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# taz.de -- Dating außerhalb der eigenen Bubble: Rendezvous mit Jungen Liberal…
> Würde unsere Autorin eine Person küssen wollen, die FDP-Mitglied ist?
> Testhalber datet sie fünf Jungliberale. Hier ihr Ergebnis.
Bild: Die haben’s verstanden: Umweltschutzslogan auf Plastikballons
Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahlcamps der
taz Panter Stiftung.
Angenommen, ich bin auf einer Party voller Fremder. Mittendrin steuert eine
Person auf mich zu, spricht mich charmant an, verhält sich respektvoll und
freundlich – würde ich die Person irgendwann küssen wollen? Vielleicht.
Aber gilt das selbst, wenn sich herausstellt, dass sie von der FDP ist?
Bei unserem wöchentlichen Meeting des Wahlcamps stellten wir uns diese
konkrete Frage. Während die eine Hälfte meiner Kolleg:innen sofort in
den Widerstand geht, denken die anderen ernsthaft über diese Frage nach.
Ich gehörte zu den Letzteren. Vor allem aber, weil ich niemanden in meinem
privaten Umfeld kenne, das Mitglied bei der FDP ist. Das Problem hat sich
mir noch nicht gestellt. Insbesondere eine Frage beschäftigt mich: Wie
ticken diese Leute eigentlich, und was sind das für Menschen, bei denen man
so lange nachdenken muss, ob man sie überhaupt küssen würde oder nicht?
In dem Buch „Radikale Zärtlichkeit: Warum Liebe politisch ist“, schreibt
die Autorin Şeyda Kurt über eigene romantische Beziehungen, die gescheitert
sind. Der eine wird handgreiflich, ein anderer belügt sie. Und ein Dritter
– ein ehrlicher, freundlicher Mann – will die FDP wählen.
Und das ist, laut Kurt, eine „Katastrophe für sich“. Mit diesen Sätzen
stellt Kurt eine Beziehung mit einer Person aus der FDP auf die gleiche
Ebene wie eine Beziehung mit Gewalttätigen und Betrüger:innen. Allerdings
geht die Autorin in ihrem Buch nicht weiter auf den Satz ein. Es scheint,
als seien weitere Erklärungen überflüssig, da das Wählen der FDP schon so
offensichtlich falsch ist. Aber welche unausgesprochenen Offenkundigkeiten
machen die FDP so dermaßen unattraktiv?
## Rechts oder konservativ?
Immerhin heißt FDP nicht gleich AfD. Nichtsdestotrotz gelten in meiner
Bubble beide Parteien als definitiv unwählbar, manche bezeichnen die FDP
auch als rechts. Und irgendwo stimme ich ihnen zu: Beim Überfliegen der
Vorstandsmitglieder und Präsidium bestätigt sich sowohl das Klischee der
Alte-Männer-Partei als auch die BWL-VWL-Jura-Dominanz. Ab und zu findet
sich eine Frau, die Agrarwissenschaften studiert hat, aber das ist eher die
Ausnahme.
Hauptsächlich kuschelt die FDP nur mit einem Typus Wählerschaft, und das
sind die Reichen, die – oh Wunder – in den allermeisten Fällen weiße Män…
sind. Das muss dann nicht zwingend heißen, dass sie alle rechts sind, aber
besonders sympathisch finde ich die homogene Gruppe trotzdem nicht.
Andererseits stelle ich mit Blick auf das Wahlprogramm fest, dass die
Partei durchaus Überschneidungen mit meinen Werten hat. Die FDP plädiert
für Selbstbestimmung aller Individuen und will Rechtsextremismus bekämpfen.
Das ist schon mal ein Anfang.
Insbesondere die Jungen Liberalen, kurz Julis, finde ich interessant. In
der Regel unterscheiden sich die jungen Parteien von ihrer Mutter-
beziehungsweise Vaterpartei. So ist die Junge Union rechter als die Union,
die Jusos ein wenig linker als die SPD. Ob das Klischee des wohlbehüteten
Juristen auch auf die Julis zutrifft? Um mir ein Blick über die
Nachwuchs-FDP zu verschaffen, rufe ich ein paar Julis an und fragte nach
einem „Date“.
## Cafés und Spaziergänge
Insgesamt treffe ich fünf Julis und gebe mir noch einen Stammtisch, an dem
nochmal 15 Julis teilnehmen. Der ursprüngliche Plan war, fünf Porträts zu
schreiben und sympathischere Charaktereigenschaften und politische
Differenzen hervorzuheben. Am Ende stehe ich nur vor einem Problem: Die
Gespräche laufen alle aufs Gleiche hinaus.
