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# taz.de -- Ethikerin über querdenkende Ärzt:innen: „Das Phänomen ist klei…
> Einzelne Ärzt:innen fallen mit Falschaussagen zu Corona auf. Die
> Medizinethikerin Julia Inthorn warnt davor, sie in den Vordergrund zu
> rücken.
Bild: Ohne Vertrauen geht hier nichts: Behandlungszimmer einer Hausarztpraxis
taz: Frau Inthorn, die niedersächsische Ärztekammer ermittelt gegen 50
Ärzt:innen wegen Falschaussagen zur Coronapandemie. Dass es auch
Ärzt:innen gibt, die das Virus verharmlosen, erscheint absurd. Wie
erklären Sie sich das?
Julia Inthorn: Das mag absurd erscheinen, ja. Die niedrige Zahl von 50 bei
mehr als 40.000 Ärzt:innen in Niedersachsen zeigt aber auch, dass diese
Gruppe sehr klein und damit statistisch nicht auffällig ist. Wir müssen
davon ausgehen, dass sich auch unter Ärzt:innen gesellschaftliche
Tendenzen widerspiegeln.
Ab wann kann oder muss Ärzt:innen die Approbation entzogen werden?
Zunächst ist es wichtig, dass dabei alles seinen strukturierten Gang geht.
Dass also erst einmal geprüft wird, ob die Staatsanwaltschaft zuständig
ist, ein berufsgerichtliches Verfahren angezeigt ist oder die Kammer das
klären kann. Um welche Pflichten von Ärzt:innen es dabei geht, wird in
der Berufsordnung geregelt. Dabei muss man sich aber jeden Fall einzeln
anschauen, denn ein Ignorieren der Maskenpflicht, gefälschte
Impfzertifikate oder die [1][illegale Impfaktion in Lübeck] können nicht
über einen Kamm geschert werden. Es ist ein Unterschied, ob man das Virus
leugnet oder jemandem mit einem falschen Zertifikat einen
Gefälligkeitsdienst leistet. Es gibt auch die Möglichkeit, abzustufen, die
Approbation also zum Beispiel zunächst nur auszusetzen.
Was steht dazu in der Berufsordnung?
Ärzt:innen haben bestimmte Pflichten, wie etwa die Schweigepflicht, denen
sie nachkommen müssen. Darunter fällt auch die Qualität der ärztlichen
Tätigkeit, dass also die Behandlung dem Rahmen des medizinischen Wissens
entspricht. Natürlich gibt es auch die Freiheit des Arztberufes, aber die
hat eine Grenze, wenn das Wohl der Patient:innen oder die Gesundheit
Dritter gefährdet ist.
Das klingt nach dem Hippokratischen Eid, der besagt, Kranken nicht zu
schaden.
Ja, obwohl ich hier lieber vom Genfer Gelöbnis spreche, denn das ist,
anders als der Eid, Teil der Berufsordnung. Auch das Gelöbnis beinhaltet
das Wohlergehen und die Gesundheit von Patient:innen. Der Beruf des Arztes
oder der Ärztin steht dabei für mehr als nur eine Dienstleistung. Es geht
auch darum, das Ansehen dieser Tätigkeit zu schützen. Die Berufsordnung
regelt auch berufsunwürdiges Verhalten. Auch da muss sich im Einzelnen
angeschaut werden, ab wann das beginnt.
Sehen Sie das Ansehen von Ärzt:innen aktuell in Gefahr?
Ich habe tatsächlich überlegt, ob ich dieses Interview überhaupt geben und
damit diesem relativ kleinen Phänomen so viel Raum beimessen will. Wenn man
jetzt behaupten würde, dass auch noch die Ärzt:innen gespalten sind,
besteht die Gefahr, all jenen, die gerade die riesige Last der
Pandemiebewältigung schultern, in den Rücken zu fallen. Natürlich gibt es
Fehlverhalten einzelner Menschen aus diesem Bereich, aber das große System
der medizinischen Versorgung, dem ich sehr, sehr dankbar bin, funktioniert
momentan sehr gut. Besonders da, wo es sich selbst kontrolliert. Das sehen
wir im Fall der niedersächsischen Ärztekammer daran, dass eigene
Problemfälle identifiziert und an die entsprechenden Lösungsstrukturen
weitergegeben werden.
Halten Sie es für sinnvoll, wenn Ärzt:innen kennzeichnen würden, dass
ihre Behandlung auf den medizinischen Grundlagen beruht?
Im Gegenteil – wenn ich zur Ärztin gehe, muss ich das voraussetzen können!
Nicht das Medizinische, sondern das Alternative muss als solches
gekennzeichnet sein. Auch wenn ein Arzt nicht geimpft ist, muss das
transparent gemacht werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärztin und
Patient ist enorm wichtig, nur damit kann eine Behandlung gelingen.
Was ist mit den Ärzt:innen, die nur geimpfte Patient:innen in die
Praxis lassen? Ist das medizinethisch gerechtfertigt?
Das kommt auf die Gründe an. Wenn ich beispielsweise durch begrenzte
Räumlichkeiten den Schutz der anderen Patient:innen nicht mehr
gewährleisten kann, ist das eine Sache. Problematisch ist es, wenn ich
schlicht etwas gegen Ungeimpfte habe – denn ein Kennzeichen unseres
Gesundheitssystems ist, dass es solidarisch ist. Gerade jetzt muss das
unbedingt beibehalten werden. Diese Solidarität umfasst auch jene, die
falsche Entscheidungen getroffen haben oder ihre Freiheit an der falschen
Stelle ausleben.
Wie geht man im Bereich der Medizin mit so fundamental unterschiedlichen
Weltanschauungen, wie sie etwa beim Thema Impfung zutage treten, um?
Für plurale Positionen gibt es in der Medizin mit Konferenzen oder Foren
durchaus Orte, an denen sich der wissenschaftliche Diskurs weiterentwickeln
kann. Dieser Streit darf aber nicht in der Arztpraxis passieren.
Ist diese Skepsis, die sich auch beim Thema Impfen zeigt, ein typisch
deutsches Phänomen?
In anderen Ländern ist die Hoheit darüber, was als Heilbehandlung erlaubt
ist, auf jeden Fall viel eindeutiger in der Hand der medizinischen Logik.
Dem ordnet sich jede Ärztin mit alternativer Heilmethodik unter. Das ist in
Deutschland anders und das hat seine Wurzeln auch in den 1930er-Jahren.
Auch dass es hier den Beruf des Heilpraktikers gibt, ist eine
Sondersituation. Eine aktuelle und breit diskutierte [2][Studie der OTH
Regensburg] zeigt, dass es eine Korrelation zwischen Befürwortung von
Homöopathie und Ablehnung der Impfung gibt.
1 Dec 2021
## LINKS
[1] /Luebecker-Unternehmer-Winfried-Stoecker/!5815573
[2] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8485570/
## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
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