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# taz.de -- Abschied vom Billigflughafen: Goodbye, Hahn
> Für viele westdeutsche Migra-Kids ist Frankfurt-Hahn ein Teil ihrer
> Jugend. Ein paar letzte Erinnerungen an den trostlosen Flughafen im
> Nirgendwo.
Bild: Oft dauerte die Fahrt nach Frankfurt-Hahn bedeutend länger als der Flug
Auf meinem MP3-Player sind ungefähr 15 Songs. „Apologize“ von One Republic,
„Valerie“ von Amy Winehouse, „All Summer Long“ von Kid Rock. Sie laufen…
Dauerschleife. Es ist 2008, die Zeit der Finanzkrise, der Nokias und des
Yes-we-can, aber es ist auch die erste Hochphase des irischen
Billigfluggiganten Ryanair und seiner Regionalflughafenstrategie.
Von Frankfurt-Hahn starten in diesem Jahr knapp vier Millionen Passagiere,
so viele werden es danach nie wieder sein. Diese Zeit, sie ist geprägt von
der Expansion der Billigairlines. [1][Ryanair, Easyjet und Co] machen das
Fliegen von Provinzflughäfen aus für viele Menschen erschwinglich. Der
Flughafen Frankfurt-Hahn wird zu einem Symbol dieser Billigflugzeit.
Zwar gibt es in Deutschland einige Kleinflughäfen, die von der Ryanair-Ära
profitieren, doch Hahn ragt heraus. Er ist der erste seiner Art – seit 1999
bedient Ryanair den ehemaligen Militärflugplatz – und er ist der
Prominenteste: deutlich größer als seine Geschwister in [2][Kassel-Calden],
Lübeck und Friedrichshafen, deutlich abgelegener als die größeren
Regional-Airports in Dortmund oder Paderborn/Lippstadt.
Westdeutsche Mittelstandsfamilien fliegen von Hahn aus in ihren
Sommerurlaub nach Italien, statt mit dem Opel Corsa drei Stunden im
Gotthardstau zu stehen. Junggesellenabschiede und Fußballmannschaften gehen
über Pfingsten am Ballermann steil, statt in einer Jugendherberge irgendwo
im Sauerland. Für uns Migra-Kids geht’s dagegen meist nicht an die ganz
großen Urlaubsziele – neben der [3][Top-Destination Palma de Mallorca]
stehen in Hahn auch Orte wie Bari, Faro oder Skopje auf der Abflugliste.
Ein Onkel, der einen am Flughafen abholt. Dann zwei Stunden Autofahrt ins
Dorf.
Regionalflughäfen sind zu jener Zeit ein wichtiger Teil der Strategie der
Low-Cost-Flieger. Für Politiker:innen sind sie Prestigeprojekte,
Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen und Standortfaktoren, um Unternehmen in
die Provinz zu locken. Einige wittern hier den Megaboost für ihren
Landkreis. Die Airlines wissen das auszunutzen, verhandeln niedrige
Gebühren, die nur über Subventionen Bestand haben können.
Endlose Anfahrt
Deutschland im Jahr 2008, das ist auch eine Zeit, in der sich im Schatten
der großen Autobahnen so viele Shuttlebusse wie nie zuvor über die
Landstraßen in Rheinland-Pfalz schlängeln, um Menschen aus NRW,
Baden-Württemberg und Hessen auf das entlegene Gelände eines ehemaligen
Militärflughafens zwischen Bernkastel-Kues und Büchenbeuren zu karren. Der
Kapitalismus, er bahnt sich seine Wege eben auch über Schlaglochstraßen,
wenn es sein muss. Für nicht wenige ist die Fahrt nach Frankfurt-Hahn
bedeutend länger als der Flug von Frankfurt-Hahn.
2008 hasse ich die Fahrt nach Hahn. Ich hasse auch diesen Namen.
Frankfurt-Hahn, die Mutter aller Etikettenschwindel. 120 Kilometer liegen
zwischen der Mainmetropole und dem Nichts im Rhein-Hunsrück-Kreis. Das
macht alles noch viel seelenloser, als es eh schon ist. Die Lieblosigkeit
des Flughafengebäudes. Diese Schwimmbadatmosphäre der Empfangshalle mit dem
McDonald’s hinten in der Ecke. Allein die in Grün, Lila, Türkis gehaltene
Schriftart, in der „frankfurt hahn airport“ am Gebäude steht, wirkt wie die
Kreation eines dieser T-Shirt-Bedruckgeschäfte, von denen man sich auch im
Jahr 2008 schon fragt, wie die sich wohl halten können. Sowieso fragt man
sich das andauernd: Wie kann sich das alles hier halten?
