seinem Ende zu. Dies ist der | |
dritte und letzte Teil des „Tschüss“-Artikeltriptychons, erst | |
[1][Facebook], dann [2][Google], jetzt Twitter – gekrönt von der Löschung | |
meines jeweiligen Social-Media-Accounts. | |
Was ist seitdem passiert? Nichts. Mir geht’s gut. Wie jemandem, der | |
erfolgreich mit Rauchen oder Fleischessen aufgehört hat: Man vergisst | |
irgendwann, warum es einmal so schwierig erschien. Ich bin nicht einsamer | |
als vorher. Nicht mal „aufgehört“ habe ich, ich benutze soziale Medien nach | |
wie vor, nur welche, die keiner meiner Freunde oder Bekannten nutzt. | |
Auch die sind geblieben – bei Facebook, Twitter oder Insta. Ein paar von | |
ihnen haben mit mir gemeinsam Alternativen ausprobiert, aber als nicht | |
sofort alle mitgezogen sind, waren sie in 24 Stunden wieder zurück in ihren | |
Datenkraken. Vielleicht fühlen sie sich nicht existent, wenn die Dosis | |
erhaltener Likes sinkt, oder für sie steht schlicht Bequemlichkeit über | |
Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung. | |
Dasselbe gilt für viele Institutionen wie die taz. Klar, für Reichweite tut | |
man alles – aber deshalb Inhalte nur dort teilen, wo mit Benutzerdaten | |
Schindluder getrieben wird? Ist es denn so aufwendig, parallel alternative | |
Plattformen zu bespielen? | |
Die jedes Mal wiederkehrende Frage: „Warum empfiehlst du nicht | |
Ello/MeWe/irgendein anderes soziales Medium?“, beruht auf einem | |
Missverständnis. Nur weil etwas neu ist, ist es keine Alternative. Man | |
sollte sich und seine Daten nicht Firmen [3][mit unseriösen | |
Geschäftsmodellen] anvertrauen. Am Ende ist der vermeintliche Kunde selbst | |
das Produkt und die Privatsphäre im Eimer. Richtige Alternativen sind Open | |
Source, sie sind dezentral und erlauben der Benutzerin zu entscheiden, was | |
sie mit ihren Daten machen möchte. | |
Dabei kann gerade Twitter Sinn und Spaß machen: Überfällige Diskussionen | |
wie #MeToo, [4][geistreiche Memes und rhetorische Perlen], manchen ersetzt | |
Twitter die Dating-App, andere [5][finden hier Jobs]. Intellektuell | |
privilegierte Journalistinnen streiten sich hier mit finanziell | |
privilegierten Rechtskonservativen, mit Politikern und Lobyistinnen, mit | |
Institutionen und Extremen aller Couleur. Twitter hat auch Macht; wer hier | |
vorn mitmischt, wird in der Welt der Entscheider gehört. | |
Ich gebe es gern zu: Immer wenn ich eingeloggt war, war es eine Freude, in | |
diesen Bullshit hineinzutauchen. In die Tweets von Leuten, die sich in | |
Originalität und Witzigkeit übertreffen. Die pubertären | |
Zündet-alle-Männer-an-Provokationsposts und all die creepy Antworten von | |
alten weißen Männern, die nicht auf die Uhr geguckt haben. | |
Debatten, in denen es nicht darum geht, jemanden mitzunehmen, nur darum, | |
den besseren Schnitt zu machen, um Anerkennung und Likes aus der eigenen | |
Bubble und darum, im Gespräch zu bleiben. Brillanz in 280 Zeichen. | |
Flatearther oder Neurechte, die mit den Schriften der Autorin Ayn Rand | |
ihre Ideologie untermauern und einen uneingeschränkten Kapitalismus | |
fordern. Wie oft haben ihre Tweets mich so getriggert, dass ich eine mehr | |
oder weniger geistreiche Entgegnung in die Tasten haute, nur um sie später, | |
wenn es peinlich war, sich an diesem Zirkus beteiligt zu haben, wieder zu | |
