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# taz.de -- Ausstellung „Tierisch schön?“: Die geldscheißende Kröte
> Die Ausstellung „Tierisch schön?“ im Deutschen Ledermuseum in Offenbach
> fordert zur Positionierung auf. Die Stadt war lange Zentrum der
> Lederproduktion.
Bild: Auf wilden Tieren chillen: Der „Cake Stool“ der Campana Brothers aus …
Wie ein Kobold scheint sich das Wesen ans Mode-Accessoire heranzupirschen.
Allein es kann schon lange nicht mehr pirschen, es ist leidlich ausgestopft
und mit tragikomischem Knopfblick versehen worden. So ziert das Mini-Reptil
nun die kleine Handtasche, die ihrerseits aus Reptilienleder gefertigt
wurde. Das getötete Tier als Trophäe auf der Haut seiner Artgenossen: Man
muss kein ausgewiesener Tierrechtsaktivist sein, um einigen Grusel bei
dieser Konstruktion zu empfinden.
Im benachbarten Schaukasten wird es kaum weniger arg: Dort spuckt ein
Krötenhinterteil Geldmünzen aus. Monika Jarosz hat das Portemonnaie für das
Pariser Label Kobja angefertigt, aus einem ganzen Tier.
Hier die dekadent zur Schau getragene Grausamkeit, dort das ethisch
korrekte, funktionale Lederobjekt? So leicht wird es einem diese
Ausstellung nicht machen. Denn die Geldbörse beispielsweise entstand in
Zusammenarbeit mit regionalen Umweltschützern – bei besagter Kröte handelt
es sich um eine invasive Art, massive Bedrohung für die ozeanische Flora
und Fauna. Die Designerin verarbeitete die gefangenen Tiere lediglich
weiter, zu Luxusobjekten mit Goldanstrich und Swarovski-Kristallen.
## Eine der weltweit größten Sammlungen
Zu entdecken gibt es beide Accessoires in der Ausstellung „Tierisch
schön?“, die sich als Parcours durchs Deutsche Ledermuseum (DLM) in
Offenbach zieht. Ursprünglich war sie als Beitrag zum „Artentreffen“
konzipiert, das die Rüsselsheimer Opelvillen 2020 initiiert hatten (wo man
übrigens aktuell die „Kunst für Tiere“ besuchen kann). In Offenbach widmet
man sich nun unserem Verhältnis zum Nutztier und dessen Produkten, oft in
Form tragbarer Objekte.
Offenbach war lange Zeit deutsches Zentrum der Lederproduktion, das DLM
besitzt eine der weltweit größten Sammlungen, einschließlich Fell- und
Federobjekte. Aber es geht hier eben schon länger auch um die Frage, welche
Alternativen und Zukunftsszenarien die Geschichte des Materials
bereithält.
Ein passender Zeitpunkt: Die Lederproduktion und ihre Begleitumstände
werden auch in Modemagazinen immer kritischer beäugt, derweil die eifrige
Suche nach möglichen Alternativen auf Hochtouren läuft. Die können
durchaus, klar, auch zur eigenen Markenbildung taugen. So präsentierte
Gucci in diesem Sommer „Demetra“, das angeblich erste tierfreie
Ledermaterial der Welt – so wurde es nicht vom Luxuslabel selbst, aber von
manchen Redaktionen gefeiert. Der biofreundliche Materialmix ähnelt Leder
nicht nur äußerlich und haptisch erstaunlich, sondern soll auch ähnlich
gute Eigenschaften mitbringen.
## Ist lederfreie Produktion nachhaltiger?
„Tierfreies Leder gibt es nicht,“ sagt wiederum Inez Florschütz, Direktorin
des DLM und Kuratorin der aktuellen Ausstellung. Denn Leder ist die
verarbeitete Haut getöteter Tiere. Aber es gibt interessante Alternativen.
Auch jenseits der Imitation: Florschütz zeigt einen Sneaker, der nicht nur
komplett aus pflanzlichen Überresten hergestellt worden ist, sondern ebenso
vollständig in Wald und Wiese verrotten soll. Andere Objekte sind aus
recycelten Kunststoffen im 3-D-Drucker erstellt oder aus dem aktuell so
angesagten Pilzgewebe, das als eine Art Wundermaterial gepriesen wird.
