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# taz.de -- Die These: Die Impfpflicht muss endlich her
> Unser Autor war lange gegen eine Impfpflicht. Doch angesichts der immer
> noch viel zu schlechten Impfquote geht ihm so langsam die Geduld aus.
Bild: Nur ein Piks in den Arm: sollte die Corona-Impfung verpflichtend werden?
Eigentlich könnten wir es schon so schön haben. Die Tage werden zwar
kürzer, es wird wieder kühl. Wir müssten uns trotzdem keine Sorgen machen.
Denn die Impfquote könnte bereits so hoch sein, dass wir uns entspannt in
Cafés aufhalten und wieder Kinos und Theateraufführungen besuchen würden.
Selbst Konzerte und Partys mit Tausenden fröhlich Feiernden würden von
Infektiolog:innen und Intensivmediziner:innen nicht mehr als
bedenklich angesehen. [1][Das ist in Dänemark bereits der Fall.]
Masken würden wir in Supermärkten und Räumen mit viel Publikumsverkehr zwar
weiter tragen. Aber gar nicht so sehr aus Angst vor Corona, sondern wegen
der anstehenden alljährlichen Grippewelle und diversen anderen
Erkältungskrankheiten. Denn davor schützen Masken auch. Wir könnten auch
wieder die Großtante im Pflegeheim besuchen, ohne Angst haben zu müssen,
ein gefährliches Virus einzuschleppen.
All das können wir aber nicht. Denn neun Monate nach Beginn der
Impfkampagne und etwa drei Monate, seitdem hierzulande ausreichend
Impfstoff für alle Impfberechtigte zur Verfügung steht, haben wir die
ziemlich ernüchternde Situation, dass 36 Prozent der Bevölkerung nicht
vollständig geimpft sind. Viele davon haben nicht einmal vor, sich in
absehbarer Zeit impfen zu lassen. Wir sind damit weit entfernt von der
dringend empfohlenen Impfquote von mindestens 85 Prozent. Diese wäre
notwendig, damit es in der kalten Jahreszeit nicht erneut zu einer
Überlastung der Krankenhäuser kommt.
Das ist traurig und frustrierend. Frustrierend, weil ein beträchtlicher
Teil der Bevölkerung auch nach mehr als anderthalb Jahren der Pandemie
offenbar nicht begriffen hat, dass eine Überlastung der Krankenhäuser
nichts anderes bedeutet, als dass auch jede lebensnotwendige Krebsoperation
verschoben werden muss. Allein in der ersten Welle im Frühjahr 2020 betraf
das bundesweit mehr als 50.000 Operationen.
Und traurig ist es, weil es vielen offenbar egal ist, wie schlimm es dem
medizinischen Personal ergeht, wenn sie nicht nur über Wochen völlig
überarbeitet sind, sondern auch alleine oder zu zweit Leichen in blaue
Säcke stecken müssen. Bei einer Überlastung der Krankenhäuser steht nämlich
nicht einmal ausreichend Personal zur Verfügung, um mit, wie eigentlich
üblich, drei oder vier Kräften die verstorbenen Patient:innen würdevoll
wegzutragen.
## Selbstbezogen und egoistisch
Dass gut ein Drittel der Bevölkerung sich nicht in die Lage der
Pflegekräfte hineinversetzen mag, zeigt, wie selbstbezogen und egoistisch
ein beträchtlicher Teil davon ist. Angesichts dieses Szenarios, vor dem wir
in den nächsten Wochen wegen der vielen Impfverweigerer:innen
womöglich wieder stehen, bin ich inzwischen für eine Impfpflicht.
Noch zu Beginn der Impfkampagne, also zu Beginn des Jahres, hätte ich mich
gegen eine solche Anordnung ausgesprochen. Denn abgesehen davon, dass gar
nicht genug Impfstoff für alle zur Verfügung stand, finde ich Aufklärung
natürlich immer besser als Zwang. Zudem waren die zugelassenen Impfstoffe
zwar intensiv geprüft, gerade die mRNA-Technologie von Biontech/Pfizer und
Moderna war aber neu. Zweifel waren also durchaus angebracht.
Doch inzwischen sind allein vom Biontech-Impfstoff weltweit mehr als 1,5
Milliarden Dosen verabreicht. Abgesehen von leichtem Fieber, Schüttelfrost
und Schmerzen an der Einstichstelle ist das Risiko von Nebenwirkungen allen
Bedenken zum Trotz extrem gering. Trotz neu aufgetauchter, noch
ansteckenderer Virusvarianten schützen auch die anderen drei hierzulande
zugelassenen Impfstoffe weiter hochwirksam gegen schwere Verläufe. Und
genau darauf kommt es beim Impfstoff an.
