# taz.de -- Selfmadepopstar aus Berlin-Gropiusstadt: Das teuflische Schlenkern | |
> Jemek Jemowit ist ein musikalischer Verwandlungskünstler, der sich | |
> zwischen polnischer Protestmusik, Rap und Satanismus immer wieder neu | |
> erfindet. | |
Bild: Falco trifft Bowie in der Gropiusstadt: Jemek Jemowit, hier im Wedding | |
Jemek Jemowit sitzt mit übergeschlagenen Beinen in einem weißen | |
Plastikstuhl im Freibad Humboldthain und raucht eine Zigarette. Es hat | |
geregnet, die Luft ist feuchtwarm und das Freibad liegt verlassen da, | |
niemand schwimmt. Nur ein paar Kinder, die gerade einen Tanzworkshop | |
machen, rennen schreiend über die leere Wiese. | |
An Jemek fällt zuerst auf, das er ganz anders aussieht als in seinen | |
Musikvideos, in denen er wiederum fast jedes Mal völlig anders wirkt, | |
sodass man ihn auch von Video zu Video kaum wiedererkennt. Jemek erzählt | |
von seinem aktuellen Track „Junger Gott“, der eigentlich vom Teufel | |
handelt, also einem gefallenen Gott. „Wenn du als Mensch sagst: ‚Ich bin | |
Gott‘, bist du eigentlich schon der Gefallene, der Teufel“, sagt er. | |
Wenn man „Junger Gott“ hört und das Video dazu sieht, muss man an Polanskis | |
Film „Rosemary’s Baby“ denken, indem die Protagonistin unwissentlich ein | |
Kind von Satan erwartet. Im Refrain singt Jemek Jemowit: „Wär ich ein | |
junger Gott, ich hätte zwei Hörner, ich hätt gespaltne Hufe, ich würde dich | |
ficken und nächstes Jahr käm mit Applaus aus deiner Vagina eine Göttin raus | |
– ich bet sie an.“ | |
Jemek und seine Band spielen „Junger Gott“ im Video in einem düsteren Raum, | |
der aussieht wie ein verlassenes Schlachthaus – Neonlichtlampen, an den | |
Wänden, dreckig-weiße Fließen. Der 32-Jährige ist in Weiß gekleidet, auf | |
dem Kopf hat er eine rote Samtkappe mit kurzen dunkelblauen Teufelshörnern. | |
Er steht am Mikrofon und tanzt zu den abgehackten Elektro-Rockbeats seiner | |
Band, die in diesem Track irgendwie an eine Mischung aus Falco und David | |
Bowie erinnern. Dazwischen sind Bilder geschnitten, auf denen er, am Hals | |
mit einer Eisenkette gefesselt, über den Boden kriecht. | |
Spiel mit dem schlechten Ruf des Teufels | |
Trotz der gruseligen Ästhetik wirkt das Video kein bisschen unheimlich, | |
sondern eher, als würde Jemek mit dem schlechten Ruf des Teufels spielen | |
und sich über diejenigen lustig machen, die Angst vor Satan haben. „In | |
‚Junger Gott‘ geht es um Selbstliebe und Liebe, die man seinen liebsten | |
Menschen geben sollte, statt sie in Gottesverehrung zu stecken. Egoismus | |
ist ein Grundsatz des Satanismus“, erzählt Jemek. | |
Wenn er redet, lacht er immer wieder laut über das, was er sagt, und | |
gestikuliert mit seiner Zigarette in der Luft. Seine Fingernägel sind rot | |
lackiert, an einem Arm trägt er ein dickes Goldarmband mit Daddy-Anhäger, | |
dazu eine Bluse in Lila und Schwarz mit Leopardenmuster, dunkle Jeans und | |
beige Cowboystiefel. | |
Bei Recherchen für ein neues Projekt war er im vergangenen Jahr auf die | |
„Satanische Bibel“ von Anton LaVey gestoßen, die ihm zur Inspiration und | |
Grundlage für sein aktuelles Album „Das Satanische Album“ wurde. „Das | |
Satanische Album“ klingt nicht, wie man vielleicht denken könnte, wie eine | |
ehrfürchtigte Verbeugung vor [1][Marylin Manson], sondern wirkt eher | |
satirisch. Wenn Jemek von dem „Satanischen Album“ erzählt, erfährt man | |
allerdings, dass hinter diesem lustigen Schein viel von der satanistischen | |
Philosophie steckt, die vor allem Ende der sechziger, Anfang der siebziger | |
Jahre in Hollywood modisch war und momentan von Quentin Tarantino in seinem | |
aktuellen Spielfilm aufgespießt wird. | |
„Ansatzweise ist Satanismus eigentlich nicht die böse Kontrareligion, als | |
die er dargestellt wird“, erzählt Jemek. Vielmehr sei das eine Art | |
naturfreundliche Philosophie, die davon ausgeht, das der Mensch keinerlei | |
göttliche Eigenschaften habe. „Wenn man das aktuelle Weltgeschehen | |
betrachtet, war diese Denkweise, dass Menschen wie alle anderen Lebewesen | |
einfach Tiere sind, für mich einleuchtend. Niemand kann behaupten, wir | |
hätten mit der Zeit irgendetwas dazugelernt.“ | |
Protestmusik in der Tradition polnischer Musik | |
Jemek ist in Polen geboren und in der Gropiusstadt aufgewachsen. Teils sind | |
seine Texte polnisch, teils deutsch. Die Rolle und der Einfluss, den der | |
Katholizismus in der [2][polnischen Gesellschaft] hat, habe ihn in seiner | |
Hinwendung zum Satanismus bestärkt, sagt er: „In Polen entsteht momentan | |
eine sehr menschenhassende Kultur, die ihre Wurzeln auch in der Religion | |
