Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte über antirassistisches Klopapier: „Das ist in die Hose g…
> Ist Klopapier das richtige Medium, um antirassistische Propaganda zu
> machen? Ein Streitgespräch.
Bild: Antirassistische Botschaften, auch an unerwarteten Orten: Klopapier von G…
taz: Warum möchten Sie nicht, dass [1][Goldeimer] ein antirassistisches
Toilettenpapier herstellt, Herr Manwire?
Daniel Manwire: Ich möchte keine Slogans auf dem Klopapier haben, mit dem
ich mir den Hintern abwische. Die Idee, antirassistische Propaganda zu
machen, ist natürlich absolut zu befürworten. Nur bei Propaganda ist es ja
immer die Frage: An wen richtet sie sich, wie funktioniert sie? So sehr ich
das nachvollziehen kann, ihr habt da ein Produkt mit hoher Reichweite und
enger Kund:innenbindung. Aber an der Stelle ist das im wahrsten des Wortes
in die Hose gegangen.
Manou Otolski: Wir hatten auch den Hintergedanken, ob mit dem Akt des
Abwischen ein Interpretations-Problem entstehen kann und wie man das
umgehen kann. Gleichzeitig haben wir uns im Vorhinein entschlossen, wie wir
zu dem Endergebnis kommen wollen. Die Inhalte auf dem Klopapier entstammen
einem Design Contest für BIPoC-Artists und -Illustrator*innen, bei dem
insgesamt 80 Einreichungen zusammenkamen. Eine Jury hat schlussendlich das
Motiv ausgewählt.
Wie war die Jury besetzt?
Otolski: In der Jury saßen [2][Megaloh], Tasha Kimberly, [3][Chefket],
[4][Samy Deluxe], [5][Joy Denalane], [6][Ebow], [7][Jasmina Kuhnke], Shai
Hoffmann, [8][Vanessa Vu, Minh Thu Tran] und viele andere Menschen. Aber
natürlich kann kein Personenkreis repräsentativ für alle Menschen mit
Rassismuserfahrungen ein Motiv auswählen. Zusammen mit den
Gewinner*innen haben wir das Ganze finalisiert und druckfertig gemacht.
Da war schon so ein Punkt, wo wir dachten: Ist das jetzt ein Moment, wo man
noch mal gucken sollte, ob das der beste Weg ist?
Sie sind dem Zweifel dann nicht weiter gefolgt?
Otolski: Für uns ist das schlussendlich der richtige Ansatz gewesen durch
das Framing auf der Verpackung – da steht: „bathroom education – ein
Leitfaden gegen Rassismus auf 150 Blatt“. Aber ich verstehe vollkommen –
und da haben wir auch eine zweite solche Rückmeldung zu bekommen – dass
dieses, was wir sprichwörtlich mit „sich mit etwas den Arsch abwischen“
bezeichnen, für viele Menschen problematisch sein kann. Das kann man auch
niemandem absprechen; das akzeptiere ich auf jeden Fall als berechtigte
Kritik.
Manwire: Ich wusste nichts von dem Prozess, der dahin geführt hat.
Antirassistische Propaganda an sich ist erst mal gut und was da drauf war,
war ja auch okay. Vielleicht das als Ausweg: zu gucken, wo man das mit
anderen Mitteln platzieren kann. Ich finde es aller Ehren wert zu schauen,
ob man diesen sehr nahen Bereich oder diesen ungewöhnlichen Ort für
Propaganda nutzt. Die Zielarea für politische Plakate ist ja immer das
WG-Klo; wenn ein Plakat da hängt, dann hat man es geschafft.
Ist das auflösbar? Wenn man sagt, der Inhalt ist der richtige, aber das
Medium Toilettenpapier das falsche?
Manwire: Diese mobilen Toilettenboxen auf den Festivals sind ein besserer
Ort. Die Leute sitzen auf dem stillen Örtchen, machen sich tief gehende
Gedanken und lesen etwas. Das ist ja bei allen Politcamps immer
beeindruckend, da gibt es ja einen richtigen Battle drum, wer das erste
Flyerchen darangepinnt hat.
Otolski: Es gab nicht nur das Klopapier. Für die Leute, die das
Crowdfunding unterstützt haben, gab es eine Broschüre, damit man das, was
auf dem Klopapier passiert, weiter erklären kann. Sodass auch, wenn das
Klopapier aufgebraucht ist, etwas bleibt, was man im Klo liegen hat, um
dann genau den Effekt zu erzielen, den du gerade für die Festivaltoiletten
vorgeschlagen hast. Es gab aber keine Festivalsaison wegen Corona. Wenn wir
einen Beitrag dazu leisten wollen, dass Antirassismus thematisiert wird,
dann ist das Klopapier unser einziger Weg. Zuerst haben wir uns auch
gedacht: Machen wir es vielleicht nur auf der Verpackung? Dann wäre aber
die Frage gewesen, wie ist das mit Gastronomie und Hotellerie? Wenn die das
hinhängen, ist die Packung meistens sehr schnell aus dem Bild verschwunden.
