# taz.de -- 60 Jahre Panzerkonfrontation in Berlin: Krieg und Frieden | |
> Vor 60 Jahren standen sich amerikanische und sowjetische Panzer am | |
> Checkpoint Charlie gegenüber. Ein Lehrstück in Sachen Deeskalation. | |
Bild: US-Soldaten in einem Panzer am Checkpoint Charlie in Berlin, Ende Oktober… | |
Berlin taz | Bilder wie diese gingen um die Welt. Mitten im geteilten | |
Berlin standen sich am 27. Oktober 1961 amerikanische und sowjetische | |
Panzer gegenüber. Gefechtsbereit, mit laufenden Motoren, die Kanonen | |
jeweils auf die Gegenseite gerichtet. 16 Stunden lang dauerte diese | |
Konfrontation dreieinhalb Monate nach dem Bau der Berliner Mauer. Standen | |
die Welt und Berlin am Abgrund eines neuen Krieges? | |
[1][„Mit dem Bau der Mauer] hatte die DDR Fakten in der Berlin-Frage | |
geschaffen“, sagt die Historikerin Susanne Muhle, die bei der Stiftung | |
Berliner Mauer arbeitet. „Seitdem gab es für die Alliierten mit dem | |
Checkpoint Charlie nur noch einen Grenzübergang. Diese Einschränkung des | |
4-Mächte-Status haben die Amerikaner hingenommen.“ | |
Eine weitere Einschränkung aber wollten sie nicht mehr akzeptieren. Am 22. | |
Oktober 1961 wollte Edwin Allan Lightner, stellvertretender Chef der | |
US-Mission in Berlin, mit seiner Frau im Ostteil der Stadt ein Theaterstück | |
im Friedrichstadtpalast besuchen. Ein Stück Normalität im abnormalen Alltag | |
der geteilten Stadt. Angehörige der alliierten Streitkräfte hatten laut | |
4-Mächte-Status das Recht, sich frei in der Stadt zu bewegen – auch in | |
Zivil. | |
Lightner aber wollten die DDR-Grenzer erst passieren lassen, nachdem er | |
sich ausgewiesen hatte. Das lehnte der US-Gesandte ab und verwies auf das | |
Kennzeichen an seinem VW-Käfer, es trug die US-Nummer B-2000. Doch die | |
Grenzer bestanden auf einer Kontrolle. Lightner wusste um die Provokation | |
und verweigerte sie. | |
## Moskau in der Zwickmühle | |
Das ist die Vorgeschichte einer Eskalation, von der Susanne Muhle sagt, | |
dass sie weder von US-Präsident John F. Kennedy noch vom sowjetischen | |
Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow gewollt war. Doch die | |
Staatsoberhäupter der beiden Machtblöcke waren nicht die einzigen | |
Handelnden. Beteiligt waren auch der Kommandeur der US-Streitkräfte Lucius | |
D. Clay sowie der starke Mann der DDR, Walter Ulbricht. „Es waren vor allem | |
die lokalen Akteure, die diesen Konflikt hervorriefen – zunächst Ulbricht | |
und dann auch Clay“, so Muhle. | |
Tatsächlich hatten die DDR-Grenzer nicht nur kein Recht, Lightner am | |
Grenzübertritt zu behindern. Sie waren aus Sicht der Amerikaner auch gar | |
nicht für die Überwachung der Grenze zuständig. Das war Sache der | |
Alliierten. Die gescheiterte Kontrolle war damit auch der Versuch der DDR, | |
die eigene Souveränität auf Kosten der Sowjetunion zu stärken, eine | |
Politik, die Chruschtschow nicht gefallen konnte. | |
Doch Chruschtschow hielt still. Moskau war in einer Zwickmühle. Ein | |
Machtwort zu sprechen hätte bedeutet, die Genossen in Ostberlin | |
zurückzupfeifen und einen Riss im Machtapparat des Ostblicks zu offenbaren. | |
Ließ Chruschtschow Ulbricht dagegen gewähren, hätte er die sowjetische | |
Souveränität untergraben. Darüber hinaus ging es Chruschtschow darum, nicht | |
die Gespräche mit den USA zu gefährden, die seit September wieder zur | |