hat. Da wird viel kaputt gemacht, weil die Menschen ihre Liebe zu Gott vor | |
ihre Mitmenschen setzen.“ | |
Wie die Partei von Präsident Jarosław Kaczyński Polen schadet, war | |
Gegenstand seines Albums „Wróg Publiczny No. 1“ (Staatsfeind Nr. 1) von | |
2016. Protestmusik, die in der Tradition polnischer Musik stehen sollte und | |
„die ganze Scheiße rausschreit, die da gerade passiert“. In einem Video zu | |
seinem Track „Kaczyński-Song“ zeigt Jemek Männer, die auf einer Toilette | |
masturbieren und dabei Masken mit dem Gesicht von Jarosław Kaczyński | |
tragen: „Ich habe eine Nacht lang ein iPad auf der Toilette im Bassy Club | |
aufgestellt und davor diese Kaczyński-Masken verteilt, jeder, der Lust | |
hatte, konnte sie sich überziehen und entweder so tun, als würde er | |
masturbieren oder das echt machen. Alles wirkt ein bisschen dreckig, wie in | |
einem Amateur-Porno.“ | |
Als Jemek Jemowit das Video auf Facebook teilt, wird es binnen weniger | |
Stunden gelöscht. Auch sein Vimeo-Account wird deswegen gesperrt, gerade | |
kann man den Clip nur noch auf YouPorn sehen. Ansonsten gab es zu Jemeks | |
Bedauern aber kaum Reaktionen – nur einmal wurde bei einem Konzert in | |
Warschau der Stecker gezogen, als er den „Kaczyński-Song“ spielte. | |
Satire auf die Protzigkeit vieler Rapper | |
Vor dem Protestalbum hatte Jemek versucht Rapper zu werden und das Album | |
„Jemek Jemowit ist Dr. Dres“ aufgenommen. In dieser Zeit trägt er | |
Reebok-Träningsanzüge, Hoodies, Goldketten, grelle Sonnenbrillen und | |
Cornrows in den Haaren. Die Texte sind Satire auf die Protzigkeit vieler | |
Rapper, allerdings kam das Album bei Jemeks Fans nicht allzu gut an, | |
erzählt er und muss lachen: „Mit diesem Rap-Album habe ich mir ein bisschen | |
mein eigenes Grab geschaufelt, da waren fast alle Leute komplett raus.“ Er | |
selbst findet das Album immer noch gut und steht weiterhin dazu. | |
Bei Jemek Jemowits Musik ist es ein bisschen so, als wäre jedes neue Werk | |
eine neue Phase, in der er sich in eine völlig neue Version einer | |
Kunstfigur von sich selbst verwandelt. Wie bei guten Schauspielern | |
verändern sich je nach Figur sein Äußeres, seine Texte und Bewegungen so | |
sehr, dass er wirkt wie ein völlig anderer Mensch. Richtig wiedererkennen | |
kann man ihn von Phase zu Phase eigentlich nur an einem Vorderzahn, aus dem | |
ein Stückchen abgebrochen ist. | |
Die Kunstfigur, die Jemek noch vor dem Rapper, dem Staatsfeind und dem | |
Satanisten erschaffen hat, hieß „Tekkno-Polo“. Tekkno-Polo ist, was man | |
dem Namen nach vermuten kann, eine Mischung aus Techno und Disco-Polo. | |
Letzteres wiederum ist eine Art polnischem Schlager, der sehr von | |
Italo-Disco beeinflusst ist. | |
Trashig-anarchische Ausstrahlung von Disco-Polo | |
Tekkno-Polo ist ein Musikgenre, das Jemek selbst erfunden hat, es vereint | |
gewissermaßen Berlin mit dem Polen seiner Kindheit: „Disco-Polo ist Anfang | |
der 90er Jahre entstanden, als der Kapitalismus in Polen voll reingehauen | |
hat und alle so ein riesiges Gefühl von Freiheit hatten“, erzählt er. An | |
Disco-Polo habe ihn vor allem die trashige Ausstrahlung und eine gewisse | |
Anarchie der Musiker fasziniert. In den Videos aus seiner Tekkno-Polo-Zeit | |
sieht man ihn in pastelligen Oversizeanzügen vor Rosenhecken oder Yachten | |
an der polnischen Küste stehen oder tanzend vor Straßenbahnhaltestellen im | |
Schneematsch. | |
Bevor Jemek diese „Reise der Stilwechsel“, wie er sie selbst nennt, | |
angetreten hat, war er musikalisch eher an Gothic und Rockabilly | |
orientiert, weil er als Jugendlicher Fan von Popstars wie David Bowie war, | |
außerdem habe er immer auf der Bühne stehen wollen. | |
Heute ist für ihn nicht so wichtig, mit Musik erfolgreich zu sein, ihm geht | |
es um die Erfahrung, die er dabei macht. Als Fotos gemacht werden und der | |
Fotograf von Jemek eine Art teuflische Horror-Pose verlangt, beklagt er | |
sich: „Ich will jetzt aber nicht so ein komisches Klaus-Kinski-Foto.“ Dabei | |
fällt auf, was der echte Jemek mit all den von ihm erfundenen musikalischen | |
Alter Egos gemeinsam hat: eine exzentrische Nachlässigkeit, durch die | |
alles, was er macht, auf eine Art beiläufig und unperfekt wirkt. So, als | |
hätte er es nebenbei mit einem Schlenkern der Hand erledigt, während er | |
schon über die nächste Kunstfigur nachdenkt. Für die er sich übrigens in | |
eine „Satan trifft auf Blairwitchproject“-Figur verwandeln wird. | |
10 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Annina Bachmeier | |
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