Und es hängt am Ende nur eine Rolle da, die keinen Informationsinput
liefern kann. Deswegen haben wir uns schnell dazu entschlossen, dass eben
etwas auf dem Papier passieren muss. Es gab auch Einreichungen in diesem
Designcontest, wo das anders herum aufgezogen war: Da waren karikaturhaft
Charaktere aus dem rechten Spektrum abgebildet.
Wie muss man sich das vorstellen?
Otolski: Es waren nicht bestimmte Persönlichkeiten, sondern ein
klischeehafter Skinhead oder eine Comicfigur mit Hitlerbart. Das fanden wir
im ersten Moment auch ganz lustig in der Logik der Bedeutungsumkehr durch
das Abwischen, aber dann dachten wir: Wie wäre es dann, wenn diese Rolle
losgelöst vom Kontext der Verpackung auf dem Klo hängen würde? Dann hätte
auch Potenzial daraus entstehen können, dass das falsch aufgefasst wird.
Auf der Klopapierrolle an sich, ohne die Assoziation, dass man sich damit
den Hintern abwischt, hätten sehr viele Sätze gestanden, die keiner von uns
unterschreiben würde. Unterschreiben würde man nur, dass es cool ist, sich
damit den Arsch abzuwischen. Das ist die Schwierigkeit für uns gewesen: Es
wären entweder 880.000 Rollen mit negativen Sachen gewesen, die erst durch
das Abwischen positiv werden – oder der Weg, den wir dann genommen haben:
mit positiven Botschaften.
Letztlich hat die Jury entschieden?
Otolski: Wir haben uns über die Entscheidung gefreut, dass das, was auf dem
Klopapier landet, eher positiv gestaltet war mit kleinen Rechercheaufgaben
zu bestimmten Begrifflichkeiten, die in der weißen Mehrheitsgesellschaft
noch nicht angekommen sind – mit Gedankengängen, die, auch wenn sie sehr
kurz gehalten sind, vielleicht einen Input für alle Leserinnen und Leser
geben können. Das ging von Aussagen wie „Höre Betroffenen zu und lerne“
oder „Rassismus muss nicht vorsätzlich sein“ bis hin zu den
Rechercheaufgaben, die ich gerade angesprochen habe, zum Beispiel: „Deine
Aufgabe für diese Toilettenpause: Recherchiere den Begriff ‚Tokenism‘.“
Manwire: Das ist eine grundlegende Frage von Klorollen als
Propagandamedium. Es ist zum einen schwierig, positive Botschaften so zu
entwerfen. Das andere ist, dass man auch so eine toxische Situation
herstellt, wenn man da Täter:innen abbildet oder Karikaturen von ihnen.
Das stille Örtchen ist ja schon ein sehr privater Ort, auch ein Stück weit
ein Schutzraum. Das mag für Nicht-Betroffene von Rassismus vielleicht okay
sein, aber ich würde mal sagen, an der Stelle möchte man jetzt nicht mit
Nazi-Symboliken konfrontiert sein. Abgesehen davon, dass aktive Nazis,
Rechte oder Rassist:innen sich so etwas gerne in die Vitrine stellen. Es
ist für Betroffene immer wichtig, entscheiden zu können: Will ich mich
gerade mit dem Thema konfrontieren?
Was bleibt für Goldeimer dann übrig, wenn sie sich antirassistisch
engagieren wollen?
Manwire: Vielleicht wäre es besser, die Personen zu stärken jenseits der
gesellschaftlichen Gewalterfahrungen, die sie gemacht haben, mit etwas, wo
man kurz draufschaut und ins Lächeln kommt. Und der Umgang als Institution
mit Rassismus wäre ein Feld jenseits der Propaganda: dass man sich im Team
selber mit Weißsein auseinandersetzt oder Empowerment-Räume schafft, dass
man mit Kooperationspartner:innen Workshops anregt. Dass man sich
als Institution Gedanken über ein Beschwerdeverfahren macht: Wo können sich
Leute hinwenden, die von den Sprüchen oder von dem Material genervt sind?
Otolski: Unabhängig von der Kritik wird es ohnehin keine zweite Auflage des
Anti-Rassismus-Klopapiers geben. Wir können das wirtschaftlich nicht
tragen, weil wir an diesem Klopapier nicht mitverdienen. Dementsprechend
steht uns nicht die Möglichkeit zur Verfügung, etwas für eine nächste
Auflage zu ändern. Aber dass du sagst, dass viele damit ein Problem haben
könnten, bestärkt uns darin, dass es eine abgeschlossene Aktion war. Wenn
du sagst, vielleicht ist Klopapier das falsche Medium, dann ist das ja auch
ein Learning. Wobei wir es bei anderen Sachen ja auch machen, also die
weltweite Sanitärsituation auf dem Klopapier thematisieren. Da ist es
wieder der richtige Ort, weil es eine unmittelbare Verbindung zu dem
Klopapier hat. Da trauen wir uns dann wieder solche Botschaften
daraufzuschreiben.
