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# taz.de -- Veraltete Strukturen im Fußball: Kein Ort für Neues
> Eine Gegenkandidatin hat keine Chance auf den Präsidentensessel im
> Berliner Fußball. Es ist ein Fallbeispiel für die Kräfte in einer
> Altmännerwelt.
Bild: Verkrampfte Freundlichkeit: Verbandschef Bernd Schultz mit Gegenkandidati…
Berlin taz | Am 28. August dieses Jahres blieb im Fußball wieder alles, wie
es war. Die Moderatorin Gaby Papenburg, die im Berliner Fußball-Verband
(BFV) bei der Präsidentschaftswahl gegen den seit 2004 regierenden Bernd
Schultz angetreten war, unterlag. Schultz gegen Papenburg, das war
vielleicht auch ein merkelsches „Sie kennen mich“ mit konservativen
Altherren-Bierzelt-Seilschaften gegen Liberalismus in allerlei Hinsicht –
wirtschaftlich („neue Dienstleistungskultur“ und mehr Hauptamt, so wollte
es Papenburgs Team) sowie gesellschaftlich (mehr Diversität, mehr soziales
Engagement). Keine linke Bewegung also, sondern Positionen aus dem
liberalen Mainstream. Und sie waren spektakulär erfolglos. Nur 33 der 117
Stimmen entfielen auf Papenburg. 110 Vereine, also rund die Hälfte,
fehlten.
Warum wird Bernd Schultz, der vielen als Symbol des Stillstands gilt und
allein im abgelaufenen Jahr [1][durch den Rücktritt dreier
Vizepräsidenten], einen Kinderschutzskandal und eine öffentliche Fehde im
Präsidium in den Schlagzeilen war, so deutlich wiedergewählt? Und warum
beteiligen sich viele gar nicht? Gaby Papenburg befindet sich einige Monate
später, so sagt sie, immer noch bei der Aufarbeitung.
Auf einiges ist sie gestoßen: die Pandemie, die einen Tür-zu-Tür-Wahlkampf
verhindert habe. Eine für sie unerwartete Befragungsrunde mit heftigem
Gegenwind auf dem Verbandstag selbst. „Der Tenor war: Was glauben Sie
eigentlich, wer Sie sind? Mein Team war schockgefrostet.“ Aber vor allem
sagt Papenburg: „Der Verbandstag ist ein Paralleluniversum.“
Eine Welt fast ohne junge Leute oder Frauen, in der dieselben alten Herren
großer Vereine aus dem Schultz-Lager bei Bockwurst und Streuselkuchen
Stunde um Stunde langatmige Anträge über sich hinwegziehen ließen, so
schildert sie es. Und es sei ihr nicht gelungen, die jungen und kleinen
Vereine zu mobilisieren. „Viele junge Vereine haben mir gesagt: Ja klar,
wir kommen. Ich kann das natürlich nicht im Einzelfall nachprüfen, aber
viele sind nicht gekommen.“
## Kaum Demokratieverständnis
Es fehle auch an demokratischem Verständnis im Fußball. „Ich hatte das
Gefühl: Sehr viele Vereine finden es gut, wenn Dinge vorher geklärt werden
und man eine Entscheidung nur noch abnickt. Oft wurde ich gefragt: Warum
kandidiert ihr denn gegeneinander? Diese Ideologie geht ja bis in die
Spitze des DFB.“ Viele Vertreter:innen kleiner Vereine haben für diese
Geschichte ihre Analysen beigesteuert. Ein großer Kritikpunkt: die Struktur
des Verbandstags.
Ein Vertreter eines kleinen Vereins, der nicht hingegangen ist, sagt: „Wenn
es digital möglich wäre, würde ich teilnehmen.“ Aber sich an einem freien
Samstag sechs bis acht Stunden hinsetzen für einen Wahlakt, der weniger als
fünf Minuten dauere? „Da sehe ich meine Zeit nicht gut investiert. Ich rege
mich über das ganze Konstrukt auf. Viele kleine Vereine haben nicht die
zeitlichen und personellen Ressourcen.“ Es brauche einen Zeitplan für jeden
Themenpunkt und einen festen Zeitpunkt für die Abstimmung.
Sebastian Howe vom jungen SC Kiezmove sagt: „Alles ist fürchterlich
langatmig strukturiert. Wenn ich eine Idee für eine erkennbare Verbesserung
habe, muss die durch zig Gremien und wird oft erst in vier Jahren auf dem
nächsten Verbandstag entschieden.“ Funktionär:innen im Verband, fordert
er, sollten Reformideen aktiv aufnehmen, dafür seien sie doch gewählt.
