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# taz.de -- Erfindung einer polnischen Pop-Ikone: Der queere Sozialist
> Der Musiker Jemek Jemovit hat die Figur eines polnischen David Bowie
> erschaffen. Der Grund: die LGBTQ-Feindlichkeit im heutigen Polen.
Bild: Jemek Jemovit alias Zygmunt Blask, eine Ikone der queeren polnischen Subk…
Er war schwul, androgyn und ein echter Glamrocker wie David Bowie. Und das
im Polen der 1970er Jahre, wo der Kommunismus derartige Ausformungen von
angeblich westlicher Dekadenz eigentlich nicht vorsah. Die Rede ist von
Zygmunt Blask, einer vergessenen Ikone der queeren Subkultur hinter dem
Eisernen Vorhang, deren Leben erwartungsgemäß unglücklich verlief. 1995
starb sie mittel- und obdachlos in New York. Nun wird ihr Leben und Wirken
wieder entdeckt. Dank Jemek Jemowit, einem Berliner Künstler und Musiker,
der seinem Helden und dessen Musik sein neues Album gewidmet hat.
Klingt nach einer guten Geschichte? Dachte sich auch Jemowit, der “The
Legend of Zygmunt Blask“, wie sein vorgebliches Tribute-Album heißt, frei
erfunden hat. Er schuf eine Kunstfigur und einen Mythos, in den er sich als
dessen vermeintlicher Erbverwalter selbst einschreibt und den er fröhlich
weiterspinnt. Wer mag schon sagen, ob es am Ende nicht einen Zygmunt Blask
gegeben haben wird?
“Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!“, heißt es in dem
berühmten Western “The Man Who Shot Liberty Valance“ von John Ford. Wir
erinnern uns auch an die Doku “This is Spinal Tap“ von Rob Reiner über eine
durchgeknallte Metal-Band, die gar keine Doku war, weil die Band nie
existiert hat. Bis sie nach dem Film irgendwann dann doch in Fleisch und
Blut auf der Bühne stand, Konzerte gab und [1][ihre Geschichte ein Stück
weit wahr wurde]. Mal schauen, wie sich das noch mit dem queeren Rocker aus
Polen entwickeln wird.
Jemowit hat jedenfalls noch einiges vor mit ihm. Es gibt nun seine Platte,
auf der er leicht stumpfen, angeglamten Siebziger-Jahre-Rock mit polnischen
Texten zum Besten gibt. Wobei man statt “Platte“ korrekterweise sagen muss:
Kassette. Denn nur als solche erscheint diese, dazu noch limitiert auf 50
Stück, herausgebracht von einem französischen Label. Der Mythos wird also
vorerst nur ein paar Eingeweihten zugänglich gemacht.
Aber dazu wird es noch einen Film geben, der “The Rise And Fall of Zygmunt
Blask“ heißt. Jeder Bowie-Fan weiß natürlich: der Titel ist eine Hommage an
Bowies “Ziggy Stardust“-Album. Ziggy war auch so eine Fantasiegestalt, in
die sich der britische Popstar eine Zeit lang verwandelte, die auf so
manche Bowie-Anhänger aber verdammt real wirkte.
Beim Besuch in Jemowits Studio in Wedding ist der Film gerade in der
Postproduktion. Man bekommt ein paar Ausschnitte vorgeführt. Auf
grobkörnigen Bildern sieht man Zygmunt Blask, der grell geschminkt seine
Songs performt vor Kulissen, die verdammt nach trübem Osteuropa in den
Siebzigern aussehen. Wie durch ein Wunder – Augenzwinker! – sieht der
polnische Barde genau so aus wie Jemowit, sein größter Fan.
Zwischendurch werden vermeintliche Zeitzeugen befragt, die davon berichten,
welch befreiende Kraft der Sänger auf sie gehabt habe: Endlich ein sichtbar
schwuler Rockmusiker aus dem eigenen Land. Das Gezeigte lässt hoffen, dass
Jemowit eine wirklich gelungene und nicht zuletzt auch lustige Mockumentary
hinbekommen hat.
## Unterschiedliche Charaktere verkörpern
[2][Dass Jemek Jemovit Rollenspiele liebt] und immer wieder
unterschiedliche Charaktere verkörpert, ganz in der vielbesungenen
chamäleonartigen Bowie-Manier, wird schnell klar, wenn man sich ein wenig
mit ihm beschäftigt. In den vergangenen 15 Jahren war er schon alles
mögliche. Etwa Postpunk-Revivalist, der sich an Gabi-Delgado-Posen
versucht. Dann verwandelte er sich in einen Rapper aus der Vorstadt, der
auf dicke Hose macht, so wie das in diesen Kreisen eben so üblich ist.
