| # taz.de -- Geschichte dreier Bremer Buchhändler: „Nicht die richtigen Frage… | |
| > Vor 150 Jahren wurde Anni Leuwer geboren. Ein Gespräch mit Guenter G. | |
| > Rodewald, dessen Vater bei Leuwer lernte – und überzeugter Antisemit war. | |
| Bild: In den „Braunen Laden“ wechselte Rodewalds Vater nach seiner Ausbildu… | |
| taz: Herr Rodewald, wir wollen über drei sehr unterschiedliche Bremer | |
| Buchhändler:innen sprechen. Einer sind Sie selbst und eine andere ist | |
| Anni Leuwer, die an Heiligabend vor 150 Jahren geboren wurde. Was verbindet | |
| Sie mit ihr? | |
| Guenter G. Rodewald: Als Bremer kennt man natürlich die Buchhandlung Leuwer | |
| als gute Adresse, heute Am Wall 171. Aber mir wurde erst spät bewusst, dass | |
| es sich um eine „arisierte“ Buchhandlung handelt. Anni Leuwer kam aus einer | |
| jüdischen Familie – ihre Mutter war eine Ballin – und musste die | |
| Buchhandlung unmittelbar nach der „Machtergreifung“ an ihre „arischen“ | |
| Mitarbeiter Spiegel und Kamloth abtreten. | |
| Leuwer war Bremens wichtigste Buchhandlung mit Dutzenden Angestellten und | |
| vielen Filialen – sogar an Bord der Lloyd-Liner wie der „Bremen“. | |
| Ja. Dazu kamen Buchhandlungen auf Borkum, Spiekeroog und Wangerooge. Dort | |
| verbrachte ein Großteil der norddeutschen Bildungsbürgerschaft den Sommer | |
| und benötigte Lesestoff. Ursprünglich war Anni Leuwer aber gar nicht | |
| Buchhändlerin, sondern Dentistin – eine der ersten Deutschlands. | |
| Es gibt die Geschichte, dass ihr späterer Mann Franz immer wieder mit | |
| vorgetäuschten Zahnschmerzen bei ihrer Praxis am Schüsselkorb vorsprach … | |
| … und damit hatte er auch irgendwann Erfolg. Es ging den beiden dann sehr | |
| gut, das Haupthaus in der Obernstraße 14 mit Kunstsalon und Verlag wurde zu | |
| einem geistigen Mittelpunkt der Stadt. | |
| Hat ihr diese gesellschaftliche Verankerung später geholfen? Zu | |
| Hausfreunden gehörten ja Leute wie Rudolf Alexander Schröder, | |
| Kunsthallen-Direktor Waldmann und Richard Strauss. | |
| Mir ist nicht bekannt, dass Anni Leuwer 1933 prominente Unterstützung | |
| bekommen hätte. Gerade der Norddeutsche Lloyd drängte auf eine rasche | |
| „Arisierung“ des Unternehmens. Anni Leuwer bekam anfangs eine monatliche | |
| Rente, musste später aber ihr Haus in der Bismarckstraße verlassen. 1942, | |
| siebzigjährig, wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Fünf Monate später | |
| war sie tot. | |
| Ihr Vater war 1931 Lehrling bei Leuwer. Zugleich trat er in die NSDAP ein. | |
| Wie ging das zusammen? | |
| Das würde ich ihn auch gerne fragen. Vielleicht war Leuwers Renommee | |
| wichtiger als die jüdische Lehrherrin. Am 1. Mai 1933 wechselte er zur | |
| Firma „Brauner Laden Wirtz & Co. G.m.b.H. Bremen“, Ausstatter für | |
| Uniformen, Ausrüstungen und sämtliches Propagandamaterial der NSDAP. Die | |
| hatten eine eigene Buchabteilung in der Bahnhofstraße 1. Ich erinnere mich | |
| an ein Foto aus dieser Zeit, das ein Sonderfenster zeigt mit dem Titel | |
| „Gegen Juda den Satan der Welt und seine Helfer die Freimaurer“. | |
| Mit den Büchern hat er sich dann selbstständig gemacht? | |
| Ab 1934 hat er das selbständig fortgeführt, unter dem Namen „Nordische | |
| Buchhandlung Wilhelm Rodewald“, mit Porträts von Göring und Röhm an der | |
| Wand. | |
| Hat Ihr Vater noch erlebt, dass Sie ebenfalls Buchhändler wurden – als Teil | |
| des linksradikalen Kollektivs, das den „Buchladen im Ostertor“ betrieb? | |
| Nein, aber es hätte ihn gefreut – nicht die politische Richtung, aber die | |
