# taz.de -- Kunst aus dem Kunstautomaten: Ein Gruß aus dem Atelier | |
> Kunst aus der Schachtel. Die kann man seit 20 Jahren aus den | |
> Kunstautomaten kaufen, die der Potsdamer Lars Kaiser betreibt. | |
Bild: Was man aus dem Automaten zieht, ist Zufall | |
„Warnung, diese Kunst kann verwirren, erhellen, aufregen und süchtig | |
machen!“, steht auf den kleinen Schachteln, die die Größe einer | |
Zigarettenpackung haben. Man kann sie für zwei bis vier Euro aus dem | |
Automaten ziehen. Was die Käufer:innen bekommen, ist Zufall. Bilder, | |
Collagen, Fotos, Objekte, kleine Skulpturen – alles, was in die Schachtel | |
passt, können die teilnehmenden Künstler:innen im Kunstautomaten | |
verkaufen. | |
„Es ist ihr kleiner Kunstraum, in dem sie in einer 5 mal 8 mal 2 cm großen | |
Schachtel ausstellen“, erzählt Lars Kaiser, der Gründer des Projekts. | |
Angefangen hat alles im Jahr 2000. Damals hatte der gelernte Restaurator | |
mit Mitte zwanzig eine kleine Galerie an der Eberswalder Straße in | |
Berlin-Prenzlauer Berg. Dort verkaufte er bereits kleine Sachen wie Bilder | |
und Objekte zum Mitnehmen für zwei D-Mark. Durch Zufall kam Kaiser zu einem | |
alten Blumenstraußautomaten. Mit diesem entstand die Idee, [1][Kunst im | |
Automaten zu verkaufen]. | |
Er begann, nach ausrangierten Zigaretten- und Kondomautomaten zu suchen und | |
sie zu Kunstautomaten umzubauen. Die Schachteln bastelten und befüllten er | |
und seine Freunde damals selbst. Mittlerweile werden die Schachteln von | |
einer Kartonfirma hergestellt, er befüllt sie aber immer noch alle von | |
Hand, gemeinsam mit seiner Frau, Jeanne van Dijk, die mit ihm das Projekt | |
leitet. | |
Allein in Berlin stehen heute über 30 Kunstautomaten. Viele weitere gibt es | |
in Potsdam, und in ganz Deutschland sind es mittlerweile über 300 Stück. | |
Sogar in Belgien, Holland, Spanien, Österreich, Frankreich und seit Kurzem | |
auch in Neuseeland stehen ein paar. | |
Man findet sie an verschiedenen Orten: in Bars, Clubs, Hotels, an | |
öffentlichen Plätzen, Häuserfassaden – oder auch wie zum Beispiel in | |
Potsdam auf einem Campingplatz. | |
## Über Kunst kommunizieren | |
„In jeglichen Situationen – ob es nun in einer Bar oder auf der Straße ist. | |
Da hängt auf einmal so ein Kunstautomat, mitten im urbanen Raum. Der | |
Konsument muss sich dafür nicht in eine Galerie oder ein Museum begeben. | |
Die Kunst ist auf einmal da, im ganz normalen Leben. Wo man auch Kontakt zu | |
den Künstlern aufnehmen kann und über die Kunst kommunizieren kann“, sagt | |
Kaiser. | |
Denn in jeder Schachtel Kunst liegt ein Lebenslauf der Künstler:innen | |
mit ihren Kontaktdaten sowie ein Beipackzettel, der dazu aufruft, sich „bei | |
Freude oder Nicht-Freude über die Kunst“ mit den Künstler:innen in | |
Verbindung zu setzen. | |
Und genau das tun viele der Käufer:innen. So erzählt Kaiser von einem | |
80-jährigen Künstler, der ihm sagte, dass er seit 60 Jahren in der | |
Kunstszene aktiv ist und in der ganzen Zeit noch nie so viel Austausch über | |
seine Kunst hatte wie durch die kleinen Bilder, die er im Kunstautomaten | |
verkauft. | |
Mit seinen Automaten geht es Kaiser auch darum, „die Kunst wieder ins | |
normale Leben zu holen. Denn im Gegensatz zu früher wandert sie heute in | |
ihrer eigenen elitären Blase und ist nicht mehr so offen für alle“. | |
## Die Nähe zur Kunst wiederherstellen | |
Der 46-jährige Potsdamer erzählt von den 90er Jahren, in denen sie Partys | |
in der Galerie feierten und miteinander über die Kunst sprachen. Er sagt: | |
„Heute ist die Kunst total im Vordergrund. Du gehst in eine Galerie rein | |
und es ist ruhig wie in einer Bibliothek, du guckst dir das Bild an und | |
sprichst so gepflegt wie möglich darüber und vor allem fehlt völlig der | |
Bezug zum Künstler.“ Seiner Meinung nach war man früher viel näher an den | |
Künstler:innen dran. Diese Nähe möchte er mit seinen Automaten wieder | |
aufbauen. | |
Gerade junge Menschen würden oft Kunst am Automaten kaufen und sich bei | |
ihnen für ihre Arbeit bedanken. Viele von ihnen sagen, dass sie, wenn sie | |
in eine Galerie gehen, gar nicht beachtet werden würden oder Hemmungen | |
hätten, überhaupt hinzugehen. Durch die Kunstautomaten „wagen junge | |
Menschen so den Einstieg in die Kunst“, sagt Kaiser. | |
Insgesamt verkaufen heute [2][über 500 Künstler:innen] regelmäßig ihre | |
Kunst in den kleinen Pappschachteln. Lars Kaiser kennt alle persönlich. Er | |
und seine Frau fahren mindestens zwei Tage in der Woche mit ihrem Wohnmobil | |
in Deutschland umher, um sich um Automaten zu kümmern und Künstler:innen | |
zu besuchen. Für diese ist die Kunst in der Schachtel auch eine | |
Visitenkarte für ihre Arbeit. Zum einen als Werbung: Es gibt Leute, die | |
dadurch große Werke von ihnen kaufen. Zum anderen vernetzen sich | |
Künstler:innen über die Automaten überregional miteinander. | |
„Die Kunst in der Schachtel ist wie ein Gruß aus dem Atelier, so wie der | |
Gruß aus der Küche im Restaurant“, sagt Kaiser. Er ist der Meinung, dass | |
sich durch seine Kunstautomaten vielleicht auch das Verständnis von Kunst | |
verändern kann – denn diese zeigen: Kunst kann überall sein. | |
26 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kunstautomaten.com/ | |
[2] https://www.kunstautomaten.com/kuenstler-innen.html | |
## AUTOREN | |
Undine Weimar-Dittmar | |
## TAGS | |
Kunstmarkt | |
Galerie | |
Kunst | |
Automaten | |
Kunst | |
taz Plan | |
Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ausstellung im Hamburger Bahnhof: Damit Kriegen die Luft ausgeht | |
Die Ausstellung „Church for Sale“ ist überraschend politisch. Werke zu | |
Themen wie Armut und Gentrifizierung stammen aus der Sammlung Haubrok. | |
Kunst auf Abstand: Ein Hoch auf die Fenster | |
Auf Spaziergängen kann man oft immerhin von außen in die Galerien | |
hineinspähen. Am Sonntag könnte sich das in Berlin besonders lohnen. | |
Kunst-Versteigerung „Direkte Auktion“: Tarantino, Trockel, Rauch | |
Künstler*innen sind die größten Pandemie-Verlierer. Nun werden mehr als 400 | |
Kunstwerke versteigert. Die Erlöse gehen größtenteils direkt an Urheber. |