# taz.de -- Sündhaft teure Espresso-Maschine: Menge, Mahlgrad, Brühzeit, Glü… | |
> Nach dem Umzug in die Espresso-Wüste Oldenburg kaufte sich unser Autor | |
> eine 1700-Euro-Maschine – und wurde zum Kaffeenerd wider Willen. | |
Bild: Es ginge auch ohne – aber wozu? | |
Denk ich an Oldenburg in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. | |
So, genau so, ging es mir im Februar morgens um 2, und das lag nicht daran, | |
dass ich mich vor der Stadt im nordwestlichen Nordwesten fürchtete, in | |
[1][die ich bald ziehen würde], sondern es lag an der Kaffeefrage: Wo würde | |
ich dort dem Espresso-Cappuccino-Ritual nachgehen können, das meine Frau | |
und ich morgens – eigentlich jeden Morgen seit so vielen Jahren – beim | |
Bretonen in der Markthalle am Marheinekeplatz in Berlin-Kreuzberg pflegten? | |
Die Frage war aufgekommen, als ich wenige Tage zuvor mit einem Freund an | |
einer anderen Ecke in Berlin einen Espresso trank. Dieser Freund wusste | |
nichts von unseren Umzugsplänen, in mir allerdings waren sie sehr aktiv. | |
Und genau in diesem Moment aufwallender Abschiedszweifelgedanken nippte der | |
Freund an seiner Tasse und sagte: „Das Geile an Berlin ist ja, dass du hier | |
an jeder Ecke einen super Espresso bekommst.“ | |
Eben. | |
Und ich? | |
In Oldenburg? | |
Nun lag ich also wach und wälzte mich und meine Gedanken. Dass es um die | |
Espresso-Kultur in Oldenburg nicht so richtig gut bestellt sein würde, | |
ahnte ich. Die Stadt ist die heimliche Hauptstadt der Systemgastronomie, | |
auch wenn es natürlich ein paar Orte gibt, an denen jemand sich darauf | |
versteht, einen ordentlichen Caffè herzustellen. Zuerst genannt wird stets | |
das Kaffee Käthe in der Innenstadt, aber bis dahin würden wir ein paar | |
Kilometer zurücklegen müssen, daraus würde sich kein morgendliches Ritual | |
wie im Vorbeigehen entwickeln. | |
Wir würden uns selbst um unseren Kaffee kümmern müssen. Um möglichst nah an | |
den Bretonen aus der Kreuzberger Markthalle heranzukommen, dachte ich an | |
den Kauf einer Espressomaschine. Bislang hatten wir zu Hause immer so eine | |
kleine Kanne benutzt, eine Cafetera, aus der aber ja in Wahrheit [2][eher | |
ein Mokka] kommt. Mir fiel ein, dass ich einige Tage zuvor wie jeden | |
Dienstag die „Motor und Technik“-Seiten der FAZ gelesen hatte. Ich liebe | |
diesen immer etwas nerdigen Tech-Journalismus, der dort betrieben wird, vor | |
allem wegen der grandiosen Stilistik. Nirgendwo wird liebevoller über | |
dicke, unnötige Autos geschrieben – und dann und wann auch über | |
Haushaltsgeräte. | |
Dort hatten sie sich eine kleine Espressomaschine aus der Schweiz | |
vorgenommen, die auch Milchschaum herstellen könne. Zuriga heißt die Marke, | |
weil sie aus Zürich kommt, das Modell aber lässig schweizerisch bloß „E2S�… | |
[3][Die FAZ-Tester lobten] vor allem ihre Kleinheit, die Eleganz und die | |
Tatsache, dass sie nur zwei Knöpfe hat, um sie zu bedienen. Einen, um die | |
Maschine ein- und auszuschalten, den anderen, um Kaffee „zu beziehen“, wie | |
es in der Fachsprache wohl heißt. | |
Aber: Ein seelenloser Vollautomat sei diese Maschine nicht, so verstand ich | |
den Text, sondern einfach eine Meisterschöpfung mit Siebträger, die ohne | |
viel Schnickschnack zuverlässig sehr guten Espresso und eben auch | |
Cappuccino herzustellen hilft. Brühtemperatur auf 93 Grad Celsius | |
voreingestellt, Druck konstant bei 9 bar, Wassertank aus gehärtetem Glas, | |
die Maschine aus einem Stück Alu gefräst, Siebträgergriff aus Nussbaumholz, | |
Aufwärmzeit zwei Minuten. | |
Für mich klang das ideal, denn ich wollte nie ein Kaffeeist werden, der | |
erst die Luftfeuchtigkeit in Abhängigkeit vom Breitengrad bestimmen muss, | |
um den Mahlgrad einzustellen, dann in kunstvoll einstudierten Bewegungen | |
Espresso zuzubereiten und hernach Milchschaummuster zu malen. | |
Zwei Knöpfe nur! | |
Schweizerische Wertarbeit! | |
Zuriga E2S! | |