Die getroffenen Kandidat:innen sind Dominik, Fabrice, Ludwig, Luise und
Jaspinder, alle im Alter von 20 bis 27. Die Lebensphasen reichen von
„frisch das Abi geschafft“ bis hin zu „verlobt und bald werdender Vater�…
Dass ich in der männerdominierten Partei zwei Frauen date ist kein Zufall,
sondern bewusst gewählt. Meine Interessen als Frau mit
Migrationshintergrund stehen im kompletten Widerspruch zu den Prioritäten
der FDP. Daher bin ich neugierig, was Frauen an der FDP finden.
Während die Frauen mir knappe Antworten geben, und ich immer wieder neu
nachhaken muss, sprudeln die Männer teilweise ohne Punkt und Komma. Wie ich
mit ihnen so im Café sitze, denke ich irgendwann: Da hätte ich genauso gut
Lindner vor dem Fernseher zuhören können.
## Die Lösungen der FDP
Wie löst man das Problem mit dem Klimawandel? – Mit dem CO2-Zertifikat. Wie
bekämpft man Rassismus? – Mit mehr Bildung. Wohnungen enteignen? – Nein,
stattdessen mehr bauen. Bessere Bezahlung für Geringverdienerjobs? –
Jobwechsel ermöglichen. Frauenquote? – Nein, man sieht ja schon, dass die
Gleichberechtigung im Gange ist.
Beim Thema Rassismus lautet das Argument der Julis, dass mit mehr Bildung
und Aufklärung Rassismus entgegengewirkt werden kann. Aber ist das
tatsächlich so?
Im Geschichtsunterricht behandeln Schüler:innen jahrelang den
Nationalsozialismus und hierzulande existiert trotzdem ein starker
Antisemitismus, siehe Halle. Außerdem müssen nicht nur Schüler:innen,
sondern auch Erwachsene, Rentner:innen und einfach jeder Mensch über
rassistische Strukturen, Machthierarchien und Ungleichbehandlung aufgeklärt
werden. Ferner: Wie soll Aufklärung in der Schule funktionieren, wenn es
Lehrkräfte gibt, die rassistisch denken und handeln?
## Wer mehr Geld will, muss besser verhandeln
Auch zu Geringverdienerjobs hat die FDP keine Lösung. Oder doch, denn die
Lösung der Julis lautet, Menschen Aufstiegschancen zu ermöglichen und
Trainings für bessere Gehaltsverhandlungen einzuführen. Ich frage mich
ernsthaft, wie das funktionieren soll, denn nicht jede Person will einen
Jobwechsel. Ob man’s glaubt oder nicht, manche Leute mögen ihren Job. Sie
wollen einfach nur mehr Geld dafür haben.
Haben diese Leute dann einfach Pech gehabt, weil sie keine Lust hatten,
Wirtschaftsingenieur zu werden? Gibt es dann irgendwann keine Pflegekräfte
mehr? Soll der Job aussterben, weil er schlecht bezahlt wird?
„Man muss gucken, dass jeder, der arbeitet, auch davon leben kann“, erklärt
mir Dominik, mit dem ich im Außenbereich einer Art Dönerbude sitze, weil es
hier „guten Käsekuchen“ gebe, den wir beide dann nicht bestellen. Dominik
trägt ein beigefarbiges Hemd und lacht sehr viel. Sein Lachen ist
ansteckend, seine Werte sind es eher nicht. Ich frage ihn, ob Mindestlohn
die Lösung sei. Dominik schüttelt den Kopf. Nein, es soll bessere
Gehaltsverhandlungen geben, Mindestlohn sei nicht zielführend.
## Vielfalt überbewertet?
Luise, die mir im Restaurant gegenübersitzt und mich mit ihren blauen Augen
fixiert, ist verärgert, als ich ihr erkläre, dass die FDP ja mit ihrer
weißen Männerdominanz nicht die deutsche Bevölkerung repräsentiere. „Es i…
nicht Sinn einer Partei, die Bevölkerung eins zu eins abzubilden“, sagt sie
scharf. „Wir sind auch nicht dafür verantwortlich, dass andere nicht in die
FDP kommen, und man sollte vorsichtig sein, Frauen in der FDP vorzuwerfen,
warum nicht noch mehr Frauen dabei sind.“
Ich nicke und frage mich, wie häufig sie sich das wohl anhören muss. Luise
ist stark geschminkt, hat ihre blonden Haare leicht nach hinten gebunden
und hat, im Gegensatz zu mir mit meinem schwarzen Hoodie, ein elegantes
Auftreten. Ich will ein neues Thema ansprechen, aber Luise ist nicht
fertig: „Ich halte es für eine bedenkliche Einstellung und sehr
demokratiefeindlich, zu sagen, es heißt, nur ein Betroffener kann etwas
vertreten. Ich bin ja auch jedes Jahr auf dem CSD, obwohl ich nicht
persönlich betroffen bin.“
Beim Thema Wahlberechtigung bei Bundestagswahlen für Menschen, die keine
deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, spalteten sich die Meinungen. Die
Frauen sagen beide, dass sie sich noch nicht mit der Thematik
auseinandergesetzt hätten, sind aber dafür. Die Männer, die mit der
Thematik vertraut sind, plädieren dagegen.