Berlin-Frage liefen. | |
## Panzer am Mehringplatz | |
In diese diplomatische Pattsituation hinein fiel der zweite Versuch | |
Lightners, die Grenze an diesem Abend des 22. Oktober 1961 zu überqueren. | |
Nun wurde sein VW-Käfer von amerikanischen Streitkräften eskortiert. | |
Mehrfach brachten sie ihn vom amerikanischen Sektor in den sowjetischen und | |
wieder zurück. Auch das eine Provokation, wie auch Lightner wusste. Später | |
sagte er: „Hätten sie auf einen von uns geschossen, wir hätten sie alle | |
töten müssen.“ | |
Verantwortlich für die amerikanische Provokation war General Clay, der Held | |
der Luftbrücke, den Kennedy nach dem Bau der Mauer aus dem Ruhestand geholt | |
hatte. Clay war ein Hardliner. Seine Überzeugung lautete: „Die Russen | |
verstehen nur eine Sprache, und das ist Gewalt.“ | |
Doch es waren nicht die Russen, die den Amerikanern am Checkpoint Charlie | |
gegenüberstanden, sondern die DDR-Grenzer. Die Sowjets kamen erst fünf Tage | |
danach, doch da war die Lage schon eskaliert. Am 25. Oktober hatte Clay | |
Panzer auffahren und zum Checkpoint Charlie rollen lassen. Weitere Panzer | |
waren am Mehringplatz stationiert. Über dem [2][Grenzübergang in der | |
Friedrichstraße] kreisten britische Militärhubschrauber. In Moskau | |
kursierte das Gerücht, die Amerikaner wollten die Mauer niederreißen. | |
## Kein Krieg in Berlin | |
Tags danach schien sich die Situation kurzfristig zu entspannen. Der | |
amerikanische Stadtkommandant hatte seinen sowjetischen Kollegen in | |
Ostberlin besucht, worauf die US-Panzer abgezogen wurden. Als DDR-Grenzer | |
darauf erneut einen US-Offizier in Zivil stoppten, rollten sie am nächsten | |
Tag wieder vor. Das war der Zeitpunkt, in dem auch die Sowjets handelten. | |
Sie ließen ebenfalls Panzer auffahren. So standen sich am 27. Oktober, dem | |
Tag der sogenannten Panzerkonfrontation, zehn amerikanische und zehn | |
sowjetische Panzer gegenüber – und niemand wusste, was passieren würde. | |
„Die Bilder der Panzerkonfrontation sind weltberühmt“, sagt Susanne Muhle, | |
die zum Jahrestag des Ereignisses am Mittwoch eine Diskussion mit einem | |
Impulsvortrag beginnen wird. „Weit weniger bekannt ist aber das, wofür die | |
Konfrontation auch steht“, sagt sie. „Denn am Ende haben sich beide | |
Supermächte friedlich verständigt.“Das war aber erst möglich geworden, | |
nachdem die Staatsoberhäupter den lokalen Akteuren ihre Grenzen aufzeigten. | |
Über Unterhändler versicherten sich Kennedy und Chruschtschow gegenseitig, | |
keinen Krieg um Berlin zu wollen. Sie vereinbarten, dass die Panzer beider | |
Seiten Meter um Meter zurückweichen sollten. Nach 16 Stunden war der Spuk | |
vorbei. Als kurze Zeit später die Kubakrise ausbrach, bewährte sich die | |
wegen Berlin zwischen Moskau und Washington erprobte Deeskalation. | |
Dass die Amerikaner diejenigen waren, deren Panzer zuerst auffuhren, ist | |
für Susanne Muhle bei vielen der vier Millionen Besucher am Checkpoint | |
Charlie nicht bekannt. Das Museum des Kalten Krieges, das dort errichtet | |
werden soll, könnte dies ändern. Wichtig sei aber auch gewesen, dass der im | |
letzten Jahr verabschiedete Bebauungsplan zwei Freiflächen am ehemaligen | |
Grenzübergang sichert. „Das ist ein wichtiger Erinnerungsort.“ | |
27 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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