Verheißungsvoll – und von den Technikfreaks meines Vertrauens belobigt. | |
Um die 1.700 Euro sollte die Maschine kosten. Uff. Ich rechnete aus, dass | |
sich diese Investition nach soundso viel Wochen ausgezahlt haben würde und | |
zu Hause dann außerdem eine wunderschöne, kleine E2S stünde, die mich stets | |
an Berlin und den Bretonen erinnern würde. Ich kaufte aber nicht sofort, | |
sondern rief bei einem Berliner Start-up an, das schallsichere | |
Telefonkabinen für Großraumbüros entwickelt. Zuriga hatte den Kontakt | |
vermittelt, dort gebe es eine ihrer Maschinen, dort könne man einen | |
Test-Espresso trinken. Der Anruf reichte mir, ich musste den weiten Weg gar | |
nicht zurücklegen. Die Frau am Telefon war so begeistert, dass ich mir nun | |
endgültig sicher war, auch eine Zuriga haben zu wollen. | |
Ich bestellte Mitte Februar – auch wieder nächtens –, zahlte per | |
Kreditkarte und bekam eine nette Antwort-Mail: „Hallo Felix Herzlichen Dank | |
für Deine Bestellung. Jetzt machen wir uns an die Arbeit … Liebe Grüsse | |
Dein Zuriga-Team“. Denn, wirklich, die stellen die Maschinen quasi nur für | |
die her, die bestellt haben. Nix auf Vorrat, sondern schön der Reihe nach. | |
Alles liebevoll in Zürich gefräst, geschraubt und verpackt. Lieferzeit für | |
mich: 8. August. Vorfreude riesig, lungo quasi. | |
Die Maschine kam dann sogar ein paar Tage früher, da waren wir gerade im | |
Urlaub. Vor Ungeduld hätte ich den fast abgebrochen. Zu Hause dann das | |
Auspackerlebnis, so schön! Der Karton wie ein kleines Schränkchen, darin | |
die E2S. Meine E2S. | |
Tja. Und gleich danach kam dann die erste Krise. Ich Hirni dachte, ich | |
könne den bereits gemahlenen Lavazza-Espresso benutzen, aber da rauschte | |
das Wasser nur so durch, dünne Plörre, nix Bretone. Puh. Die Antwort auf | |
meine Bitte um Rat an Zuriga kam prompt, war freundlich, im Subtext aber | |
fassungslos: Lavazza, gemahlen, in unserer Maschine??? Viel zu grob, | |
Siebträger-Maschinen brauchen schließlich feines Pulver. | |
Ich begann nun also doch, mich zum Kaffeeisten zu entwickeln, notgedrungen. | |
Zwar hat die E2S ja nur zwei Knöpfe, aber Espresso ist nun mal das Produkt, | |
für das Kaffeemenge, Mahlgrad, Brühtemperatur, Wasserdruck und Brühzeit in | |
ein gelingendes Miteinander treten müssen. Und um Menge, Mahlgrad und | |
Brühzeit muss ich mich selbst selbst kümmern. Ich las, dass ich eine | |
gescheite Mühle bräuchte, ich kaufte eine gescheite Mühle. Ich erfuhr, dass | |
man ein paar Siebträgerladungen Kaffee verbrauchen muss, ehe man den | |
richtigen Mahlgrad eingestellt hat, und ich verbrauchte einige Ladungen | |
Kaffeepulver. | |
Ich sah [4][Youtube-Tutorials] [5][mit Espressonerds], wie ich nie einer | |
werden wollte, aber sie halfen mir zu verstehen, was ich tun musste, um die | |
beiden Geräte, die nebeneinander hübsch aussahen, zu bedienen und ins | |
Verhältnis zu setzen. Danke, liebe Espressonerds, ehrlich! Meine Zuriga | |
hätte andernfalls das Schicksal vieler Klaviere oder Homefitnessgeräte | |
ereilt, die mangels Benutzerfreundlichkeit bald nur noch in der Ecke | |
stehen. | |
Mittlerweile kann ich locker aus 18 Gramm gemahlenen Kaffeepulvers 36 | |
Milliliter kräftigen Espresso beziehen. Ich kann Milch in Milchschaum | |
verwandeln, der feinporig-cremig ist. Ich beginne, mich federleicht-elegant | |
zwischen Mühle und Maschine zu bewegen, wie der Bretone. Ich mache keine | |
Latte-Art, aber ich liebe meine Maschine. Und ich liege nachts wieder wach, | |
weil ich zu viel Caffè trinke. | |
24 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Abschied-von-Berlin/!5771142 | |
[2] /Kaffee-aus-der-Mokkakanne/!5760509 | |
[3] https://www.faz.net/aktuell/technik-motor/technik/espressomaschine-zuriga-e… | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=SIl1txYpLIo | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=C5nqI0-8QX0 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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