Marco Krieger, Vorsitzender des Schultz-Vereins BFC Alemannia, findet, der
Verbandstag müsse „frischer, dynamischer, schneller“ werden, etwa mit
digitaler Teilnahme wie zuletzt beim Jugendverbandstag; im eigenen Verein
gebe es zudem für Sitzungen eine 120-Minuten-Begrenzung. Ein weiteres
Problem: Viele kleine Klubs fühlen sich von den immer höheren Anforderungen
schon im eigenen Verein, oft im Ehrenamt, überfordert. Je weniger sie aber
ihre Stimme nutzen, desto weniger nehmen sie Einfluss, und desto mehr gehen
Beschlüsse gegen ihre Interessen.
## Verzerrte Wahrnehmung
Bernd Schultz, der neue und alte Amtsinhaber, möchte sich zur Wahl nicht
mehr äußern. Aber Papenburgs Kritik, die findet er unberechtigt. „Frau
Papenburg will ja lauter alte, weiße Männer gesehen haben beim Verbandstag.
Das entspricht nicht der Realität.“ Wie die aussah? „Ich habe viele junge,
alte, männliche und weibliche Delegierte wahrgenommen.“ Eine Ansicht, die
er unter den Befragten allerdings recht exklusiv hat.
Schultz räumt ein, dass der Verbandstag derzeit „eher abschreckend“ wirke.
„Wir werden uns in den nächsten zwei Jahren sehr intensiv damit
auseinandersetzen, was man effektiver machen kann.“ Zum Beispiel mit der
Frage, ob Ordnungsänderungen ganz anders organisiert werden können, oder
wie die digitale Teilnahme ermöglicht wird. „Aber als wir in der Pandemie
einen Verbandstag digital gemacht haben, war die Beteiligung nicht viel
höher.“ Laut BFV lag sie bei 52 Prozent.
Und die Bürokratie, die die Kleinen überlastet? Die komme nicht vom BFV,
sondern „häufig von den Bezirken“. Im Gespräch nennt Schultz die Option,
die Veranstaltung zu entschlacken, indem nur noch das Präsidium gewählt
werde und andere Ämter direkt besetzt würden. Was aber freilich noch
weniger Demokratie hieße.
Nicht alle wollen nur den BFV als Schuldigen sehen. Yvonne Schumann vom FFC
Berlin, die sich parallel beim BFV im Ausschuss für Frauen- und
Mädchenfußball engagiert, glaubt: „Viele Vereine wissen zu wenig, was der
Verband macht.“ Mittlerweile gehe der Verband zum Beispiel in die Bezirke
und biete auch Gespräche an. „Aber viele Vereine schaffen es nicht, die
Angebote zu nutzen, da zu viel ehrenamtliche Arbeit dort anfällt.“
## Informelle Bündnisse
Ein Teufelskreis. Und doch, es geht auch um informelle Bündnisse und Macht.
Der Vereinsvertreter, der nicht da war, glaubt: „Große Vereine können sich
organisieren. Kleine Vereine haben bei Teilhabe keinen Mehrwert.“ Das gelte
auch für seinen Verein. „Es ist mir nicht ersichtlich, was eine der beiden
Kandidaturen bei uns bewirken sollte.“ Ähnlich wird es in einem anderen
Gespräch genannt. Und manche wollen nur kicken.
Verkrustete und unpraktikable Strukturen, Überforderung, gefühlte und
tatsächliche Kluft und unpolitische Gleichgültigkeit: Es gelang also nicht,
die zu mobilisieren, die auch sonst kaum kommen. Aber offenbar gab es für
Papenburg noch ein zweites Problem: Es gelang nicht, die zu mobilisieren,
die etwas verändern würden. Yasmin Ranjbare ist Vorsitzende des eher
alternativen Vereins Hansa 07.
Sie sagt: „Ich habe selbst noch mal vorab mit diversen befreundeten
Vereinen gesprochen, und vielen war es einfach nicht wichtig genug, dort zu
erscheinen, um eine halbgare Alternative zu wählen. Es fehlte ein
glaubwürdiges und gutes Angebot. Ein gutes Angebot gab es für viele –
gerade innovative und gut aufgestellte Vereine – weder von Schultz noch von
Papenburg.“ Die Einstellung progressiver Vereine sei dann, der Verband
solle den Spielbetrieb organisieren – „und sonst weiter in seinem Saft
schmoren.“
## Keine Lust auf Wandel
Papenburgs gemäßigtes Angebot war wohl für eine progressive Minderheit zu
wenig, für die konservative Mehrheit viel zu viel. Einer, der sich im
Berliner Fußball gut auskennt, glaubt im Nachhinein: „Das Thema Wandel ist
für die meisten nicht so präsent, wie Gaby Papenburg das eingeschätzt hat.