| berufliche Orientierung. Und sicher mehr noch mein späterer Beruf als | |
| Literaturagent. | |
| Kann man das wirklich so trennen? | |
| Er hat schon noch mitgekriegt, wie meine politische Entwicklung war. Und | |
| hat das ebenso akzeptiert wie, kurz vor seinem Tod 1978, meine | |
| Homosexualität. | |
| Was hat er nach 1945 getan? | |
| Zunächst hatte er Berufsverbot, dann gab es wieder eine Buchhandlung unter | |
| seinem Namen, nur ohne das „nordisch“ natürlich. Als Schüler war ich da | |
| gern, ich mochte die Atmosphäre und wie er da arbeitete. Damals kannte ich | |
| allerdings seine Vergangenheit nicht. Wir wussten, dass er bei der SA | |
| gewesen war, aber all’ das war nie Thema bei uns zu Hause. | |
| Wie gehen Sie heute mit Ihrem Wissen um? | |
| Ich bemühe mich darum, dass der Bremer Buchhandel in der NS-Zeit gründlich | |
| erforscht wird. Mich treibt das sehr um – aus den persönlichen Gründen, | |
| aber auch darüber hinaus. Ich mache das für mich, und irgendwie mache ich | |
| das auch für meinen Vater, an den ich persönlich ja gute und liebevolle | |
| Erinnerungen habe. Leider habe ich ihm, als er noch lebte, nicht die | |
| richtigen Fragen gestellt. | |
| Wie funktioniert diese Vorstellung von „Stellvertretung“? | |
| Man erhofft sich bei solchen Recherchen, dass unter Umständen Tatsachen | |
| auftauchen, die das Bild des Vaters zumindest in Teilen ein wenig aufhellen | |
| könnten – aber befürchtet gleichzeitig doch, dass es womöglich schlimmer | |
| kommt, als man bislang schon annahm oder wusste. Ich kann nichts von dem | |
| gutmachen, was zu Lasten meines Vaters geht. Aber ich fühle eine | |
| Verpflichtung, Licht in das Dunkel zu bringen, was zu Lasten meines | |
| Berufsstandes vor, während und nach der NS-Zeit geht. Und es geht darum, | |
| Anni Leuwer, dieser Frau und Person und Kollegin, diesem Menschen und ihrer | |
| Familie, zumindest posthum ein wenig – ich benutze bewusst das abgenutzte, | |
| aber immer noch sinngebende Wort – „Wiedergutmachung“ widerfahren zu | |
| lassen. | |
| In Hannover gründete Antonie Leeser 1919 ihre Buchhandlung – als einzige | |
| Frau in einer Männerdomäne, bis sie 1936 enteignet wurde. Hatten unter den | |
| auch ökonomisch emanzipierten Frauen besonders viele jüdische Wurzeln? | |
| Das könnte durchaus sein und mit dem Stellenwert der Bildung | |
| zusammenhängen, die es im Judentum als Buchreligion gibt. Aber auch das | |
| sind Fragen, die man bei einer genaueren Befassung mit der Geschichte des | |
| Buchhandels in der NS-Zeit klären müsste. In Bremen war das jedenfalls eine | |
| verschworene Männergemeinschaft. Die wurde zum ersten Mal aufgeschreckt, | |
| als Bettina Wassmann 1969 aus Berlin zurück nach Bremen kam und einen | |
| „Buchladen“ aufmachte – schon der Begriff war eine Provokation. Und dann | |
| durfte sie noch an der neuen Bremer Uni eine Filiale aufmachen. Zwar wurde | |
| die „rote Kaderschmiede“ von den Buchhändlern abgelehnt, aber diesen | |
| Auftrag hätten sie dann doch gern gehabt. Buchhändler haben ja auch etwas | |
| Krämerisches … | |
| Bettina Wassmann verkehrte in marxistischen Kreisen – und hat den | |
| Buchhandel ausgerechnet bei Ihrem Vater gelernt. Wie passt das wieder | |
| zusammen? | |
| Na ja, zu ihrer Lehrzeit war sie noch ziemlich jung und mein Vater hatte | |
| einen sehr guten Ruf als Ausbilder. Aber es gibt in der Tat viele Dinge in | |
| der Welt des Buchhandels, über die man sich sehr wundert! | |
| 24 Dec 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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