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# taz.de -- Architekturbiennale Venedig: Textungeheuer, bunte Grafiktools
> Gerade findet in Venedig die 17. Architekturbiennale statt. Die Rolle und
> Möglichkeiten der Architekten und Planer werden dort überschätzt.
Bild: Dänischer Entwurf auf der Archtiekturbiennale in Venedig
Die diesjährige Biennale 2021 neigt sich dem Ende zu. Was aber bleibt? Die
auf das Gelände der Giardini und des Arsenale konzentrierte Ausstellung
ist, mit 61 nationalen Beiträgen und 17 kollateralen Events, naturgemäß in
sehr vielen Händen von Unterkuratoren. Dieser Umstand birgt die Gefahr der
Verzettelung einer ausgegebenen Leitlinie.
Auch das diesjährige Motto – [1][„How will we live together“] – ist ke…
gutes Bindemittel, weil jeder die Vorgabe sehr individuell auslegt, was
schon in der Unschärfe der Formulierung dieses Themas angelegt ist.
Damit sind wir bei einem immer wiederkehrenden Problem aller
Architekturbiennalen: Fast nichts von dem, was man sieht, ist
selbsterklärend oder Anschauungsobjekt an sich, das ohne Erklärungen
auskommt, es sei denn man, gibt sich mit den vielen bunten „Bildchen“
zufrieden, auf denen manchmal tatsächlich Gebautes zu sehen ist.
Meist aber sehen wir Textungeheuer, bunte Grafiktools oder geknipste Fotos:
Mal schaut man Menschen beim Bauen zu, beim Zimmern, mal bei der Zurichtung
und Handhabung von Wellblech, Dachpappe und Lehmziegeln. Viele Kabinette
sind ärgerlich textlastig über das zuträgliche Maß einer verdaubaren
Rezeption hinaus.
## Wände mit Blättern tapeziert
Ein weiteres Problem: Die meisten Kuratoren können nicht komprimieren, eine
Sachlage anschaulich auf den Punkt (zur Anschauung) bringen, konzentriert
ein Resümee in Text und Bild vorlegen. Es gibt Räume in denen Hunderte
(sic!) eng bedruckte DIN-A4-Blätter an die Wände tapeziert sind; in einem
anderen Raum sind 104 spielkartengroße Texte zu einem Thema an die Wand
gepinnt: Gut gemeint – schlecht gemacht resp. nachgedacht.
Überall begegnet man komplizierten Grafiken, mehrfarbigen Diagrammen (deren
Decodierung schwerfällt), Renderings ohne wirkliche Botschaft, kryptischen
Installationen und elend langen Listen von irgendetwas. Was sie aussagen
oder belegen wollen ist – na ja, dass es überall Probleme gibt:
Katastrophen, Ressourcenknappheit, Ausbeutung, konzerngesteuerte Raffgier,
Raubbau an der Natur.
Wenn man den Parcours im zentralen Pavillon beginnt, muss man aufpassen,
dass einem die Zeit nicht fortläuft. Man muss sich selbst antreiben, um an
„Eingemachtes“ zu kommen: Man ist froh, wenn man hier mal einem
abgebildeten Gebäude (Architektur!) begegnet, auch wenn sich der Sinn des
Gezeigten nicht immer gleich erschließt.
## Fragen ohne Antworten
In den [2][Länderpavillons] wird eingangs eine missliche Lage mit vielen
Worten skizziert; es wird eine Frage aufgeworfen. Dann werden Belege dafür
vorgelegt, die Lage wird illustriert – meist aber ohne Aha-Effekt, denn
selten wird eine Lösung angeboten. Vor allem keine, für die Architekten mit
ihrem Metier und Vokabular zuständig sind. Dänemark präsentiert sich als
Teestube, in der im Pavillon selbstgereinigtes Wasser, selbstangebauter Tee
und selbstgetöpferte Tassen geboten werden. Upps! Na ja … politisch
korrekt. Architektur?
Spanien hängt tausend DIN-A4-Blätter an die Decke – unlesbar. Der Schweizer
an sich problematisiert Grenzerfahrungen. Die Ausstellung selbst bleibt
kryptisch modellhaft. Russland rekapituliert die Geschichte seines
Pavillons auf kopierten Buchseiten in Postkartengröße und zeigt einen
martialischen Animationsfilm mit in Uniformen gekleideten und schwer
bewaffneten Menschen. Architektur?