Auch in den kleinen Vereinen sitzen meist alte weiße Männer, die Bock auf
Vereinsarbeit und ein Feierabendbier haben. Man darf die Rückständigkeit
der Vereine nicht unterschätzen.“ Über Themen wie Geschlechtergerechtigkeit
werde bisweilen dort gelacht.
Mit dem Thema Wandel mobilisiere man von über 200 Vereinen vielleicht zehn
oder zwanzig. Und wo es etwa für junge Leute, für Progressive, für Frauen
oder Nichtweiße so wenig ansprechend ist, ändert sich wenig. [2][Einige
fordern jetzt Quoten]; der BFV will ab 2025 für Ämter eine
„Geschlechterquote“ von je 30 Prozent Männern und Frauen einführen. „Wir
wollen das nicht plakativ Frauenquote nennen“, so Präsident Bernd Schultz,
der sich lange gegen Quoten wehrte. Und findet: „In der Zukunftswerkstatt
waren es die Frauen, die eine starre Quote nicht wollten.“
Der eben genannte Kenner schlägt mehr 450-Euro-Jobs vor, damit Engagement
im Verein überhaupt für jüngere Menschen leistbar sei. „Es gibt aber auch
eine Wechselseitigkeit: Fußball ist ein Bereich, wo man sich nicht so cool
einbringen kann. Es ist ein langer, trockener Weg, bis man es in einen
Verband geschafft hat. In dynamischeren Organisationen wie Fridays for
Future hat man sofort Teilhabe.“ Und dann gibt es spezifische Umstände. Ein
Verband existiert nicht im luftleeren Raum, auch eine Kandidatur nicht. Sie
trifft auf ein bestehendes Umfeld.
Die lauteste vernehmbare Anti-Schultz-Fraktion stellen seit vielen Jahren
Gerd Thomas vom FC Internationale und Bernd Fiedler von Stern 1900, eine
Art außerparlamentarische Opposition. Aber eine, die heftig umstritten ist.
Das bekam auch Papenburg zu spüren, die erst auf Anfrage der beiden
kandidiert hatte und sie mit in ihr Team nahm. „Ich musste mich so oft bei
Vereinen rechtfertigen, warum ich mit Gerd Thomas und Bernd Fiedler
arbeite“, sagt die Moderatorin. „Im BFV geht es ganz viel um
Befindlichkeiten. Es geht nicht um das, was die beiden angestoßen haben,
sondern darum: Da macht der Gerd wieder den Mund auf.“ Hinter der
Kandidatur der Frau stand auch eine Konstellation aus alten Männern, die
einander seit Jahrzehnten ihre Provinzfehden liefern.
## Institutionalisiertes Fremdeln
Einer, der den Verband gut kennt, glaubt: „Gerd Thomas und Bernd Fiedler
haben teils richtig gute Ideen, aber eine sehr polarisierende öffentliche
Darstellung. Gaby Papenburg hat sich keinen Gefallen damit getan, die
beiden in ihr Team zu holen.“ Und auch die fehlende Demokratieerfahrung im
Berliner Fußball sei ein Problem. „Es waren in den letzten Jahrzehnten
immer nur Einzelpersonen, die für Ämter die Hand gehoben haben.
Die meisten sind also zufrieden, wenn jemand überhaupt was macht. Viel
Demokratie kann es so nicht geben.“ Nebenbei ist Gaby Papenburg nicht nur
Frau, sondern eine von draußen. Sebastian Howe vom SC Kiezmove: „Es war
spürbar für viele ein Problem, dass Gaby Papenburg eine Außenstehende ist.“
Es fehle die Beziehung zu den Vereinen. „Wenn man zu wenig Kontakt hat, zu
fremd ist, wird es schwierig.“
Wie soll so je in Verbände Veränderung kommen? Marco Krieger vom BFC
Alemannia sieht die Kritiker:innen kritisch. „Wenn Vereine sagen, man
könne nichts bewirken, muss man vielleicht eher deren Grundvertrauen in die
Demokratie infrage stellen. Ich bringe mich im Verband ein, und ich kann da
was bewirken. Es ist mir zu einfach, sich hinzustellen und zu sagen: Der
Verband macht nichts.“ Es liege auch an den Vereinen selbst. „Viele haben
wenig Motivation, Veränderung voranzubringen. Die Masse scheint zufrieden
zu sein.“
Papenburg selbst fasst es nüchtern so zusammen: „Die Leute haben das
gewählt, was sie kennen, weil sie keine Veränderung wollen.“ Sie nennt den
Verbandsfußball einen gordischen Knoten. Ob der zerschlagen werden könne,
darüber ist sie unsicher. Kandidieren wird sie, wenigstens Stand aktuell,
nicht noch einmal.
5 Nov 2021
## LINKS
[1] /Fehde-im-Berliner-Fussballverband/!5686851
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## AUTOREN
Alina Schwermer
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