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# taz.de -- Das Musical „The Black Rider“ in Celle: Im Walde steht ein Beat…
> Mit „The Black Rider“ haben Tom Waits und William S. Burroughs den
> „Freischütz“ modernisiert – und sind nun selbst arg in die Jahre
> gekommen.
Bild: Festzelt statt Forst: Der Black Rider als Landhochzeit
Mehr als genug ist geschrieben worden über die Deutschen und ihren Wald.
Auch an Gemaltem, Schauspiel und Gesang mangelt es weder in „Blut und
Boden“-gesättigter noch in kritischer Manier. Der kollektive Waldfimmel
lässt auch die fortschrittlichsten Deutschen nicht zur Ruhe kommen. Darum
ist die erste Überraschung im Celler „Black Rider“, dass Lise Kruses Bühne
den auch hier düster dräuenden Forst einfach aussperrt.
Stattdessen führt der Blick in ein raumfüllendes Festzelt. Sebastian Sommer
inszeniert das Förster-Tod-und-Teufel-Musical [1][im Schlosstheater] als
fortdauernde Landhochzeit – und konzentriert sich zwischen eingedeckter
Bierzeltgarnitur, Flaschenbier und Schnäpsen aufs soziale Treiben der
Geschichte. Hier trifft Buchhalter Wilhelm (Florian Kleine) auf den
Leibhaftigen (Dirk Böther), der ihm jene Zaubergeschosse andreht, ohne die
der Schreiberling beim traditionellen Zielschießen um Erbpacht und Eheweib
(Pia Noll) keine Chance hätte.
Und das gerät auch bei aller Schicksalhaftigkeit des Plots als
ausgesprochen diesseitige Angelegenheit. Böthers Satan ist hier kein
metaphernschweres Urböses, kein bestienhafter Waldschrat und auch kein
psychedelischer Fiebertraum – sondern er tritt als abgehalfterter
Showmaster auf, dem gelegentlich der Bauch unterm Glitzerhemdchen
heraushängt. Er ist so ein Typ, bei dem es diese tragische (und bedauerlich
weit verbreitete) Mischung aus Blödheit und Verzweiflung braucht, um beim
Pakt einzuschlagen.
Glamouröser ist da die Hochzeitskapelle: ein Jazz-Sextett, das mit den von
Tom Waits geschriebenen Stücken Fest und Inszenierung bespielt. Meist
solide und gelegentlich großartig spielt sie die Songs gekonnt, aber
unaufdringlich, so wie es sich gehört. „The Black Rider“ ist der Freischü…
der US-amerikanischen Gegenkultur mit der Musik von Tom Waits und dem Text
von William S. Burroughs und Robert Wilson.
Auch dieser Urheber wegen (und weil der Komponist die Musik so zauberhaft
[2][für die Platte] eingesungen hat), ist das Musical längst ein
eigenständiges Stück Pop-Geschichte, nicht nur eine Modernisierung von Carl
Maria von Webers Oper „Freischütz“, die gerade 200. Geburtstag hatte.
Im Celle von heute schaut die Inszenierung nun aus, wie junges Theater eben
so ausschaut: Auf Tigerattrappen wird geritten, in symbolischer wie
poetischer Bildsprache ziehen surreale Gestalten in Brautkleidern mit
Schnellfeuerwaffen über die Bühne. Ganz besonders schön: wie Pia Noll als
Braut Käthchen von ihren Gratulanten so lange schwebende Herzchen-Ballons
in die Hände gedrückt bekommt, bis sie abhebt und eine Weile mit viel
„Fuck, Fuck, Fuck“ eher hilf- als schwerelos hoch oben über dem Bühnenbod…
baumelt.
Genau hier verpufft leider auch wieder, was sich da anzubahnen schien in
dieser so klar aufs Menschliche fokussierenden Inszenierung. Kurz
bildgewaltig den Finger auf die Handlungsunfähigkeit der zentralen
Frauenrolle zu legen, beweist zwar Witz und Problembewusstsein, wirft aber
die Frage auf, warum man es so durchzieht.
Käthchens Liebreiz gibt den Anstoß und motiviert die männlichen Figuren,
Nolls Soli halten als mit Abstand schönste Gesangsmomente das Publikum bei
Laune – und als sie zum Ende erwartungsgemäß erschossen wird, geht es
ungebrochen um Tragik und Schicksal des Täters.
Beklemmend ist auch, wie sie sich zwischen Gewehrschuss und Zusammenbruch
das Blut von der Stirn wischt, und nicht vom Herzen, wohl um zu erinnern,
dass auch Autor Burroughs seine Frau Joan Vollmer beim „Wilhelm-Tell-Spiel“
erschoss – was bis heute als seine krasse Geschichte gilt und eben nicht
als ihre.
Natürlich war das vorher klar und ist kein Grund sich aufzuregen – aber
spätestens beim unfreiwilligen Ballonflug hatte man wirklich hoffen dürfen.
Immerhin macht diese verdienstvolle Sollbruchstelle ein für alle Mal klar,
dass „The Black Rider“ über seine immerhin auch schon 30 Jahre selbst ein
historischer Stoff geworden ist.
18 Nov 2021
## LINKS
[1] https://schlosstheater-celle.de/
[2] https://www.discogs.com/de/master/14237-Tom-Waits-The-Black-Rider
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Musical
Tom Waits
Beat
Schlosstheater Celle
Musik
Oper
Schaubühne
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