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# taz.de -- Pakistans Umgang mit den Taliban: Zwischen Gut und Böse
> Pakistans Taliban sind wieder in der Offensive. Das hat vor allem mit
> ihren afghanischen Glaubensbrüdern zu tun – die von Islamabad gestützt
> werden.
Bild: Ein afghanischer Talibankämpfer bewacht den Grenzübergang Torkham nach …
Islamabad taz | Das Feuer schwerer Waffen in Ladha dauerte mehr als eine
Stunde. In der Kleinstadt in Südwasiristan starben bei einem von zwei
Gefechten zwischen pakistanischen Taliban und Sicherheitskräften an diesem
15. September sieben Soldaten und fünf militante Islamisten.
„Frauen und Kinder zitterten vor Todesangst“, berichtete später der
Journalist Gohar Mehsud, der dort gerade seine Familie besuchte. Seit im
nahen Afghanistan die dortigen Taliban die Macht erobert haben, sind auch
die pakistanischen Taliban (Tehreek-i-Taliban Pakistan – TTP) wieder
stärker geworden.
Obwohl die TTP eigenständig und keineswegs ein Ableger der afghanischen
Taliban ist, hatte sie stets enge Beziehungen zu diesen und sie als
ideologische Vorbilder betrachtet.
Pakistans Regierung und Sicherheitsbehörden haben stets eine Beziehung
zwischen beiden Taliban-Organisationen geleugnet, indem sie [1][die von
Islamabad gestützten afghanischen als „gute Taliban“ bezeichnen] und von
den „schlechten“ pakistanischen behaupteten, sie seien ein Produkt Indiens,
um in Pakistan Aufstände zu schüren.
## Kooperation über die Grenze hinweg
Wenn bis vor Kurzem US- und Nato-Militärs die afghanischen Taliban mal
stärker bedrängt hatten, fanden diese stets Unterschlupf bei der TTP in den
pakistanischen Stammesgebieten jenseits der Grenze.
Umgekehrt nahmen Afghanistans Taliban TTP-Kämpfer auf, wenn Pakistans
Militär in den dortigen Stammesgebieten zu viel Druck machte. Dabei hatte
schon vor Monaten Suhail Shaheen, ein Sprecher der afghanischen Taliban,
versprochen, dass sie nicht zulassen würden, dass afghanisches Territorium
für Angriffe auf ein anderes Land benutzt werde.
Trotzdem hängt der jüngste Aufschwung der TTP mit dem Sieg der afghanischen
Taliban zusammen. Schon als die US-Regierung letzteren Friedensgespräche
angeboten hatte, inspirierte dies den TTP-Kommandeur Mufti Noor Wali dazu,
die in viele Gruppen aufgespaltene pakistanische Organisation wieder zu
einen. Offensiven des pakistanischen Militärs hatten zu Brüchen innerhalb
der TTP geführt, die Mufti Noor Wali zum Großteil überwinden und so die TTP
revitalisieren konnte.
„Die Machtübernahme der afghanischen Taliban hat zweifellos die Moral der
TTP in Pakistan gestärkt und ihnen neue Hoffnung gegeben,“ sagte der
liberale pakistanische Politiker, Paschtunen-Aktivist und
Afghanistan-Experte Afrasiab Khattak der taz.
„Die afghanischen Taliban ließen nach ihrem Sieg Tausende Gefängnisinsassen
frei, darunter auch 2.000 TTP-Mitglieder wie den früheren TTP-Vizechef
Molvi Faqeer Mohammad. Er schloss sich wieder der TTP an und motivierte
sie. Die häufigeren Angriffe zeigen deutlich, dass die TTP wieder stärker
geworden ist,“ so Khattak.
## Die pakistanischen Taliban fühlen sich siegessicher
Anfang September warnte die TTP Pakistans Medien davor, TTP-Mitglieder als
„Terroristen“ oder „Extremisten“ zu bezeichnen. Jüngst sah man TTP-Kä…
offen in den Stammesgebieten umherstreifen. Einheimische meldeten etliche
Vorfälle im Zusammenhang mit der TTP wie Spendensammelaktionen in Moscheen,
Graffitis mit TTP-Slogans sowie Aufrufe, strikt die Scharia zu befolgen.
Auch die „Besteuerung“ von Geschäftsleuten durch die TTP hat zugenommen. So
berichtet Sher Mohammad, der in Südwasiristan eine Baufirma leitet, von
hohen Geldforderungen der TTP, damit er dort überhaupt noch Projekte
durchführen kann. Seiner Erfahrung nach müsse jeder zahlen, der dort tätig
sein wolle. Vor der letzten Offensive des Militärs hätte die Steuer der
Islamisten noch fünf Prozent des Umsatzes betragen, inzwischen sei sie aber
auf zehn Prozent gestiegen.
Laut einer TTP-nahen Quelle erhielten Pakistans Taliban jüngst viele Waffen
aus von den afghanischen Taliban erbeuteten Beständen früherer US- und
Nato-Stützpunkte. Deshalb wähnt sich die TTP heute quasi als unbesiegbar.
Gestärkt wurde somit ihr Wille, Pakistans gewählte Regierung zu stürzen und
die Scharia durchzusetzen.
## Comeback der Selbstmordattentate
Inzwischen hat die Zahl tödlicher TTP-Angriffe zugenommen, vor allem in den
nordwestlichen Hochburgen. Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul
Mitte August bis Ende September gab es in Pakistan Dutzende Terroranschläge
mit Hunderten getöteten Sicherheitskräften. Sie starben durch am
Straßenrand versteckte Sprengsätze, durch Scharfschützen, Hinterhalte und
Selbstmordattentate.
Letztere erleben ein Comeback, nachdem die Sicherheitsbehörden 2017
behauptet hatten, der TTP das Rückgrat gebrochen zu haben. Doch jetzt
wurden in Pakistan allein im August 35 Terrorangriffe gezählt und dabei 52
Zivilisten getötet. Es ist die höchsten Zahl seit Februar 2017.
Obwohl Pakistans Regierung und Militär zur neuen Gewalt in den
Stammesgebieten weitgehend schweigen, sorgt man sich in Islamabad über die
Bedrohung durch die neue Welle des Terrorismus. Islamabad schickte deshalb
den afghanischen Taliban eine Liste gesuchter TTP-Mitglieder, die vor dem
Militär aus den grenznahen Stammesgebieten nach Afghanistan geflohen sind.
Doch Afghanistans Taliban weigern sich, militärisch gegen die TTP
vorzugehen oder sie wenigstens aus Afghanistan zu vertreiben. Ihrerseits
bot die Regierung in Islamabad gemäßigten pakistanischen Taliban eine
Amnestie an, wenn sie denn kapitulieren.
„Pakistans Regierung kann sich vorstellen, der TTP zu vergeben, wenn sie
ihre Waffen niederlegt und die Verfassung anerkennt“, sagte Staatspräsident
Arif Alvi in einem Interview. Außenminister Shah Mahmood Qureshi ergänzte:
„Wenn die TTP zum Frieden bereit ist, sind wir zu einer Begnadigung
bereit.“ Doch TTP-Sprecher Mohammad Khorasani antwortete nur: „Die TTP gibt
ihren Kampf für die Einführung der Scharia in Pakistan nicht auf.“
13 Oct 2021
## LINKS
[1] /Taliban-in-Afghanistan/!5791521
## AUTOREN
Zahra Kazmi
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