# taz.de -- Missbrauch in der Kirche: Entsolidarisiert euch! | |
> Vor der zweiten Synodalversammlung muss gefragt werden: Wie weit kann ich | |
> gehen, um die katholische Kirche zu reformieren? | |
Bild: Der Papst | |
Heute beginnt in Frankfurt die zweite Versammlung des Synodalen Weges, des | |
Reformprozesses der katholischen Kirche – und die Stimmung könnte kaum | |
angespannter sein. Große Teile der Synodalversammlung kritisieren die | |
päpstlichen Entscheidungen, den H[1][amburger Erzbischof Stefan Heße, den | |
Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, sowie die Weihbischöfe Dominikus | |
Schwaderlapp und Ansgar Puff im Amt zu belassen.] Alle außer Woelki hatten | |
dem Papst ihren Rücktritt angeboten. | |
Es herrscht Erschütterung darüber, mit welcher Begründung der Papst die | |
Rücktrittsgesuche abgelehnt hat. Die Tagesordnung mit 16 zu beratenden | |
Texten der vier Arbeitsgruppen ist kaum leistbar – und all dies in dem | |
Dilemma, bitter nötige Reformen auf den Weg zu bringen, aber eigentlich | |
nicht mit Vertuschern zusammenarbeiten zu wollen. | |
Nach mehr als einem Jahr findet endlich die zweite Synodalversammlung | |
statt, in der nun konkret zu diesen Texten Stellung bezogen werden kann. | |
Doch bevor dies überhaupt möglich ist, ist es von enormer Relevanz, sich | |
insgesamt zu positionieren. Stehe ich auf der Seite der Menschen – oder auf | |
der Seite der Institution? | |
Wir jungen Teilnehmer*innen an der Synode haben diese Frage auf | |
Transparente geschrieben, denn sie ist für unser Handeln zentral – und sie | |
sollte es auch für die Bischöfe sein. Die Studien der vergangenen Jahre, | |
zum Beispiel [2][die MHG-Studie], haben deutlich aufgezeigt, welche | |
Faktoren in unserer Kirche und ihren Strukturen geistigen und sexuellen | |
Missbrauch fördern. Diesen Machtmissbrauch zu stoppen muss das höchste Ziel | |
des Synodalen Wegs sein. | |
## Fatales Zeichen des Papstes | |
Doch die Entscheidung des Papstes, Woelki im Amt zu lassen, ist hierbei ein | |
fatales Zeichen, vor allem an jene, die noch daran geglaubt haben, dass | |
Taten auch echte Konsequenzen folgen. Ein Erneuerungsprozess, die Übernahme | |
von Verantwortung und ein Aufbrechen der Machtstrukturen werden hierdurch | |
verhindert oder es wird gar erneute Vertuschung ermöglicht. | |
Aber wo ist der Aufschrei der Empörung darüber, dass die Ergebnisse von | |
Gutachten in Bedenkzeit, der keine Konsequenzen folgen, und selbst | |
gesetztem Neuanfang münden und die Beteuerung von Einsicht zu genügen | |
scheint, um als Bischof weiterhin in einer Machtposition zu bleiben? Wo | |
bleibt die Entsolidarisierung unter den Mitbrüdern? Wo sind die Bischöfe, | |
die mutig aufstehen und sich für ihre Werte und dann eben auch gegen die | |
Institution wenden? Bischöfe, die deutlich zeigen, dass es nicht die Worte | |
eines Papstes braucht, um Verantwortung zu übernehmen. Menschen in dieser | |
Kirche, die laut sagen, dass es in ihr keinen Raum für | |
Menschenfeindlichkeit gibt. | |
Wie viel Wut können wir noch ertragen? Eine Bedenkzeit und eine brüderliche | |
Aufforderung zur Einkehr an einen mächtigen Kardinal wie Woelki zu richten | |
ist keine angemessene Reaktion. Immer wieder stilisieren sich Bischöfe – | |
und mit ihnen ihre Kirche – zu Opfern. Doch es muss uns allen klar sein, | |