Japan zerlegt ein klassisches (Tee-)Haus und sortiert fein säuberlich die
Bauteile nach Typus, Stärke, Länge auf dem Boden des Pavillons; immerhin
gibt dies Einblick in den Prozess des Baues vor der Architektur. Schön
gemacht. – So geht es weiter. Das metiersbedingte Architektonische der
Architektur diesseits der Katastrophen bleibt zumeist auf der Strecke.
Der Inhalt des Deutschen Pavillons ist zynisch, banal und genau deshalb
nicht sonderlich originell, weil er besonders originell sein will. Das aber
reicht nicht. Zu sehen ist nichts. Barcodes an die Wand zu tapezieren ist
nicht zeigen, sondern verweisen. Wenn man aber selbst nichts zu sagen hat,
soll man das Feld anderen überlassen und schweigen. Stimmen im Netz raunen
zu lassen hat auf einer Ausstellung nichts zu suchen.
Als Kontrast empfiehlt sich der Belgische Pavillon: Architekturmodelle im
ungewohnten Maßstab 1:15. Man sieht auf Augenhöhe präsentierte
fantasiegetränkte bauliche Capriccios gleichsam wie am Straßenrand
aufgestellt. Ein sinnliches Vergnügen, eins der wenigen – irgendwie
entwaffnend.
## Bescheidene Auftritte
Und die Schatzkammer Arsenale? In der Summe sind hier, in den Werfthallen,
auf sehr angenehme Weise, bescheidene Auftritte zu beobachten. Angesichts
der auch an diesem Ort aufgezählten globalen Probleme (Wasser- und
Materialknappheit, Überschwemmungen, Erdbeben) sieht man nachdenkliche,
lösungsorientierte, am Einfachen entlang gedachte Inszenierungen und auch
bauliche Vorschläge.
Keine architektonischen Triumphgebärden vergangener Biennalen, keine eitlen
Starallüren einzelner Architekten, sondern quasi der Twist zwischen ruralen
und urbanen Strategien des Bauens (noch nicht der Architektur).
Manchmal wird es hier arg gemütlich, denn das vorherrschende
Darstellungsmittel sind puppenstubenartig anmutende Modelle, denen man dann
auch wieder nicht traut. Hier setzt sich aber eine Art trotzig
vorgetragener Optimismus durch, der in starkem Kontrast zu den Problemen
steht.
Eine interessante Beobachtung: Das klassische Hofhaus als architektonisch
immer noch raffinierter Typus ist mittlerweile weltweit in vielerlei
Variationen und Kombinationen (gereiht, gestapelt, verwoben) eine
Grundfolie für die Organisation von Wohnmodellen für alle sozialen
Schichten und Altersgruppen. Ein Beweis dafür, dass sich Bewährtes
morphologisch weiterentwickeln lässt.
## Raumschiff Enterprise
Man begegnet aber auch hier Überinszenierungen à la Raumschiff Enterprise,
Geschichten, die in Comicmanier erzählt werden und mit unnötigen
Effekthaschereien versehen sind. Durchlaufende Themen bleiben aber
Nachhaltigkeit (im Bau und im Gebrauch), modulares (also preiswertes)
Bauen, Formen der Landerschließung, handwerkliche Traditionen,
Materialrecherche, Schutz vor Kälte, Hitze, Wind und Regen.
Damit sind wir bei den Urfragen der Architektur. Zu deren Kern aber dringt
die Biennale nicht vor. Manchmal wünscht man sich etwas Schönes: etwas
Gebautes, vor dem man einfach stehen bleibt und staunt, etwas, um
„dessentwillen es sich lohnt, auf Erden zu leben, zum Beispiel Tugend,
Kunst (Baukunst), Musik, Tanz, Vernunft, Geistigkeit – irgendetwas
Verklärendes, Raffiniertes, Tolles und Göttliches“. Friedrich Nietzsche
hatte gut reden.
Aber draußen wartet ja das begehbare Kunstwerk Venedig: In
touristenbereinigten Coronazeiten unwiderstehlich und zum Tränenerweichen
schön, verklärend, raffiniert, toll und manchmal einfach göttlich.
9 Nov 2021
## LINKS
[1] /17-Architekturbiennale-in-Venedig/!5769687
[2] /Daniel-Kovacs-ueber-Architektur/!5776600
## AUTOREN
Martin Kieren
## TAGS
Ausstellung
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Kunst
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