Und trotzdem, während ich daran denke, wie ich da im Bus sitze, die
Kopfhörer tief in den Ohrmuscheln, mit dem Kopf immer wieder ans Fenster
anschlagend, mischt sich doch so etwas wie Wehmut in die aufrechte
Abneigung gegen diesen Tristessehafen am Arsch der Welt. Für Menschen mit
ausländischen Wurzeln war der Flug zum anderen Teil der Familie oft nur von
solchen Airports bezahlbar oder ermöglichte gar einen Besuch mehr im Jahr.
Die Ferien begannen immer wieder aufs Neue mit dem schweren Gang nach Hahn.
Hatte man es aber geschafft, öffneten sich endlich die Flugzeugtüren und
die erste warme Welle der anderen Klimazone schwappte einem entgegen, war
der Frust vergessen, die Strapaze im Rückblick doch gar nicht so groß.
Die Zeit der Billigflieger ist natürlich nicht vorbei. Im Gegenteil, sie
boomt auch nach Corona-Lockdown. Doch ihre Strategie hat sich in den
Zehnerjahren verändert. Die Low-Cost-Airlines setzen immer weniger auf
abgelegene Standorte, starten längst von Köln/Bonn oder dem richtigen
Frankfurt. Die Passagierzahlen von vielen „Kleinen“ befinden sich dagegen
im Sinkflug. Sie sind oft abhängig von nur einer oder zwei Airlines.
Verlagern diese ihre Abflugorte, ist das für die Provinz-Airports kaum
aufzufangen. [4][Ökonomisch kämpfen die kleinen Standorte oft ums
Überleben]. Selbst in seinem Rekordjahr 2008 schrieb der Flughafen Hahn
keine schwarzen Zahlen.
Schließung gefordert
Der Umweltbund BUND attestierte [5][in einer Studie im vergangenen Jahr nur
dreien der landesweit 14 Regionalflughäfen einen verkehrspolitischen
Nutzen] und forderte die sofortige Schließung der Hälfte von ihnen. Der
Europäische Gerichtshof bestätigte zudem in diesem Sommer ein Urteil, nach
dem die Subventionen, mit denen viele Bundesländer ihre Verlustflughäfen
seit Jahren am Laufen halten, nicht mit dem EU-Recht vereinbar sind.
2008 ist vorbei, der Flughafen Hahn insolvent, die regelmäßigen Fahrten ins
hinterste Eck Westdeutschlands für die meisten ein Kuriosum der
Vergangenheit. Das alles ist gut und überhaupt nicht schade und irgendwie,
na ja, ein bisschen traurig ist es schon. Der Weg nach Frankfurt-Hahn, das
war auch immer eine Fahrt durch die Bundesrepublik abseits der großen
Autobahnkreuze.
Das waren Stunden durch Funklochregionen, durch konventionelle
Landwirtschaft und angeschlagene mittelständische Betriebe, durch Felder
und Felder und Felder, hin und wieder unterbrochen von den blendenden
Scheinwerfern der zurückeilenden Shuttlebusse auf der Gegenfahrbahn. Eine
Fahrt überbrückt durch SMS-Schreiben, Snake-Spielen und MP3-Player-Hören.
Kniff man die Augen etwas zusammen, dann war da nur noch Grün und Blau,
Himmel und Erde, wie beim Start einer Boeing, in diesem einen Moment der
Beschleunigung, in dem man sich erst wirklich der Kraft der Maschine
bewusst wird und es einen ins Sitzpolster drückt, und genau dann vermischen
sich draußen also die Elemente und die Farben.
Und irgendwie – und nun gelangen wir endgültig in den Bereich der
verkitschten Verklärung, die immer nur dann eintritt, wenn man mit dem
milden Auge der Nostalgie auf etwas zurückschaut –, irgendwie war
Frankfurt-Hahn ja auch immer ein Underdog. Platz drei von drei im
landesweiten Frankfurt-Ranking (Main, Oder, Hahn), immer etwas schäbig,
ungeliebt und unverstanden, in seiner Funktion akzeptiert, aber nie
wirklich respektiert – ein Flughafen buchstäblich ohne große Lobby. Wenn
nicht wir Migra-Kids, wer sollte sich also sonst damit identifizieren?
7 Nov 2021
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[4] /Flughaefen-in-der-Coronakrise/!5751765
[5] /Studie-zu-unrentablen-Klein-Airports/!5702887
## AUTOREN
Luca Bognanni
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