# taz.de -- Pressefreiheit in Finnland: Ist Journalismus Landesverrat? | |
> Die Staatsanwaltschaft erhob in Helsinki Anklage wegen „Offenlegung von | |
> Staatsgeheimnissen“ gegen drei JournalistInnen. Ungewiss ist, warum. | |
Bild: Helsinki, 2018: eine Kampagne anlässlich eines Treffens von Putin und Tr… | |
STOCKHOLM taz | Auf dem Pressefreiheits-Index von „Reporter ohne Grenzen“ | |
ist Finnland [1][seit 20 Jahren auf einen der Top-5-Plätze abonniert]. | |
Zwölf Jahre lag es auf Platz 1, aktuell auf dem zweiten Rang. Ist das bald | |
Vergangenheit? Khadija Patel, Vorstandvorsitzende des International Press | |
Institute (IPI) in Wien warnt: „Finnlands Ruf als globaler sicherer Hafen | |
für Pressefreiheit droht unterminiert zu werden“. Ende vorletzter Woche | |
erhob die Staatsanwaltschaft in Helsinki Anklage wegen „Offenlegung von | |
Staatsgeheimnissen“ gegen drei JournalistInnen, denen eigentlich nichts | |
anderes vorgeworfen werden kann, als dass sie ihren Job gemacht haben. | |
Der bestand darin, 2017 für die Hauptstadtzeitung [2][Helsingin Sanomat | |
(HS)], eine Art finnischer FAZ und auflagenstärkste Zeitung des Landes, zu | |
recherchieren, wie die präventive Überwachung der Mobiltelefon- und | |
Internetkommunikation konkret funktioniert. Eine Gesetzesvorlage für | |
erweiterte Überwachungsbefugnisse durch die Sicherheitsdienste des Landes | |
war da gerade vom Parlament in einem Eilverfahren behandelt worden. Und | |
viele JuristInnen hatten ernste verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. | |
Am 16. Dezember 2017 veröffentlichte HS einen als Auftakt zu einer | |
Artikelserie gedachten ersten Text zum Abhörkomplex. Dessen Thema war eine | |
Militäreinheit zur Überwachung der elektronischen Kommunikation mit dem | |
unverfänglichem Namen „Nachrichtentestzentrum“. Noch am Tag der | |
Veröffentlichung erstattete der Generalstab Strafanzeige gegen die Zeitung | |
und äußerte den Verdacht, diese müsse auf illegalem Weg an geheimes | |
Material gelangt sein. | |
Einen Tag später machte die Polizei ohne richterliche Genehmigung eine | |
Hausdurchsuchung in der Privatwohnung der HS-Journalistin Laura Halminen | |
und beschlagnahmte deren Telefone, Rechner, Tablets und mehrere USB-Sticks. | |
Mit einem Hammer versuchte Halminen noch eine Festplatte zu zerstören, um | |
ihre Quellen zu schützen. Finnlands Oberster Gerichtshof verbot der | |
Staatsanwaltschaft später, das beschlagnahmte Material bei ihren | |
Ermittlungen zu verwenden. | |
## Ein fatales Zeichen, auch für autoritäre Staaten | |
Mit vier Jahren dauerten diese Ermittlungen ungewöhnlich lang. Weil die | |
Anklageschrift nicht öffentlich ist, ist bislang unklar, worauf die | |
Staatsanwaltschaft ihre Behauptung stützt, die JournalistInnen hätten | |
„Staatsgeheimnisse offengelegt“ und es sei Geheimmaterial verwendet worden. | |
HS-Chefredakteur Kaius Niemi betont: „Für alle Informationen, die wir | |
veröffentlicht haben, gab es damals öffentlich zugängliche Quellen.“ | |
Dass in einem Land wie Finnland nun versucht werde JournalistInnen für ihre | |
Arbeit zu kriminalisieren und sie mit einem Straftatvorwurf konfrontiert | |
würden, für den eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren drohe, sei „höchst | |
besorgniserregend“ sagt Niemi: „In einer offenen westlichen Demokratie ist | |
das ein unhaltbares Vorgehen.“ Noch gravierender sei die Anklageschrift, | |
weil sie nicht nur den tatsächlich erschienenen Artikel zum Gegenstand | |
ihrer Anklage mache, sondern auch – so wörtlich – [3][„die Serie, die | |
später hätte publiziert werden sollen“]. | |
Eine geplante Veröffentlichung soll zu einer Anklage führen können? Das | |
kann nur als Versuch der Einschüchterung und „Forderung nach Vorabzensur | |
interpretiert werden“, kritisiert Torsten Fagerholm, Chefredakteur des in | |
Helsinki erscheinenden [4][Hufvudstadsbladet,] der auflagenstärksten | |
Zeitung schwedischer Sprache in Finnland: „So als würde sich ein Journalist | |
schon kriminell verhalten, der auch nur in Erwägung zieht, Fragen der | |
nationalen Sicherheit zu thematisieren.“ Er unterstützt vorbehaltlos die | |
HS-KollegInnen: „Es wäre ein publizistisches Versagen gewesen, hätte ein | |
führendes nationales Medium wie Helsingin Sanomat das Abhörthema nicht | |
aufgegriffen.“ | |
Christian Jensen, Chefredakteur der dänischen Politiken, sagt: „Zu solchen | |
Methoden greifen Staaten, um eine freie Presse daran zu hindern, | |
gesellschaftlich relevante Themen zu behandeln.“ Auch Khadija Patel vom | |
„International Press Institute“ ist besorgt. Mit dem finnischem Beispiel | |
könnten autoritäre Staaten die Unterdrückung der freien Presse in ihrem | |
eigenen Land rechtfertigen: „Das gefährdet unabhängigen Journalismus auf | |
der ganzen Welt.“ | |
8 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neue-Rangliste-zur-Pressefreiheit/!5767146 | |
[2] https://www.hs.fi/ | |
[3] https://syyttajalaitos.fi/sv/-/atal-vackts-mot-tre-personer-som-arbetat-pa-… | |
[4] https://www.hbl.fi/ | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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