# taz.de -- Massaker an Algeriern vor 60 Jahren: „Unverzeihliche Taten“ | |
> Frankreichs Präsident äußert sich zum Gedenken an den 17. Oktober 1961 | |
> eindeutig. Doch ob die Opfer das als Entschuldigung akzeptieren, ist | |
> zweifelhaft. | |
Bild: Kranzniederlegung auf der Saint-Michel-Brücke in Paris | |
PARIS taz | Der französische Staatschef Emmanuel Macron hat im Zusammenhang | |
[1][mit dem Massaker an Algeriern in Paris am 17. Oktober 1961] von | |
„unentschuldbaren Verbrechen der Republik“ gesprochen. Macron hatte am | |
Samstag auf einer Seine-Brücke beim Pariser Vorort Nanterre zum 60. | |
Jahrestag einen Kranz niedergelegt. Laut Élysée ist er der erste Präsident, | |
der einem solchen Gedenken beiwohnte. In Paris fand am Sonntagnachmittag | |
auch eine Kundgebung zum Gedenken statt, an der allerdings nur einige | |
hundert Menschen teilnahmen. | |
Vor 60 Jahren, wenige Monate vor dem Ende des Unabhängigkeitskriegs, hatte | |
die algerische Befreiungsbewegung FLN zur einer behördlich untersagten | |
Kundgebung gegen ein diskriminierendes Ausgehverbot in Paris aufgerufen. | |
Die Polizei hatte den Befehl, sie um jeden Preis daran zu hindern. | |
Das Ergebnis war ein Massaker mit einer bis heute unbekannten Zahl von | |
Toten. Offiziell wurden später drei Todesopfer erwähnt, die Schuld für die | |
Gewalt wurde den Organisatoren des Protests gegeben. Die Wahrheit wurde | |
vertuscht. Erst die Arbeiten des Historikers Jean-Luc Einaudi | |
verdeutlichten, dass 1961 die französischen Behörden das bis dahin | |
schlimmste Massaker der Nachkriegszeit in Europa organisiert hatten. | |
Dutzende von Algeriern wurden zu Tode geprügelt, erschossen oder in die | |
Seine geworfen, wo ihre Leichen oft erst Wochen später auftauchten. Einaudi | |
schätzt die Zahl der Toten auf mehr als 200. | |
„Die Repression war brutal, gewaltsam, blutig“, heißt es im heutigen | |
Kommuniqué der französischen Präsidentschaft. „12.000 Algerier wurden | |
festgenommen und in das Sportstadium Coubertin und andere Anlagen | |
transferiert. Es gab zahlreiche Verletzte, mehrere Dutzend wurden getötet | |
oder einfach in die Seine geworfen. Viele Familien haben den Leichnam ihrer | |
in jener Nacht verschwundenen Angehörigen niemals gesehen.“ | |
## Relativierung durch vermeintliche Einordnung | |
Immerhin nennt Macron den Namen des damals zuständigen Polizeipräfekten | |
Maurice Papon, der die Einsatzbefehle und seinen Leuten quasi einen | |
Blankoscheck für eine ungezügelte Gewalt gegen die „Français Musulmans | |
d’Algérie“ (so der damalige Sprachgebrauch) gab. „Frankreich erkennt die | |
eindeutig belegte Verantwortung an“, sagte im Weiteren Macron, der in sein | |
Gedenken alle Opfer des Krieges und der „von allen Seiten begangenen | |
Verbrechen“ einschließt. Es soll also nicht von einer einseitigen Schuld | |
des französischen Staates die Rede sein. | |
Auch ein Teil der französischen Medien versucht die Schuld an diesem | |
Staatsverbrechen durch den damaligen Kontext zu relativieren: Die FLN habe | |
ja ihrerseits bei Anschlägen Polizisten getötet und Morde an Mitgliedern | |
der rivalisierenden Bewegung MNA verübt. Opfer und ihre Angehörige erwarten | |
seit Jahrzehnten vergeblich eine Entschuldigung der Staatsführung in Paris. | |
Doch ob die Worte Macrons dafür genügen? Für Mehdi Lallaoui, den | |
Vorsitzenden der Vereinigung „Au nom de la Mémoire“, bleibt die | |
Entschuldigung des Präsidenten im Namen der Republik ungenügend: „Er | |
benennt weder den (damaligen) Innenminister noch den Premierminister.“ | |
Allein schon die Frage, ob und wie sich Frankreich heute zur Schuld an der | |
„blutigen Repression“ (so François Hollande 2012) bekennen soll, irritiert | |
in Frankreich die politische Rechte, die sich über antikoloniale | |
Reuebekenntnisse empört. Auch das ist Teil der [2][gegenwärtigen | |
Spannungen] zwischen Paris und Algier. Der algerische Staatschef | |
Abdelmadschid Tebboune nimmt in diesem Kontext Macrons Worte zur Kenntnis, | |
wünscht aber, dieses schwarze Kapitel der Geschichte müsse „frei von der | |
Arroganz des vorherrschenden kolonialen Denkens“ aufgearbeitet werden. Er | |
ordnete in Algerien eine jährliche Schweigeminute für die Opfer des 17. | |
Oktober an. | |
18 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Massaker-von-Paris-vor-60-Jahren/!5788269 | |
[2] /Spannungen-zwischen-Algier-und-Paris/!5801294 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Algerien | |
Massaker | |
GNS | |
Kolonialismus | |
Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Algerien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Spannungen zwischen Algier und Paris: Algerienkrieg mit anderen Mitteln | |
Algerien ruft seinen Botschafter aus Frankreich zurück. Grund sind | |
fragwürdige Äußerungen von Präsident Macron – und offene Wunden des | |
Kolonialismus. | |
Algerien, Marokko und Tunesien: Frankreich schränkt Visa stark ein | |
Frankreich schließt die Tür für viele Einreisende aus dem Maghreb. Es ist | |
ein Druckmittel, damit die Länder abgewiesene Migranten zurücknehmen. | |
Algerien kappt Beziehungen zu Marokko: Es knirscht im Maghreb | |
Algerien hat die diplomatischen Beziehungen zu Marokko gekappt. Nicht nur | |
der Westsaharakonflikt treibt die beiden Länder auseinander. |