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# taz.de -- #MeToo-Vorwurf beim SWR: Sandra D. will ihren Job zurück
> Der SWR streitet sich mit den Mitarbeitern Sandra D. und Joachim L. vor
> dem Arbeitsgericht. D. soll sexuell belästigt worden sein, L. soll sie
> unterstützt haben.
Bild: Dreharbeiten des „Tigerenten Club“, den Joachim L. mitentwickelte
Der Südwestrundfunk zeigt sich öffentlich gern als besonders
fortschrittlicher Sender: Junge Frauen wurden engagiert und befördert,
ältere werden schneller in Rente geschickt, um Platz zu machen für eine
neue Digitalelite. Der SWR-Intendant Kai Gniffke will zeigen, dass er mit
großen Schritten in die Medienzukunft schreitet. Doch es gibt da eine
Geschichte aus der Vergangenheit, die so gar nicht in das Bild des
progressiven Senders passt. Seit letztem Sommer streitet sich der Sender
mit seinen Mitarbeitern Sandra D. und Joachim L. vor dem Arbeitsgericht.
Joachim L. ist ein preisgekrönter Regisseur. Sandra D. hat als
Redaktionsleiterin vor allem dokumentarische Filme begleitet. Beide werfen
dem Sender vor, sie systematisch zu benachteiligen, seit Sandra D. in den
Jahren 2008/2009 eine mutmaßliche sexuelle Belästigung durch einen
Vorgesetzten gemeldet hat. L. hatte sie dabei unterstützt. Im vergangenen
Jahr [1][hatten taz-Recherchen gezeigt, dass bezweifelt werden kann, ob der
Sender tatsächlich mit allen Mitteln versucht hat, den Vorwurf
aufzuklären]. Auch eine [2][Recherche des Spiegel]s legt diesen Verdacht
nahe.
Joachim L. will gerichtlich erstreiten, dass er wieder Filme machen darf.
Sandra D. will ihren alten Job zurück. Sie kämpfen mit dem SWR um
arbeitsrechtliche Fragen. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung wurde
strafrechtlich nie angezeigt, gerichtlich lässt er sich heute nicht mehr
klären, der Beschuldigte arbeitet zudem nicht mehr für den Sender.
Am kommenden Montag geht der Prozess um Joachim L. nach langer Pause
weiter. Sandra D.s Prozess geht im Dezember weiter. Wegen des laufenden
Verfahrens äußern sich beide nicht gegenüber der Presse. Aber spricht man
mit Kolleg*innen und mit Menschen aus dem Umfeld des Senders, ergibt
sich ein Bild.
Auch Verdi stellt sich mittlerweile hinter die beiden Mitarbeiter*innen.
Dass sich eine Gewerkschaft öffentlich zu einem arbeitsgerichtlichen
Verfahren äußert, ist selten. Aber für Siegfried Heim,
Landesbezirksfachbereichsleiter von Verdi Baden-Württemberg, ist die
Auseinandersetzung auch eine besondere: „Der SWR lässt Joachim L. nicht
arbeiten, obwohl er unter Beweis gestellt hat, dass er sehr gute Arbeit
macht“, sagte er nach der Pressekonferenz der taz am Telefon. Der Sender
eskaliere an der falschen Stelle. „Mein Eindruck ist, dass sich der SWR in
seiner Wagenburgmentalität verschanzt, die eine gütliche Einigung unmöglich
gemacht hat.“
Joachim L. arbeitet seit rund 35 Jahren beim SWR. Er hat die Kindersendung
„Tigerenten Club“ mitentwickelt, ist Professor an einer Filmhochschule,
ausgezeichnet mit wichtigen Preisen der Film- und Fernsehbranche. Der SWR
schmückt sich mit seinem Werk.
Seine Degradierung, so hat er es im August 2020 im Gericht dargestellt,
begann, als er seine Kollegin Sandra D. unterstützt hat. D. soll von einem
Vorgesetzten in dessen Wohnung belästigt worden sein, nach
Spiegel-Recherchen soll sie gegen ihren Willen auf den Mund geküsst und an
die Scheide gefasst worden sein. Joachim L. soll mitgehört haben, wie D.s
mutmaßlicher Belästiger sie später am Telefon bedroht haben soll. Das habe
er auch gegenüber Senderverantwortlichen bezeugen wollen, sei aber nicht
gehört worden, heißt es aus SWR-Kreisen.
