# taz.de -- Kampf gegen sexualisierte Gewalt: Angst vor dem Kontrollverlust | |
> Die neue Regierung kündigt ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport an. | |
> Die Begeisterung beim DOSB hält sich in Grenzen. | |
Bild: Im Kampf gegen sexualisierter Gewalt müssen im Sport die Konturen gesch�… | |
Großes Lob kommt schon einmal aus den eigenen Reihen. „Dieser | |
Koalitionsvertrag ist sportpolitisch eine Wucht!“, twitterte der | |
SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, der zuletzt im Sportausschuss | |
saß. Ein ehrgeiziges Programm haben die Regierungsparteien aus SPD, Grünen | |
und FDP zweifellos formuliert. Unter anderem soll es ein Bundesprogramm | |
gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport geben, die Datei | |
„Gewalttäter Sport“ soll rechtsstaatlicher, die Förderung von Spitzensport | |
unabhängiger sowie transparenter und die Offensive für Investitionen in | |
Sportstätten geweitet werden, wie es in schönster Politikprosa heißt. | |
Das innovativste Vorhaben dieses Kapitels verbirgt sich jedoch hinter | |
diesem Satz: „Um den Kampf gegen physische, psychische und insbesondere | |
sexualisierte Gewalt im Sport zu verbessern, unterstützen wir den Aufbau | |
eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport.“ Damit greifen die | |
Regierungsparteien eine Idee auf, für die vergangenen Mai [1][im | |
Sportausschuss des Deutschen Bundestags Maximilian Klein geworben hatte.] | |
Er sprach im Namen von Athleten Deutschland e. V., der immer | |
einflussreicher werdenden Interessenvertretung deutscher | |
Spitzensportler:innen. | |
In der öffentlichen Anhörung machte er – von wissenschaftlicher Seite | |
unterstützt – auf ein Grundproblem aufmerksam: Betroffene physischer, | |
psychischer und sexualisierter Gewalt haben kein Vertrauen in die | |
Ansprechpersonen einer Organisation, der auch die Täter:innen angehören. | |
Vereinzelte Spitzensportverbände, wie der Deutsche Schwimm-Verband [2][und | |
der Deutsche Turner-Bund,] die zuletzt mit aufsehenerregenden | |
Missbrauchsfällen konfrontiert waren, sympathisieren mit diesen Konzepten, | |
die die Bekämpfung dieser Gewaltformen von sportunabhängigen Strukturen aus | |
denken. Einem entscheidenden Akteur, dem Deutschen Olympischen Sportbund, | |
fällt es jedoch schwer, so zu denken, kratzt der Vorschlag eines | |
unabhängigen Zentrums Safe Sport doch an einem Heiligtum: der Autonomie des | |
Sports. | |
## Bremsende Reaktionen | |
Der nun erklärte politische Wille, diesen Vorschlag umzusetzen, bringt den | |
DOSB in Bedrängnis. Zumal das Bundesministerium des Inneren nach der | |
Anhörung im Mai gleich eine Machbarkeitsstudie für die Einrichtung eines | |
Zentrums Safe Sport in Auftrag gab, deren Ergebnisse Mitte Dezember | |
erwartet werden. | |
[3][Bremsend wirkten schon im Mai die Reaktionen des DOSB.] Ein solches | |
Zentrum sei „nicht der Königsweg“. Sportverbände und -vereine müssten | |
selbst Verantwortung übernehmen. Gern verweist man auf eigene Anstrengungen | |
und Erfolge. Zuletzt wurde ein Stufenmodell entwickelt, das die | |
schrittweise Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter | |
Gewalt vorsieht und damit die Freigabe von Finanzmitteln verknüpft. | |
Trägheit will man sich beim DOSB nicht vorwerfen lassen. Auf eine Anfrage | |
der taz zum neuen Koalitionsvertrag reagiert der Dachverband rasch. Man | |
freue sich, dass das Themengebiet sexualisierte Gewalt nun auf allen | |
politischen Ebenen angekommen sei, nachdem der DOSB sich durch seine | |
Jugendorganisation viele Jahre in diesem Bereich engagiere. Man begrüße die | |
im Vertrag enthaltene Stärkung von Prävention, Kinderschutz und Schutz vor | |
Gewalt im Sport. | |
Es fällt auf, dass der DOSB seine Vorbehalte in der veränderten politischen | |
Lage vorsichtiger formuliert. Hatte man vor ein paar Monaten kritisch zu | |
bedenken gegeben, die Aufgaben und Funktionen eines unabhängigen Zentrums | |
Safe Sport müssten konkret definiert werden, will der Verband sich nun | |
nicht konkret äußern, was man damit genau meint und was man sich wünscht: | |
„Wir werden zunächst die Ergebnisse der BMI-Machbarkeitsstudie zur | |
‚Einrichtung für sicheren und gewaltfreien Sport‘ analysieren.“ Danach s… | |
ein „breit angelegter Dialog“ darüber notwendig. „Wir können uns die | |
Initiierung eines solchen Dialogs vorstellen.“ | |
## Warten auf die Studie | |
Handlungsdrang hört man aus diesen Worten des DOSB nach wie vor nicht | |
heraus, fordern doch Athleten Deutschland e. V. diesen Dialog, wie ihr | |
Konzept realisiert werden könnte, seit Monaten ein. Letztere wollen den | |
DOSB auch nicht aus der Verantwortung präventiver Arbeit nehmen. | |
Problematisiert haben sie lediglich die bislang übliche Praxis, dass der | |
Sport sich selbst kontrolliert und über sich richtet, also auch für | |
Intervention und Aufarbeitung zuständig ist. | |
Auf die Frage der taz, ob der DOSB sich vorstellen könne, die Aufarbeitung | |
etwa sexualisierter Gewalt im Sport an eine unabhängige Organisation | |
abzugeben, antwortet der Verband ausweichend: „Inwiefern ‚Aufarbeitung‘ in | |
einer bundeszentralen Einrichtung stattfinden kann, welche Strukturen dafür | |
aufgebaut werden müssen, wird hoffentlich die Machbarkeitsstudie | |
aufzeigen.“ | |
Man muss noch ein wenig abwarten, wie kooperativ sich der DOSB beim Aufbau | |
eines unabhängigen Zentrums Safe Sport verhalten wird. Der anstehende | |
Führungswechsel innerhalb des DOSB wird dabei ebenfalls von großer | |
Bedeutung sein. Und ob die politische Willenserklärung der | |
Regierungsparteien mit den notwendigen finanziellen Mitteln unterfüttert | |
wird, muss auch noch geklärt werden. | |
26 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-gegen-Sportlerinnen/!5765672 | |
[2] /Deutsche-Turnerinnen-beklagen-Gewalt/!5735799 | |
[3] https://www.bundestag.de/resource/blob/838854/6035450fff29ba8cfa64dbf633c00… | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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