# taz.de -- Sexualisierte Gewalt gegen Kinder: Zu Hause in der Falle | |
> Eine Studie zeigt, wie es Tätern gelingt, sexualisierte Gewalt gegen | |
> Kinder zu vertuschen. Die Opfer suchen oft Hilfe – doch nur selten wird | |
> ihnen geglaubt. | |
Bild: Zu Hause in Sicherheit? Trotz Gewalt erhalten Familien den Schein der Nor… | |
BERLIN epd | Fast jedes zweite Kind, das in seiner Familie | |
[1][sexualisierte Gewalt] erleidet, wird von seinem Vater, Stief- oder | |
Pflegevater missbraucht. Das geht aus einer Studie hervor, die auf der | |
Auswertung von Betroffenenberichten beruht und am Dienstag in Berlin von | |
der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs | |
vorgestellt wurde. | |
Danach machen Väter 48 Prozent der Täter aus; Mütter, Stief- und | |
Pflegemütter 10 Prozent. Außerdem berichten die Betroffenen von Onkeln, | |
Brüdern, Großvätern und anderen überwiegend männlichen, aber auch | |
weiblichen Verwandten als Täter und Täterinnen. Viele Kinder erlebten die | |
Gewalt durch mehr als eine Person innerhalb und außerhalb der Familie. Bei | |
fast jedem zweiten Kind begann die Gewalt vor dem sechsten Lebensjahr, | |
dauerte viele Jahre und wurde nur selten durch Eingriffe von außen beendet. | |
Die Wissenschaftlerinnen der Frankfurter Goethe-Universität sehen eine | |
Erklärung darin, dass die Scheu in Familienangelegenheiten einzugreifen | |
besonders groß ist – nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei | |
Fachkräften des Jugendamts. | |
Viele Betroffene hätten berichtet, dass ihre Familien sogar Kontakt zum | |
Jugendamt hatten, von dort aber keine Hilfe gekommen sei, sagte die | |
Leiterin der Studie, die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen, die | |
auch der Aufarbeitungskommission vorsitzt. Bei den Ämtern hätten oft die | |
Interessen anderer Familienmitglieder im Fokus gestanden. | |
## „Kein Kind kann sich allein schützen“ | |
Den Täterinnen und Tätern gelingt es der Studie zufolge vielfach, den | |
Schein der Normalität aufrechtzuerhalten. Sie bringen die Kinder mit | |
Drohungen zum Schweigen. Im Familienalltag ist die Gewalt häufig eng | |
verwoben mit der Erziehung, mit Strafen, Ritualen, aber auch Fürsorge. Der | |
Schutzraum Familie werde zur „dramatischen Falle“, sagte Andresen. Dass | |
selbst Mütter Täterinnen sein können, sei wichtig zu wissen, erklärte eine | |
der Autorinnen der Studie, Maria Demant, damit den Betroffenen geglaubt | |
werde, wenn sie solche Übergriffe schildern. | |
„Sexueller Kindesmissbrauch ist keine Privatangelegenheit“, betonte | |
Andresen. Die Kinder müssten sich darauf verlassen können, dass der Schutz | |
der Privatsphäre nicht dazu führe, dass sie selbst schutzlos sind. | |
Tatsächlich erlebten die meisten Betroffenen aber, dass sie alleingelassen | |
wurden. | |
Angela Marquardt vom Betroffenenbeirat beim Missbrauchsbeauftragten sagte, | |
die Studie spiegele die persönlichen Erfahrungen und die gesellschaftlichen | |
Defizite wider: „Die Gesellschaft hat nicht das Recht, die Kinder in diesen | |
Familien alleinzulassen“, sagte Marquardt: „Kein Kind kann sich allein | |
schützen.“ | |
Der Studie zufolge hatte sich die Hälfte der Kinder zu irgendeinem | |
Zeitpunkt an Erwachsene gewendet, fast jedes fünfte Kind oder Jugendliche | |
an die Mutter, ein sehr kleiner Teil an die Väter, weniger als zehn Prozent | |
an andere Familienmitglieder und fünf Prozent an Personen außerhalb der | |
eigenen Familie. Häufig hätten andere Erwachsene oder Familienmitglieder | |
von [2][der sexualisierten Gewalt] gewusst, aber geschwiegen und nicht | |
geholfen. | |
Die Ergebnisse der Studie beruhen auf der nicht repräsentativen | |
quantitativen und qualitativen Auswertung von 870 persönlichen Berichten. | |
Diese stammen aus 680 mündlichen vertraulichen Anhörungen und 190 | |
schriftlichen Schilderungen von Menschen zwischen 16 und 80 Jahren, die | |
sich an die Kommission gewendet haben, um ihre Geschichte zu erzählen. Die | |
Studie umfasst den Tatzeitraum von 1945 bis zur Gegenwart. | |
Andresen sagte, es sei zentral, die Berichte der Betroffenen ins Zentrum zu | |
stellen. Von ihnen könne man lernen, was ihnen geholfen hätte: gut | |
informierte, handlungsfähige Erwachsene. Man wisse viel zu wenig darüber, | |
wie Kinder sexuelle Gewalt in der Familie erleben und wie sie damit | |
umgingen. Eine der zentralen Fragen sei: „Wo sind die Dritten, die helfen | |
können?“, sagte Andresen. | |
7 Sep 2021 | |
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