Manwire: Ich finde es super, wenn ihr als Institution in so einen Prozess
geht. Ich kann jetzt ja auch nicht für andere Personen mit
Rassismuserfahrung sprechen. Es waren durchaus auch weiße Freundinnen und
Bekannte, die es unangebracht fanden. Letztlich ist natürlich bei euch als
Institution, aus dieser Gemengelage, in die ihr euch ja dankenswerterweise
hineinbegeben habt, eine Schlussfolgerung zu ziehen. Das ist von mir aus
auch kein Vorwurf an die Jury – das wird unterschiedlich empfunden. Ich
finde gut, dass meine Kritik gehört wird und ihr als Institution jetzt
nicht einzelne Personen mit Rassismuserfahrung gegeneinander ausspielt, was
ansonsten ja häufig mal der Fall ist.
Wie sind die Rückmeldungen insgesamt zu dem Antirassismus-Toilettenpapier?
Lässt sich da auch über die Verkaufszahlen etwas schlussfolgern?
Otolski: Es wurde ja größtenteils über das Crowdfunding vorfinanziert, das
ist schon mal ein Feedback. Wobei das ein großer Vertrauensvorschuss war,
weil zu dem Zeitpunkt, wo das Crowdfunding entstanden ist, die Entwürfe
noch gar nicht standen. Aber auch nachdem es schon ausgeliefert worden war,
haben wir sehr viel positives Feedback bekommen – aber auch vereinzelt
Negatives. Und das war in einem Fall, der bei mir auf dem Tisch lag, auch
der gleiche Grund: die Bedeutungsumkehr durch den Akt des Abwischens. Aber
was Daniel schon gesagt hat: gar nicht erst in den Modus fallen, dass man
das gegeneinander abwägt, weil beide Seiten für das Projekt wichtig sind.
Und wer wendet sich mit Kritik an Goldeimer?
Otolski: Wenn, dann sind es Leute, die sich wahrscheinlich sowieso schon in
unserem Dunstkreis befinden, die den Weg über das Kontaktformular wählen
oder uns bei Instagram oder Facebook eine Nachricht zukommen lassen. Aber
was dann fehlt, ist, dass wir noch mal proaktiv auf die Leute zugehen und
sagen: Hey, was ist dein Eindruck von dem Klopapier? Wir sind gespannt auf
deine ehrliche Meinung. Am besten wäre es vermutlich auf der Verpackung
gewesen, dass man das noch mal den Leuten sagt.
Manwire: Es widerspricht der Alltagserfahrung von Leuten mit Erfahrung von
Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus, dass Institutionen ihren Anliegen
Gehör schenken. Und deshalb müssen Institutionen proaktiv institutionelle
Beschwerdeverfahren anbieten, also sie nicht nur im Handbuch haben, sondern
so, dass betroffene Personen das Gefühl haben, dass sie dort ihr Anliegen
loswerden können. Also sei es mehrsprachig oder so kenntlich gemacht,
sodass auch Nicht-Akademiker:innen eine Idee haben: Wenn mich etwas nervt,
werde ich das dort los. Weil Rassismus eben kein privates Problem ist,
sondern ein gesellschaftliches Verhältnis.
Tut sich da in Ihrer Wahrnehmung gerade etwas?
Manwire: Dieses Gespräch ist schon mal ungewöhnlich: dass Kritik an
rassistischen Verhältnissen so aufgegriffen wird auf einer strukturellen
oder institutionellen Ebene. Und das würde man sich natürlich von viel mehr
Institutionen wünschen wie Kitas, Schulen, Behörden, dass es dort auch so
sensibel gehandhabt wird. Allerdings muss ich sagen, dass ich da recht
privilegiert reingehe. Ich bin Akademiker, ich bin ein Mann und ich kenne
die Betreiber:innen des Gemüseladens, an die ich meine Kritik erst mal
richten konnte. Das ist schon eine privilegierte Sprechposition. Daraus
kann ich nicht schließen, dass es für andere Betroffene gerade möglich ist,
eine Kritik loszuwerden.
19 Nov 2021
## LINKS
[1] /Mit-Toilettenpapier-die-Welt-retten/!5719747
[2] /HipHop/!5199622
[3] /Rapper-Chefket-im-Interview/!5556165
[4] /Samy-Deluxe-ueber-Testosteron/!5046130
[5] /Montagsinterview-mit-Saengerin-Joy-Denalane/!5120166
[6] /Rapperin-Ebow-ueber-Identitaet/!5621512
[7] /Comedy-Autorin-ueber-Aktivismus/!5807195
[8] /Podcasterinnen-ueber-Identitaet/!5573253
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Antirassismus
Klo
Empowerment
Holz
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser
## ARTIKEL ZUM THEMA
Klopapier-Industrie in der Krise: „Holz is knapp!“
Nicht nur Mehl und Öl sind zurzeit Mangelware, auch Toilettenpapier ist
knapp. Die Kundschaft ist irritiert, aber die Gründe sind diesmal
vielfältig.
taz-Korrespondentinnen im Podcast: Immer dem Wasser nach
Ein Jahr haben Korrespondentinnen zu Wasserproblemen weltweit recherchiert.
Hier berichten sie von Menschen, die sie getroffen und Ideen, die sie
gefunden haben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.