Als dann im Laufe der Sommermonate so viele Vakzine vorhanden waren, dass
jeder Volljährige ein Angebot wahrnehmen konnte, war ich auch weiterhin
nicht für eine Impfpflicht. Denn so viel Kulanz sollte jedem zugestanden
werden, wenn er oder sie sich vor dem Sommerurlaub nicht mehr an die langen
Schlangen in den Impfzentren stellen wollte. Die Urlaubszeit ist aber
längst vorbei, Warteschlangen gibt es keine mehr. Und geimpft wird auch
nicht mehr nur in Impfzentren oder beim Hausarzt, sondern ohne Anmeldung
auch bei Ikea, vor Supermärkten und auf den Marktplätzen. Einfacher geht es
kaum.
Geradezu obszön ist es aber, dass der Staat Impfstoffe in großer Menge
hortet – in der Hoffnung, die bislang Ungeimpften doch noch überzeugen zu
können. Immer mehr davon wird weggeworfen, während ein Großteil der
Menschheit in den armen Ländern sehnsüchtig auf einen Impfschutz wartet.
Weltweit sterben weiterhin im Schnitt täglich zwischen 8.000 und 10.000
Menschen an Covid-19.
Was offenbar vielen nicht klar zu sein scheint: Diese Pandemie war für den
Staat, aber auch die vielen Kulturbetriebe und große Teile der Wirtschaft
extrem teuer. Jede Woche der Schließungen von Geschäften, Gaststätten und
Betrieben, die in den ersten Wellen notwendig waren, um die Infektion
aufzuhalten, hat allein den Staat mehr als 7 Milliarden Euro gekostet.
## Auch die Politik trägt Schuld
Um einen Absturz der Wirtschaft zu verhindern, war es richtig, dass die
Regierung so massiv eingesprungen ist. Das aber hat bei vielen offenbar den
Eindruck vermittelt: Der Staat fängt immer alles auf. Es ist naiv zu
glauben, dass diese Staatshilfen mit dem eigenen Portemonnaie schon nichts
zu tun haben werden. Die wirtschaftlichen und finanziellen Folgekosten
dieser Krise dürften wir nach den Bundestagswahlen mit einer wie auch immer
neu zusammengesetzten Regierung bitter zu spüren bekommen.
Die Politik trägt ihrerseits Schuld an der weit verbreiteten Impfskepsis.
Politiker:innen aller Couleur haben gleich zu Beginn der Impfkampagne
geradezu mantrahaft beschworen, eine Impfpflicht werde es nicht geben und
ihre Haltung mit Freiheitsberaubung und schwerem Eingriff in die
Grundrechte begründet.
Nur: In der Verfassung findet sich eine solche Stelle nicht. Vielmehr sieht
das Infektionsschutzgesetz sehr wohl auch Maßnahmen wie eine allgemeine
Impfpflicht vor, wenn sich Leben und Gesundheit großer Teile der
Bevölkerung nicht anders schützen lassen. Eine Impfpflicht gegen Masern
gibt es längst. Und das ist angesichts der hohen Ansteckungsgefahr auch
richtig so.
Zur Durchsetzung einer Impfpflicht müssen Polizist:innen ja nicht
gleich Unwillige durch die Straßen jagen. [2][Eine Impfpflicht für all jene
Berufsgruppen, die viel mit Menschen in Kontakt stehen, wie sie jetzt in
Frankreich eingeführt wurde], würde womöglich reichen, um die entscheidende
Impfquote von 80 Prozent zu erreichen. Zugleich drängt die Zeit. Wird bis
Ende Oktober eine Quote in dieser Größenordnung nicht erreicht, könnte es
in den Krankenhäusern wieder genauso schlimm zugehen wie im vergangenen
Winter und Frühjahr.
Mir reicht es. Für „Querdenker“, die bloß nach Aufmerksamkeit heischen, m…
diesem Getue aber nicht nur die eigene Gesundheit aufs Spiel setzen,
sondern auch die derjenigen, bei denen der Impfstoff wegen eines schlecht
funktionierenden Immunsystems nicht wirkt, hatte ich noch nie Verständnis.
Für die vielen Zauderer nun aber auch nicht mehr.
25 Sep 2021
## LINKS
[1] /Ende-der-Coronamassnahmen/!5800574
[2] /Corona-Regeln-in-Frankreich/!5798186
## AUTOREN
Felix Lee
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