# taz.de -- Lohndumping und Erntearbeit: Vier Euro Akkordlohn | |
> Ausländische Saisonarbeiter:innen ernten hierzulande unter | |
> schwierigen Bedingungen. Nun ist ein neuer Jahresbericht erschienen. | |
Bild: Immer wieder ausgebeutet: Erntehelfer unter dem Mindestlohn | |
BERLIN taz | Die zehn Beschäftigten aus Rumänien mussten ihre Pässe als | |
„Kaution“ beim Arbeitgeber, einer Baumschule in Nordrhein-Westfalen, | |
abgeben. Als sie ihren Stundenlohn für die Akkordarbeit ausrechneten, kamen | |
sie auf nur vier Euro in der Stunde. Nachdem sie protestierten, setzte sie | |
der Arbeitgeber auf die Straße, ohne Pässe und ohne Geld. | |
Erst nach mehreren Stunden Verhandlungen der Düsseldorfer Beratungsstelle | |
„Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ und der eingeschalteten Polizei | |
erhielten sie vom Arbeitgeber ihre Pässe zurück und den Mindestlohn, der | |
sich auf mehrere tausend Euro summierte. Das Fallbeispiel [1][findet sich | |
im Bericht 2021 über] “Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ der „Initiati… | |
Faire Landarbeit“, zu der Beratungsstellen und die IG BAU gehören. | |
„Die nächste Koalition muss der Ausbeutung auf deutschen Feldern ein für | |
alle Mal ein Ende setzen“, erklärt Anja Piel, Vorstandsmitglied des | |
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die sozial nicht abgesicherte | |
kurzfristige Beschäftigung müsse in allen Branchen „auf wenige Tage im Jahr | |
begrenzt werden“, forderte Piel. | |
Für das Jahr 2020 wurde die maximale zeitliche Begrenzung für eine | |
[2][kurzfristige Beschäftigung] von zuvor 70 auf 115 Tage, dann wieder bis | |
Oktober 2021 auf nur noch 102 Tage im Jahr erhöht. Dabei sind die | |
Beschäftigten nicht über ihre hiesigen Arbeitgeber kranken- oder | |
rentenversichert. Diese Art der Beschäftigung darf laut Gesetz aber nicht | |
„berufsmäßig“ sein, sollte also von Student:innen, Rentner:innen oder | |
Hausfrauen und Hausmännern ausgeübt werden, falls der Arbeitgeber die | |
gesetzlichen Bestimmungen einhält. | |
## Mindestlohn nur auf dem Papier | |
Ein „erheblicher Teil“ der Saisonarbeiter:innen in der Landwirtschaft | |
arbeite nach dem Modell der kurzfristigen Beschäftigung, heißt es in dem | |
Jahresbericht. Auch für sie gilt der gesetzliche Mindestlohn von derzeit | |
9,60 Euro in der Stunde- eigentlich. In der Erntearbeit ist es üblich, dass | |
ein Akkordlohn bezahlt wird, also entsprechend der geernteten Menge. Dieser | |
Akkordlohn sollte umgerechnet pro Stunde mindestens dem gesetzlichen | |
Mindestlohn entsprechen. In der Praxis aber sei es für die Beschäftigten | |
häufig „schwierig, den genauen Lohn und die Abzüge nachzuvollziehen“, so | |
der Bericht. | |
Fällt die Erntesaison witterungsbedingt schwach aus, weil nicht genügend | |
Arbeit da ist, bekommen die Saisonarbeiter:innen weniger Lohn als | |
vorher ausgemacht, heißt es. Die zu hohen Abzüge vom Lohn für die | |
Unterkunft seien ein „zweites Problem“. In einem Betrieb in Bayern wurden | |
den Beschäftigten für die Logis im Doppelzimmer 265 Euro im Monat abgezogen | |
und die Miete dann vom Lohn in bar einbehalten, ohne dass dies dokumentiert | |
war. | |
Die Unterkünfte sind dabei nicht selten in mangelhaftem Zustand. Die | |
Beratungsstelle mira und die Betriebsseelsorge Stuttgart-Rottenburg wurden | |
auf die Situation von georgischen Saisonarbeiter:innen aufmerksam, | |
die in Containern mit verschimmelten Wänden und Decken wohnten und nur | |
Dixie-Toiletten im Freien zur Verfügung hatten. Beschäftigte standen „mit | |
Sandalen und Halbschuhen im Matsch“ und mussten in der Kälte Erdbeeren | |
pflücken, so der Bericht. | |
## Rekrutierungsraum erweitert | |
Immer mehr Saisonarbeiter:innen kommen aus Drittstaaten außerhalb der | |
EU wie Georgien und der Ukraine. „Der Rekrutierungsraum wurde in den | |
letzten Jahren immer wieder erweitert“, so steht es im Bericht. Zuerst war | |
Polen das wichtigste Herkunftsland, dann Rumänien. Inzwischen sei man für | |
Rumänen kein attraktiver Arbeitgeber mehr, wird ein | |
Landwirtschaftsvertreter zitiert. Daher gewinnen Herkunftsländer außerhalb | |
der EU an Bedeutung. Die rechtlichen Konstruktionen dafür sind vielfältig | |
und reichen von angeblichen „Praktika“ bis zu „Ferienjobs“, die die | |
Saisonarbeiter:innen aus der Ukraine angeblich machten. | |
Die Coronapandemie bedeutete erheblichen Stress für die Landarbeiter:innen. | |
Teilweise wurde aufgrund der Pandemie eine „gruppenweise Quarantäne“ | |
angeordnet, wobei die Leute in Gruppen von bis zu vier Personen arbeiten | |
und wohnen sollten. Diese Arbeitsquarantäne stelle „eine Diskriminierung | |
dar, verglichen mit den allgemeinen Standards des Infektionsschutzes am | |
Arbeitsplatz in Deutschland“, rügte der Bericht. | |
Die Initiative fordert von der Bundesregierung unter anderem, dass | |
kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft in Deutschland vollständig | |
sozialversichert sein müssen, die staatlichen Kontrollen ausgeweitet werden | |
und ein verlässliches digitales Arbeitszeiterfassungssystem eingeführt | |
wird. 2019- neuere exakte Zahlen gibt es nicht- gab es laut Bericht etwa | |
274.700 Saisonarbeiter:innen in der Landarbeit. | |
22 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://igbau.de/Binaries/Binary16991/2021-InitiativeFaireLandarbeit-Saison… | |
[2] https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Arbeitgeber-und-… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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