dass die Kirche als Institution nicht das Bewahrenswerte ist, sondern die | |
Menschen, die in dieser Kirche Heimat finden. | |
Es ist nicht meine Aufgabe, diese Kirche zu retten. Meine Aufgabe ist es, | |
mutig diese Kirche zu erneuern, um sie zu einem sicheren Ort für alle zu | |
machen. Als Bundesvorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung, die seit | |
ihrer Kindheit in der Jugendverbandsarbeit sozialisiert ist, habe ich | |
glücklicherweise früh lernen dürfen, was es heißt, in einer | |
Glaubensgemeinschaft verwurzelt zu sein, die Kritik als Zeichen der Liebe | |
versteht. In meinem Jugendverband konnte ich meinen Glauben und meinen | |
Demokratieanspruch miteinander verknüpfen. | |
## Stärkende Erfahrungen | |
Mein Verband hat mir ein Fundament gegeben, das aus wundervollen | |
Erinnerungen, Misserfolgen, die mich stärker gemacht haben, unvergesslichen | |
Begegnungen und vor allem Vertrauen in mich selbst besteht. Ein tiefes | |
Vertrauen darauf, dass ich einer Berufung folge und auf diesem Weg immer | |
Menschen um mich herum habe, die mich inspirieren weiterzumachen. | |
Ich durfte gemeinsam mit anderen Menschen erfahren, was es bedeutet, aus | |
dem Glauben heraus politisch aktiv zu sein, mich für die Umwelt | |
einzusetzen, politische Beteiligung junger Menschen einzufordern – allesamt | |
Erfahrungen, die mich stärker gemacht haben. Ich hatte immer auch weibliche | |
Vorbilder, die mir gezeigt haben, dass Verantwortung übernehmen zu wollen | |
nichts mit dem Geschlecht zu tun hat und dass Gleichberechtigung keine | |
Maximalforderung ist. Unsere Posten sind paritätisch besetzt, auf Zeit | |
gewählt und wir sind rechenschaftspflichtig. | |
Wir haben den Anspruch, diese Werte auch in unserer Kirche wiederzufinden, | |
in einer Kirche, die an der konkreten Lebensrealität junger Menschen | |
ansetzt. Das wird eine Hürde sein, die der Synodale Weg hoffentlich | |
meistern wird: die Kirche wieder näher an die relevanten Themen zu rücken. | |
Bedeutung zurückzugewinnen, indem die Kirche aus ihren Fehlern lernt, | |
Schuld anerkennt, Machtstrukturen abbaut und den Menschen wieder in den | |
Fokus nimmt. | |
Die Ereignisse der letzten Wochen haben leider deutlich gemacht, dass die | |
Strategie der „Null Toleranz“ bezüglich des Missbrauchs und seiner | |
Vertuschung, von der Papst Franziskus spricht, nicht ernst genommen wird. | |
Vor allem habe ich für mich allerdings auch gelernt, dass wir nicht auf Rom | |
warten dürfen, wenn wir echte Reformen umsetzen möchten, die den Fokus des | |
Synodalen Weges im Blick behalten. Noch bin ich unsicher, ob es sich lohnt, | |
auf die Bischöfe zu warten, dass sie mutiger werden und nicht nur von | |
Erschütterung und Unterbrechung sprechen, sondern sie in konstruktive und | |
authentische Reformen umwandeln. Und zuletzt bleibt die Frage, wie weit wir | |
gehen müssen, um die katholische Kirche zu erneuern, um unserem Glauben und | |
unseren Werten treu zu bleiben. | |
Hinweis: | |
Dieser Artikel wurde korrigiert. In der ersten Version hieß es irrtümlich, | |
auch Kardinal Woelki habe seinen Rücktritt angeboten. | |
29 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Sexualisierte-Gewalt-in-der-Kirche/!5803483 | |
[2] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-… | |
## AUTOREN | |
Daniela Ordowski | |
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