# taz.de -- „Harry Potter“-Theaterstück in Hamburg: Die Zeitumkehrer | |
> „Harry Potter und das verwunschene Kind“ ist ein temporeiches | |
> Vater-Sohn-Drama. Das Theater zeigt sich dabei als faszinierende | |
> Wunschmaschine. | |
Bild: Jungzauberer am Werk: Vincent Lang als Albus Potter | |
Was für ein Traum – durch die Zeit zu reisen. In H. G. Wells’ Roman „Die | |
Zeitmaschine“ (1895) geht diese Reise in die Zukunft, um zu staunen, was | |
sich alles ändern wird (was aber auch nicht). Im „Terminator“-Filmfranchise | |
hingegen führt die Reise zurück, um den Lauf der Ereignisse zu korrigieren | |
– ein beliebtes Motiv. | |
Von solchem Wunschmaschinen-Traum handelt auch [1][„Harry Potter und das | |
verwunschene Kind“], seit [2][Anfang Dezember] in Hamburg zu sehen. | |
Vielleicht muss man sich Autorin J. K. Rowling als Raubritterin vorstellen? | |
Als eine, die dieses, nun Bühnenstück aus den vielen Gestalten ihres über | |
die Jahre riesig gewordenen Potter-Universums – sieben Romane, acht | |
Spielfilme – kreiert hat und dabei lustvoll-hemmungslos aus der | |
literarisch-kulturellen Tradition schöpft? | |
Harry Potter (Markus Schöttl), inzwischen 40 Jahre alt, ist zum | |
Aktenfresser geworden. Die Magie der Bürokratie im Zauberministerium hat | |
ihn ermattet. Er hofft, sein Sohn Albus Severus (Vincent Lang) werde die | |
Zauberschule Hogwarts erfogreich absolvieren – aber genau das widerstrebt | |
dem Sprössling. | |
Gleich im Zug auf Gleis 9 3/4 des Bahnhofs King’s Cross schließt er | |
Freundschaft mit dem Eigenbrötler Scorpius Malfoy (Mathias Reiser). Beide | |
wollen partout nicht werden wie ihre Väter, suchen deren Erwartungen | |
keineswegs zu erfüllen. | |
„Harry Potter und das verwunschene Kind“ ist ein Potpourri aus | |
Vater-Sohn-Drama, Freundschafts-, Helden- und Schauergeschichte. Auch der | |
Kampf zwischen Gut und Böse geht in die nächste Generation: Uns begegnet – | |
ganz geschlechtergerecht – Voldemorts Tochter. | |
Albus und Scorpius trauen sich was. Ihnen fällt ein „Zeitumkehrer“ in die | |
Hände, durch den sie sich ermächtigt sehen, die Geschichte zu verändern. | |
Das Publikum sieht also zwei Jungzauberern dabei zu, was sie im Glauben an | |
die eigene Allmacht anrichten. | |
Mit Hilfe des Apparats wollen sie den Verlauf des Trimagischen Turniers | |
korrigieren: Dieser Wettkampf der Zauberschulen hatte stets zahlreiche | |
Opfer gefordert, darunter auch einen von Harry Potters Mitschülern in | |
Hogwarts, Cedric Diggory (Felix Radcke). Die beiden wollen erreichen, dass | |
Cedric am Leben bleibt. | |
Das ist zwar gut gemeint, aber schlecht bedacht: In ihrer Naivität | |
übersehen die Nachwuchszauberer, dass jeder Eingriff in den Lauf der | |
Ereignisse unbeabsichtigte Folgen zeitigt. Dreimal versuchen sich die | |
beiden an einer Korrektur der Korrektur, um Cedric Diggorys Tod doch noch | |
rückgängig zur machen – alles vergeblich: J. K. Rowling hat auch Goethes | |
„Zauberlehrling“ gelesen. | |
Die temporeiche Aufführung im Hamburger „Mehr! Theater“ überzeugt mit ein… | |
spielfreudigen Ensemble und dessen hervorragender Sprechkultur. | |
Eindrucksvoll wie das Bühnenbild ist auch das Sounddesign: Knochen | |
knirschen bei staunenswerten Körper-Verwandlungen. Und schmatzend | |
verschlingen die Bände eines Bücherregals die neugierig nahenden | |
Zauberschüler. | |
Wie bei einer Steißgeburt purzeln die ungebetenen Besucher durch das | |
Kaminloch ins Hogwarts-Direktorinnen-Zimmer. Dementoren schweben über den | |
Köpfen des Publikums, und auch Voldemort hat einen schaurigen Auftritt.Das | |
Theater zeigt sich als faszinierende Wunschmaschine, Spaß und Schrecken | |
liegen so nah beieinander wie Gut und Böse. Nicht auszudenken, wenn wir das | |
Rad der Geschichte zurückdrehen könnten, und alles sich wendete, wie wir es | |
uns vorstellen. | |
7 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Theater-Fortsetzung-von-Harry-Potter/!5327841 | |
[2] /Harry-Potter-Theater-in-Hamburg/!5808807 | |
## AUTOREN | |
Frauke Hamann | |
## TAGS | |
Harry Potter | |
Musical | |
Hamburg | |
Spielfilm | |
Spielfilm | |
Musical | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film „Annette“ von Leos Carax und Sparks: Liebe macht krank | |
Der Regisseur Leos Carax hat ein Musical der Pop-Band Sparks verfilmt. | |
„Annette“ ist ein furioser und albtraumhafter Trip. | |
Remake der „West Side Story“ im Kino: Kein Ort für die Hoffnung | |
Steven Spielbergs Remake des Musicals „West Side Story“ ist ein rasantes | |
Meisterwerk. Kulturpessimismus trifft darin auf optische Opulenz. | |
„Eiskönigin“ als Musical in Hamburg: In der Illusionsmaschine | |
Der Disney-Stoff von der Liebe zweier Schwestern kommt beim Publikum gut | |
an. Die Frage ist nur: warum? |