löschen. | |
Glaubt man ein paar verschlafenen Politikerinnen und Journalisten, ist | |
nicht der Datenmissbrauch das Hauptproblem sozialer Medien, sondern die | |
Hassposts. Soziale Medien wie Twitter und Facebook fördern und profitieren | |
von Polarisierung und Blasenbildung und das ist ein Problem, aber sie | |
schreiben diese Posts nicht. Die Politik fühlt sich, wie generell mit | |
Sozialem, auch mit Social Media überfordert und versucht, die Verantwortung | |
an die Betreiber der Portale abzuwälzen. Das ist doppelt falsch. | |
Zum einen können diese die Aufgabe gar nicht erledigen. Und schicken ihre | |
Filter los, „Algorithmen“, die etwa so intelligent sind wie ein Glas Milch | |
und [6][alles Mögliche mitlöschen], das eher unter Meinungsfreiheit fällt | |
und gar nicht gelöscht werden sollte. Zum anderen wird damit ein wichtiger | |
Teil rechtsstaatlicher Verantwortung in die Hände international | |
operierender Konzerne gelegt. | |
Hartnäckig hält sich das Gerücht, Twitter sei im Gegensatz zu Facebook | |
irgendwie okay. Es gibt keine Klarnamenpflicht, und wo kann schon ein | |
Problem mit Datenschutz sein, wenn doch eh alles öffentlich ist? Genauso | |
wenig wie bei Twitter alles öffentlich ist, ist es harmlos. Twitter weiß | |
genau, was und wen jede Einzelne seiner Benutzerinnen (nicht) mag. Wie bei | |
Facebook [7][wurden auch bei Twitter wiederholt Daten weitergegeben], die | |
nicht hätten weitergegeben werden sollen. | |
2020 begannen Paul Singer und sein Hedgefonds „Elliott Management“, [8][im | |
großen Maßstab Twitter-Aktien] zu kaufen, mit dem erklärten Ziel, den | |
misswirtschaftenden Twitter-CEO und Mitbegründer Jack Dorsey loszuwerden. | |
Sofort stieg Twitters Wert an der Börse. Im November 2021 verließ Dorsey | |
Twitter und wurde von seinem langjährigen CTO Parag Agrawal abgelöst. Wenn | |
ein Unternehmen, das die Daten seiner Kunden zu Geld macht, mehr Geld | |
machen muss, was wird es wohl tun? | |
Das sind jetzt nicht mehr meine Probleme. Der Twitter-Account ist gelöscht. | |
Den Kindern davon zu erzählen, bringt nichts, sie wissen nicht mal was | |
Twitter ist, sie kennen nur Tiktok, Snapchat und Insta. Da werde ich mich | |
aber bestimmt nicht anmelden, nur um weitere Artikel schreiben und mich | |
dort wieder löschen zu können. Ich bleibe bei den echten Alternativen: | |
[9][Diaspora] statt Facebook, [10][Mastodon] statt Twitter, [11][PeerTube] | |
statt Youtube, [12][Pixelfed] statt Instagram und viele andere. Wer Tweets | |
lesen möchte, ohne sich dabei einen Cookie einzufangen, kann dafür [13][die | |
Software Nitter] verwenden. | |
6 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Das-Ende-eines-Facebook-Accounts/!5472887 | |
[2] /Privatsphaere-im-Netz/!5650071 | |
[3] https://youtu.be/MDO8954hOcY | |
[4] /Die-helle-Seite-von-Twitter/!5759857 | |
[5] /Twitter-wird-15/!5756668 | |
[6] /Kommentar-Sperrungen-bei-Twitter/!5594523 | |
[7] /Unerlaubte-Datenweitergabe-bei-Twitter/!5616642 | |
[8] /Republikaner-kauft-Twitter-Anteile/!5666501 | |
[9] https://diasporafoundation.org/ | |
[10] https://joinmastodon.org/ | |
[11] https://joinpeertube.org/ | |
[12] https://pixelfed.org/ | |
[13] https://github.com/zedeus/nitter/wiki/Instances | |
## AUTOREN | |
Ulf Schleth | |
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