| # taz.de -- Die Wahrheit: Steinbrüche voller Bier | |
| > Wenn Engländer über den Alkoholkonsum von Irinnen und Iren forschen, | |
| > kommen meist nur besoffene Ergebnisse heraus. | |
| Früher war das Leben in Irland eine endlose feuchtfröhliche Party. Im 16. | |
| Jahrhundert tranken Männer, Frauen und Kinder gemeinsam Unmengen Bier, es | |
| war neben Brot das wichtigste Nahrungsmittel. Das behauptet Susan Flavin, | |
| Dozentin für Geschichte an der Anglia Ruskin University in Cambridge. | |
| Die Times, vor fast genauso langer Zeit eine ernstzunehmende Tageszeitung, | |
| griff die Untersuchung begierig auf, weil sie die englischen Vorurteile | |
| über die trunksüchtigen Nachbarn zu bestätigen schien. In einem älteren | |
| Artikel, der mir neulich beim Ausmisten wieder in die Hände fiel, erklärt | |
| Flavin, dass jedem Arbeiter in einem Steinbruch bei Dublin im Winter | |
| täglich 14 Pints Bier zugeteilt wurden. Das sind fast acht Liter. Welcher | |
| Steinmetz kann nach einer solchen Menge noch das Stemmeisen halten? | |
| Am Ende des Arbeitstages kamen Frauen und Kinder in den Steinbruch, und es | |
| wurde weiter gesoffen. „Die Vorstellung, dass Frauen damals kaum aus dem | |
| Haus kamen, trifft auf Dublin nicht zu“, sagt Flavin. Es habe sogar | |
| Besäufnisse nur für Frauen gegeben. Das gehe aus den Akten aus dem Jahr | |
| 1565 hervor. Dort stehe auch, dass die Angestellten im Dublin Castle, wo | |
| die englischen Besatzer residierten, 264.000 Pints im Jahr tranken, also | |
| knapp 150.000 Liter oder acht Pints pro Person und Tag. | |
| Irland sei bei Produktion und Konsum von Bier in der Welt führend gewesen, | |
| behauptet Flavin. Jedes Pint enthielt angeblich 400 bis 500 Kalorien. | |
| Heutzutage sind es höchstens 200. Und es enthielt sieben bis zehn Prozent | |
| Alkohol – ähnlich wie ein leichter Wein, falls man solche Hefe verwendete | |
| wie heute. Das ist schon der erste Haken in den Berechnungen. Woher weiß | |
| Flavin, dass die Menschen die gleiche Hefe benutzt haben? Und das Pint, | |
| jene 0,56 Liter, um das sich heutzutage im Pub alles dreht, wurde in Irland | |
| erst 1824 eingeführt. | |
| ## Zaun um Dublin | |
| Außerdem untersuchte Flavin offenbar keine Manuskripte in irischer, sondern | |
| in englischer Sprache. Die werden im Dublin Castle aufbewahrt. Das | |
| englische Herrschaftsgebiet beschränkte sich damals auf die Gegend rund um | |
| Dublin, um das man einen Zaun gezogen hatte, um die rebellischen irischen | |
| Barbaren fernzuhalten. | |
| Trotz der offenbar schlampigen Untersuchung hat der European Research | |
| Council Flavin 1,5 Millionen Euro bewilligt, um herauszufinden, was die | |
| Iren damals zum Bier aßen. Die Reichen hatten Zucker, Truthähne, Ananas und | |
| Artischocken, glaubt Flavin. Aber womit hat sich das einfache Volk ernährt? | |
| Flavins Team wird dazu ein paar Knochen auf alten Friedhöfen ausbuddeln und | |
| sie forensisch untersuchen. Außerdem will sie Bier nach den Rezepten des | |
| 16. Jahrhunderts brauen. Endlich ein lohnenswerter Ansatz! Ich habe mich um | |
| einen Job als Testtrinker beworben. | |
| 1 Nov 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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