Wer heute tierfrei leben möchte, findet also etliche Beispiele, um dies
auch modisch zu tun. Aber ist so eine lederfreie Produktion auch
nachhaltiger? Kommt auf die Definition an. Nähme man die
Kreislaufwirtschaft zum Ideal, dann wäre die vollständige Verwertung eines
Tieres naheliegend. Die findet ohnehin bereits zu einem großen Teil in
unsichtbaren Sphären statt, werden doch tierische Bestandteile in
Medikamenten, Möbeln und zahlreichen anderen Produkten unseres Alltags
verwendet.
## Hippieskes Flower-Power-Objekt
Florschütz zeigt einen Parka, den Inuit Ende des 19. Jahrhunderts aus
getrockneten Därmen von Fischen gefertigt haben. Wie Papier erscheint das
kunstvoll verarbeitete und verzierte Naturmaterial. An anderer Stelle wird
ein zeitgenössischer Mantel präsentiert, für den Leder und Fell eines
Lammes komplett zu einem hippiesken Flower-Power-Objekt verarbeitet
wurden; im Schauraum des DLM kann man Fischleder und solches aus Innereien
begutachten und, wenn man mag, auch anfassen.
Auch bei der Verarbeitung kommt es eher auf das Wie als auf das Was an. Es
macht einen Unterschied, ob Leder vegetabil zum Beispiel aus Olivenblättern
oder chemisch gegerbt wird und in welchem Teil der Welt dies geschieht.
Aber ist, was im Maßstab kleiner Manufakturen funktioniert, eine Lösung für
die Massenproduktion globaler Kleiderströme? Das butterzarte,
streichelweiche Nappa ist ohne giftiges Chrom nicht zu haben. Ob dafür
prekär arbeitende Menschen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen müssen,
unterliegt vor allem ökonomischen Fragestellungen.
## Das Band zwischen Mensch und Tier
Wie stark das Band zwischen Mensch und Tier ist, zeigt sich ganz
unmittelbar an Pelz und Fell. Ein Echtpelz hat nachweislich heute das
Potenzial, Menschen in große Verzückung wie auch in rasenden Zorn zu
versetzen. Und doch will auch tierfreie Mode nicht auf Mimikry verzichten:
Zeugen Animal Prints doch von einer ganz archaischen Sehnsucht, sich das
(Wild-)Tier zum Freund oder stärkenden Komplizen zu machen.
Eine Schauvitrine zeigt einen Pelzmantel gegenüber einem tierfreien
Exemplar mit Leopardenmuster. „Dieser Webpelz kann nur dank Erdöl
hergestellt werden“, erklärt Florschütz, „genau wie die Plastiktüte
daneben.“ Nachhaltiger ist er kaum, tierleidfrei vermutlich schon –
allerdings nur unmittelbar, denn auch die Ölproduktion bringt tierische
Opfer.
Nimmt man Umwelt- und Artenschutz einmal aus, bleibt die Frage, warum Tiere
überhaupt, selbst bei artgerechter Haltung, zur Fellproduktion getötet
werden sollten. Florschütz erinnert an die Unmengen an Vintage-Pelzen, die
derzeit kaum genutzt würden: hervorragend verarbeitet, langlebig, ohne
neuen Energieaufwand tragbar. Ein guter Pelz hält Generationen, und würde
man ihn in einen Wald legen, dann verrottete er dort (chemiefreie
Behandlung vorausgesetzt).
## Heiligt der Zweck die Mittel?
Es bleibt also kompliziert. So erscheinen die industrielle
Massentierhaltung auf der einen und der radikale Verzicht auf jegliches
Tierische auf der anderen Seite wie zwei Symptome desselben Phänomens, der
Entfremdung der Industriestaatenbewohner:in vom (Nutz-)Tier. Ist es
also vor allem kosmetisch, das Leid nicht mehr sehen zu wollen – und der
völlige Verzicht auf tierische Produkte schlicht ein modisches
Distinktionsmerkmal, das man sich leisten können muss? Heiligt der Zweck
die Mittel? Ist das Töten zwecks Nahrungsaufnahme redlicher, oder sollte
man auf beides verzichten?
Gerade weil man so nah am Objekt bleibt, wird das Publikum gegenüber
Gürteltier- und Reptilientaschen, Webpelz und Lammfellmantel zur eigenen
Positionierung aufgefordert. Die dann weitere Fragen und Widersprüche nach
sich ziehen könnte. So leistet „Tierisch schön?“ als Mode- und
Materialschau einen weitsichtigeren und komplexeren Beitrag zum heiß
diskutierten Mensch-Tier-Verhältnis als manche Kunstausstellung, die ihre
Prämissen schon vorher gesetzt hat.
6 Dec 2021
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Design
Tiere
Nachhaltigkeit
Mode
Die Wahrheit
Pflanzen essen
Türkei
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