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# taz.de -- Hamburg im Würgegriff des Populisten: Ein Richter ohne Gnade
> Rückblick auf Hamburgs schillerndsten Populisten: Ronald Schill versetzte
> die Hansestadt in Angst und Schrecken. Am Ende landete er im Trash-TV.
Bild: War kein Spaß für Ole von Beust: Ronald Barnabas Schill
Hamburg taz | Er ist jung, er ist ehrgeizig – und er hat durch seinen
Posten eine Oberschurkenmacht inne, die diese angeblich düstere Crime City
an der mit Nebel behangenen Elbe wieder in Glanz von Recht und Ordnung
erstrahlen lassen soll.
Denn dieser Stadtstaat, offenbar Moloch voll kriminellen Abschaums, sehnt
sich förmlich nach einem, der aufräumt. Einem, der Härte zeigt gegen alles,
was von der Norm abweicht. Sein Spitzname: Richter Gnadenlos. Sein Posten:
Hamburger Innensenator und zweiter Bürgermeister. Sein Name: „Ronald
Barnabas Schill“.
Es ist Mitte der 90er-Jahre und in Hamburg weht ein eisiger Wind. Die SPD
ist schon seit Ewigkeiten an der Macht, doch brodelt es – erst kurz zuvor
fällt wegen der Vorwürfe über unrechtmäßige Polizeigewalt, der Hamburger
Polizeiskandal, sogar der Innensenator. Wer glaubt, nun würde endlich die
Stimmung für eine solide Härte des Stadtstaates kippen, irrt.
Denn plötzlich taucht da dieser junge, dynamische Amtsrichter in den Medien
auf: Prozessbeobachter:innen berichteten immer häufiger von
Urteilen, die harscher kaum hätten ausfallen können. Eine Frau muss
zweieinhalb Jahre ins Kittchen, einfach nur, weil sie ein paar Autos
zerkratzt hatte. Eine „niedrige Gesinnung“ attestiert ihr der
erbarmungslose Richter, der ab nun seinen Spitznamen in den Gazetten der
Elbmetropole und darüber hinaus innehat.
## Schill fühlte sich am Puls der Zeit
Und er hegt und pflegt ihn: In anderen Fällen, etwa als zwei Einbrecher
sich vor Gericht geständig geben, gehen des Richters Gnadenlos verordneten
Strafmaße deutlich über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus. So
geht das eine Weile weiter; auch viele linke Aktivist:innen bekommen
den Zorn des Barnabas zu spüren.
Er jedoch fühlt sich mit seiner Arbeit am Puls der Zeit. Jeden Widerstand
sieht er als Bestätigung – die Verweichlichung der staatlichen Ordnung
müsse mit Härte bekämpft werden. „Gerade in der heutigen gewaltbereiten
Zeit kann man sich den Luxus nicht leisten, milde zu strafen oder gar
nicht“, sagt der Richter – und kitzelt damit nur noch mehr eine Stimmung
heraus, die ihn in noch höhere Sphären katapultieren wird.
Denn schnell erkennt er, dass er als Richter noch lange kein Oberschurke
ist. Ein schnöder Amtsrichter kann nur über einzelne Beschuldigte urteilen.
In der Politik dagegen, denkt er sich gewitzt, kann er die Macht über viele
Menschen übernehmen. Und so läutet er – getragen von Fanatiker:innen
mit Sehnsüchten nach einer harten Hand – seinen Aufstieg ein.
Das neue Jahrtausend beginnt und es dauert keine vier Monate, bis Schill
die Bombe platzen lässt: Mit einer neu gegründeten Partei will er, markig
sprechend, die „verkrustete SPD-Herrschaft brechen“ und endlich die wahre
Herrschaft des Rechts durchsetzen.
So nimmt er an Fahrt auf, der Aufstieg des Bösen. Dabei wäre der weitere
Weg an die Macht noch lange abwendbar gewesen. Indes: Das Gespenst des
Richters Gnadenlos geht um in der Partei, die doch schon immer in sich die
Vertreterin von Law and Order reklamiert. Wie wollen wir mit diesem Typen
umgehen, der uns die Stimmen wegnimmt, fragt sich eine hin und hergerissene
CDU.
## Pakt mit dem Teufel
Sie zaudert, überlegt, taktiert, bis sie – genauer gesagt: ihr Parteichef
Ole von Beust – sich 2001 für den Pakt mit dem Teufel entscheidet. Denn da
hat fast jede:r fünfte Wähler:in der Partei Rechtsstaatlicher Offensive
– die doch mit gutem Grund einfach nur als Schill-Partei bezeichnet wird –
bei der Bürgerschaftswahl ein Kreuz geschenkt. Und nicht nur Schill drängt
hin zur Macht, auch von Beust will sich die Chance nicht entgehen lassen,
um alles in der Welt den Bürgermeisterposten zu bekommen.
Zwei Jahre dauert der Spuk an. Der Schrecken endet schneller als viele
erwarten: Der diesen Geist rief, will dann doch nicht über ihn fallen.
Schill droht kurz zuvor, eine angebliche homosexuelle Partnerschaft von
Beusts mit Justizsenator Kusch publik zu machen. Nun, wo es persönlich
wird, platzt von Beust der Kragen und er zieht die Notbremse.
Hardliner, die Schill zuvor in einflussreiche Posten gepackt hat, können in
den kommenden Jahren Karriere machen. Berühmt-berüchtigste Personalie ist
einer, der 15 Jahre später seinen ganz großen Auftritt hat und sich für
alle Zeiten zur Hassfigur vieler Menschen macht: Hartmut Dudde, der
Gesamteinsatzführer der Polizei beim G20-Gipfel in Hamburg 2017.
Da treibt sich Schill schon längst in seiner neuen Wahlheimat herum: In Rio
de Janeiro führt er ein neues Leben, Richterpension und Ruhegehalt als
Exsenator ermöglichen das. Bei der TV-Sendung „Adam sucht Eva“ läuft er
nackt am Strand entlang – als Mahnung für den Abgrund, vor dem dieser
Stadtstaat einmal stand.
5 Oct 2021
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Ronald Schill
Ole von Beust
SPD Hamburg
CDU Hamburg
Hamburg
Rechtspopulismus
Polizei Hamburg
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Medien
Stadtplanung
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