# taz.de -- Racial Profiling auf St. Paui: Hamburg will weiter diskriminieren | |
> Das Gericht hatte Barakat H. Recht gegeben, der die Hamburger | |
> Innenbehörde wegen Racial Profiling verklagt hatte. Nun geht die Behörde | |
> in Berufung. | |
Bild: Demo gegen Racial Profiling im Juli 2020 auf St. Pauli: Geändert hat sic… | |
HAMBURG taz | Es war klar, dass die Hamburger Innenbehörde das nicht auf | |
sich sitzen lassen würde: Vor gut einem Jahr hatte Barakat H. als erster | |
schwarzer Mensch in Deutschland [1][von einem Gericht recht bekommen, weil | |
die Polizei ihn ständig anlasslos kontrolliert]. Dagegen geht die | |
Innenbehörde nun in Berufung, am 19. Januar soll der Prozess stattfinden. | |
H. wohnt auf St. Pauli und wurde von den dort fast rund um die Uhr | |
patrouillierenden Polizist*innen mehrfach auf dem Weg zum Supermarkt, | |
zum Sport, zum Deutschkurs oder zu Freund*innen auf seine Personalien und | |
auf Drogenbesitz oder -handel kontrolliert. Die Hamburger Polizei meint das | |
zu dürfen, [2][weil St. Pauli als „gefährlicher Ort“ gilt], an dem | |
Bürger*innen mit gewissen Grundrechtseinschränkungen wie einer | |
niedrigeren Schwelle für Identitätsfeststellungen leben müssen. Grund für | |
die Einstufung als „gefährlicher Ort“ sei das vermehrte Handeln mit | |
Betäubungsmitteln. | |
Das Gericht sah das aber anders und erklärte zwei von drei der Situationen, | |
die H. zur Anzeige gebracht hatte, für rechtswidrig. „In beiden Fällen | |
lagen die Voraussetzungen einer Identitätsfeststellung nicht vor“, stellten | |
die Richter*innen fest. Denn einfach so oder nur auf vagen Verdacht hin | |
dürfe niemand kontrolliert werden, auch nicht an einem „gefährlichen Ort“. | |
„Es müssen gewisse Anhaltspunkte für einen Bezug der kontrollierten Person | |
zur entsprechenden Gefahr – hier also der Betäubungsmittelkriminalität – | |
vorliegen“, so die Richter*innen. Einen dritten Fall hatte der Kläger im | |
Laufe des Verfahrens selbst zurückgezogen, einen weiteren hatte er schon | |
2017 angezeigt und damals bereits recht bekommen. | |
## Einen Polizeizeugen befand das Gericht für unglaubwürdig | |
Die Frage, [3][ob das anlasslose Kontrollieren von Barakat H. als Racial | |
Profiling zu bewerten sei], ließ das Gericht allerdings unbeantwortet. Weil | |
es nicht einmal vage Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit des Klägers zur | |
Drogenszene gegeben habe, hätte er nicht kontrolliert werden dürfen. Ob | |
seine Hautfarbe für die Polizist*innen ein Grund für die | |
Identitätsfeststellung war, mussten die Richter*innen nach eigener | |
Auffassung dann gar nicht mehr prüfen, weil die Kontrolle ja schon von | |
vornherein rechtswidrig war. | |
Für Barakat H. und seinen Anwalt Carsten Gericke war das Urteil trotzdem | |
ein großer Erfolg: „Das Verwaltungsgericht hat die Freiheitsrechte | |
grundlegend gestärkt“, kommentierte Gericke die Entscheidung. | |
[4][Die Innenbehörde] fordert das Oberverwaltungsgericht nun auf, die Fälle | |
erneut zu prüfen und festzustellen, dass die beiden Kontrollen im November | |
2017 und April 2018 sehr wohl rechtmäßig waren. Die Auffassung des | |
Gerichts, es müsse ein Verdacht bestehen um jemanden zu kontrollieren, sei | |
falsch, argumentiert die Innenbehörde auf knapp 80 Seiten in ihrem | |
Berufungsantrag. | |
Die Richter*innen des Verwaltungsgerichts hatten einen Polizeizeugen, | |
der an einer der Kontrollen beteiligt war, für unglaubwürdig erklärt, weil | |
seine Aussagen ihnen widersprüchlich und nicht stimmig erschienen. Auch | |
dagegen geht die Behörde vor: Es sei normal, dass sich ein Polizist drei | |
Jahre später nicht mehr genau an die Details eines Einsatzes erinnern | |
könne, vor allem, wenn er dauernd solche Einsätze durchführe. Das mache den | |
Zeugen nicht unglaubwürdig. | |
## Schlendern durch St. Pauli ist noch nicht verdächtig | |
Der Polizist hatte ausgesagt, Barakat H. und sein Freund hätten in der | |
betreffenden Situation, als sie mit einer Sporttasche bepackt die | |
Reeperbahn überquerten, ein konspiratives Verhalten gezeigt, sich mehrmals | |
umgeschaut, seien sehr eng beieinander gelaufen und hätten ihren Schritt | |
beschleunigt, als sie die Beamt*innen erblickt hätten. | |
H. und sein Freund, der ebenfalls als Zeuge vor Gericht aussagte, hatten | |
dagegen behauptet, sie seien ziemlich entspannt auf dem Rückweg vom Sport | |
gewesen und hätten auch beim Anblick der Beamt*innen nicht besonders | |
reagiert, da der Anblick auf St. Pauli normal sei. | |
Die Richter*innen hielten dazu fest: „Der bloße Umstand, dass zwei junge | |
Männer sich vertraut unterhaltend durch St. Pauli gehen, ist nicht | |
geeignet, den Verdacht eines Betäubungsmitteldelikts zu begründen.“ Auch | |
ein Blick über die Schulter reiche nicht aus, ein konspiratives Verhalten | |
oder den Verdacht der Zugehörigkeit zur Betäubungsmittel-Szene zu | |
begründen. | |
Darauf erwidert die Polizei nun: Dann ließen sich alle verdächtigen | |
Verhaltensweisen mit alltäglichen Umständen begründen. Sämtliche | |
polizeilichen Maßnahmen wären dann nicht mehr rechtmäßig. Und sie fügt | |
hinzu: Selbst im Falle der Feststellung, dass der Kontrollierte Anwohner | |
sei und Einkäufe dabei habe, sei nicht ausgeschlossen, dass er neben seinen | |
Einkäufen auch Betäubungsmittel erworben oder damit gehandelt habe. | |
H. und sein Anwalt Gericke bedauern, dass das Gericht den Fall wieder | |
aufnehmen will. Es sei sehr zu begrüßen gewesen, dass das | |
Verwaltungsgericht in erster Instanz einen Weg aufgezeigt habe, das Racial | |
Profiling auf St. Pauli zu begrenzen. Nun wolle die Polizei offenbar | |
durchsetzen, dass völlig alltägliche Handlungen von schwarzen Menschen | |
weiterhin ausreichen, um als mutmaßlicher Drogendealer angesehen und auf | |
offener Straße kontrolliert werde zu dürfen. „Diese polizeiliche | |
Kontrollpraxis ist stigmatisierend und diskriminierend“, sagte Gericke. | |
16 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-zu-Polizeikontrollen-in-Hamburg/!5725938 | |
[2] http://www.grundrechte-kampagne.de/content/st-pauli-1-%E2%80%9Egef%C3%A4hrl… | |
[3] /Racial-Profiling-vor-Gericht/!5702204 | |
[4] /Pimmelgate-offiziell-beendet/!5808590 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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