Jemowit beherrscht die Kunst der Mimikry. Zuletzt trat er sogar als der
Leibhaftige persönlich auf, setzte sich Teufelshörner auf, beschäftigte
sich mit Anton LaVey und behauptete, er habe nun eine satanistische Phase.
In all seinen Rollen arbeitet sich Jemovit an Polen ab, dem Land, in dem er
geboren wurde, in der Nähe von Danzig, bevor seine Familie 1989 nach Berlin
zog, wo er in der Gropiusstadt aufwuchs. Als rappender Proll mit einer
Obsession für Gucci und Prada etwa verwurstete er Disco Polo, einen
bizarren, an Euro-Dance und schlechten Rap angelehnten Soundmix, den die
Polen exklusiv für sich haben. Seine Adaption dieser Musik nannte er dann
Tekkno Polo. Wie gesagt: Jemowit hat Witz. Nach allem, was man weiß, konnte
sich Tekkno Polo in Polen aber nie durchsetzen.
Und bei der Beschäftigung mit LaVeys Philosophien ist klar, gegen wen sich
das Bekenntnis des Künstlers zur Church of Satan richtete: gegen den
erzkonservativen Katholizismus, der Polen auf besonders drastische Art im
Klammergriff hat und mitverantwortlich ist für das heutige queerfeindliche
Klima im Land. Lieber Satanist und damit radikal individualistisch und
reuelos hedonistisch, als verklemmt und schwulenfeindlich, so lässt sich
das deuten. Eine “postpatriotische polnische Heimatmusik“ wolle er mit all
diesen Rollenspielen erschaffen, sagte Jemowit einmal in einem Interview.
## Analyse von Popkultur
Ein Popmusiker, der immer wieder andere Identitäten annimmt, ist
logischerweise nie ganz bei sich selbst, nie authentisch, um mal einen
Begriff aus dem Bluesrock-Gewerbe zu verwenden. Genau so fühlt es sich für
Jemowit auch richtig an. “Ich bin keiner, der sich persönlich ausdrücken
muss mit seinen Sorgen und Gefühlen“, sagt er. Vielmehr wolle er bestimmte
Phänomene untersuchen, etwa die Figur des Popstars oder des Outsiders:
“Meine Arbeit ist eher eine Analyse von Popkultur als Popkultur selbst.“ Er
gehe dabei vor wie ein Schriftsteller, der immer wieder neue Geschichten
schreibe.
An der Story über Zygmunt Blask arbeitet er noch, sie ist noch nicht ganz
fertig, ein paar Details könnten noch hinzugefügt werden. Aber der Plot
steht und die Hauptfigur ist bereits gut konturiert. Blask ist jedenfalls
kein eindimensionaler Charakter, der aus heutiger Sicht nur für das
Richtige kämpfte und gegen das Falsche opponierte. Blask wollte vielmehr
Teil des Systems werden, auch um sich selbst zu schützen.
“Er hat versucht, seine Queerness durch Propaganda-Inhalte in den Texten
und durch Bekenntnisse zum Sozialismus zu verdecken“, sagt Jemowit. Ein
Hoch auf die wackeren Bauarbeiter, auf das glänzende Warschau und dessen
schöne Alleen, das hätten auch die anderen Popsänger Polens damals im
Programm gehabt, doch Blask habe seine Heimat noch hemmungsloser als die
meisten anderen gepriesen.
“Eigentlich war das ja auch eine schöne und charmante Propaganda im
Vergleich zu der aktuellen in Polen, die mit Hass und Hetze verknüpft ist“,
sagt Jemowit. Er macht klar, dass er sich auch mit der Erschaffung seiner
Kunstfigur nur vordergründig an einem vergangenen Polen abarbeitet,
eigentlich aber am heutigen. Damals sei der einfache Arbeiter als Teil des
großen polnischen Volks propagiert worden. Heute laute die Propaganda im
Land seiner Geburt dagegen: Homosexualität ist böse. Einst sei sie ein Tabu
gewesen, jetzt werde sie verteufelt. Ein Fortschritt ist das sicherlich
nicht.
Jemowit hat einen echten Antihelden erschaffen, tragisch verstrickt in die
Geschichte seines Landes. Einst sei dieser “als komische Schwuchtel gehasst
worden“, obwohl er stolzer Patriot und Sozialist war. Heute werde er auch
noch dafür verachtet, dass er Kommunist gewesen sei. Eine traurige
Geschichte. Die nicht stimmt. Aber irgendwie auch schon.
14 Nov 2021
## LINKS
[1] /Heavy-Metal-Band-Spinal-Tap/!5159075
[2] /Selfmadepopstar-aus-Berlin-Gropiusstadt/!5610131
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Polen
Queer
Pop
Schwerpunkt LGBTQIA
David Bowie
Lesestück Recherche und Reportage
Techno
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