## Job als Abteilungsleiter verloren
2012 sah es für L. dennoch erst einmal gut aus: Er erhielt einen Vertrag,
der ihm garantiert habe, einen Fernsehfilm pro Jahr machen zu können. L.s
Anwältin hat Auszüge aus dem Vertrag am ersten Prozesstag im August 2020
zitiert. Es ist ein privilegierter Vertrag, Kollegen beneiden ihn darum.
Eingehalten wurde er offenbar nicht: In den vergangrnen neun Jahren hat L.
nicht einen Film pro Jahr gemacht, sondern überhaupt nur einen einzigen.
Weitere fest vereinbarte Filme, die schon Geld gekostet hätten, seien
gestoppt oder verzögert worden, sagte L. vor Gericht. Damit habe man nicht
nur ihn, sondern auch den Gebührenzahler beschädigt. Das bestätigte im
vergangenen Jahr auch Karl Geibel der taz. Er sitzt seit mehr als 20 Jahren
im Rundfunkrat des SWR, war früher Journalist. Im Podcast der Wochenzeitung
Kontext hat er den Vorwurf gerade noch einmal erhoben.
Die beiden geplanten Filme hätten sich mit NS-Geschichte beschäftigt, einer
solle Joseph Goebbels behandeln, ein anderer das [3][KZ Theresienstadt].
„Nationalsozialismus und Drittes-Reich-Probleme“, habe es von Seiten des
Senders geheißen, „seien nicht mehr aktuell. Was natürlich eine
haarsträubende Aussage war!“, sagte Geibel im Podcast. Kurz nachdem der
Podcast erschien, ging der ehemalige Justiziar des SWR presserechtlich
dagegen vor.
Er erwirkte, dass sowohl der Rundfunkrat Geibel als auch der Moderator des
Podcasts bestimmte Passagen über die Arbeit des Justiziars nicht mehr
äußern dürfen. Der Podcast ist seitdem offline. Stefan Heim von Verdi sagte
der taz zu den gestoppten Filmen, dass hier ausgerechnet zwei Filme zum
Nationalsozialismus abgesagt oder verzögert worden seien, finde er
besonders verstörend. Sein Eindruck sei, dass der arbeitsrechtliche Streit
mit Herrn L. auch eine Rolle für die Absage gespielt haben dürfte. Der SWR
bestreitet auf taz-Nachfrage, dass die Filme gestoppt seien. Sie seien
lediglich verzögert.
2019 hat Joachim L. seinen Job als Abteilungsleiter verloren, seine
Abteilung wurde aufgelöst, sein Vertrag über einen garantierten Film pro
Jahr aufgekündigt. 2020 verlor Sandra D. ihren Job als Redaktionsleiterin,
wurde einfache Redakteurin. Der Personalrat habe diesen Entscheidungen
nicht zugestimmt, heißt es aus Senderkreisen. Im Prozess soll nun geklärt
werden, ob L. und D. ihre Positionen zu Unrecht verloren haben.
Der SWR schreibt auf taz-Anfrage: Die Abteilung von Joachim L. sei
aufgelöst worden, weil im Zuge des multimedialen Umbaus des Sender
Doppelstrukturen abgebaut wurden. Dass L. nicht jedes Jahr einen Film
gemacht hat, wie es vereinbart war, liege daran, dass er „umfangreiche
Projekte“ für den SWR umgesetzt habe. Weil diese Einzelprojekte einen
höheren Etat benötigten, seien Etats zusammengezogen worden.
Verdi erwartet vom SWR, dass der Sender die Vorwürfe der sexuellen
Belästigung durch eine unbeteiligte Person für die Öffentlichkeit
transparent aufarbeiten lässt. So hatte es der Westdeutsche Rundfunk
gemacht, als 2018 dort Vorwürfe der sexuellen Belästigung aufgetaucht
waren.
21 Oct 2021
## LINKS
[1] /MeToo-Vorwurf-beim-SWR/!5715698
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/metoo-vorwuerfe-beim-swr-igno…
[3] /Musik-von-Nazi-Opfern/!5294883
## AUTOREN
Anne Fromm
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
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