Die Männer wollen stattdessen, dass den Menschen die doppelte
Staatsbürgerschaft ermöglicht wird. Dass die Welt aber nicht nur aus
Westeuropa besteht und Länder existieren, die eine doppelte
Staatsbürgerschaft nicht ermöglichen, kommt vielen von selbst nicht in den
Sinn. Das erkläre ich ihnen. Sie behalten ihren Standpunkt bei – das
Argument lautet, Deutschland müsse sich in der Außenpolitik dafür
einsetzen, dass jede Nation die doppelte Staatsbürgerschaft anerkennt.
## Trotz allem irgendwie reich
Mit Fabrice, der eine große schwarze Brille trägt und seine vom Regen
nassen Haare schüttelt, will ich über Enteignung von Wohnungen reden. Er
ist vehement dagegen. Als ich ihn frage, ob er denn nicht Glück gehabt
habe, weil seine Eltern das Haus seiner Großmutter erben konnten, verzieht
er das Gesicht.
„Der Staat soll sich nicht in das Eigentum der Menschen einmischen“, sagt
er. „Es ist doch altruistisch, wenn man für seine Kinder das Beste will,
und sie es einfacher haben sollen als man selber“. Er selbst habe
allerdings kein Geld von seinen Eltern bekommen, „und ich habe ihnen
deswegen nie Vorwürfe gemacht. Dafür haben sie mir wichtige Werte
mitgegeben. Ich habe deswegen gearbeitet, schon früh selbst angefangen, für
mein Geld zu arbeiten, und das war in Ordnung.“
Seine Worte überzeugen mich nicht, denn ich weiß, er kommt aus Hamburg
Blankenese, der Stadtteil der Reichen. Ein Haus zu erben und akademisch
gebildet zu sein entsprechen nicht meiner Definition von prekären
Lebensumständen. Unter solchen Umständen, denke ich, ist es einfacher,
Aufstiegschancen zu ergattern.
## Keine Freiheit bei Meinungsäußerung
Die Krönung meiner Recherche sind die Gespräche mit Finn Behrends und
Ludwig Behr. Beide hatten schriftlich einem Gespräch zugestimmt. Als ich
dann Finn anrufe, erklärt er mir, dass er nicht wisse, was er mir erzählen
dürfe. Weitere Kontaktversuche meinerseits scheitern, da er nicht mehr ans
Telefon geht und meine Nachrichten ghostet – ich werde komplett ignoriert.
Stattdessen schreibt mir der Pressesprecher der Julis Berlin, dass ich ein
Gespräch mit der stellvertretenden Landesvorsitzenden führen könnte. Hä?
Nein. Ich entscheide, wen ich treffe und für spannend halte.
Mit Ludwig Behr unterhalte ich mich eine Stunde in einem Café. Das Gespräch
verläuft zunächst angespannt, zum Ende hin freundlich, er ist mir hin und
wieder sehr sympathisch. Zwei Wochen später ruft er mich an und erklärt
mir, dass ich das Gespräch nicht veröffentlichen dürfe. Sie hätten im
Plenum beschlossen, dass ausschließlich die Vorsitzenden der Julis ein
Interview geben dürften.
Was ist das für eine Partei, die ihren Mitgliedern den Mund verbietet?
Warum traut sich da jemand nicht, seine eigene Meinung zu äußern, was soll
schon Schlimmes passieren, außer, dass ich ihn nicht mehr daten will?
Schlimm genug, okay, aber wo ist die Freiheit der jungen Liberalen
geblieben, wenn sie noch nicht mal eine Stunde locker mit mir plaudern
dürfen?
Am Ende habe ich die Schnauze voll, aber dafür meine Antwort auf die Frage,
welche Offenkundigkeiten die FDP so dermaßen unattraktiv machen.
## Fern von meiner Realität
Für mich ist es vor allem die Unreflektiertheit für andere
Lebensrealitäten. Die Julis nehmen Probleme, die ich sehr ernst nehme,
nicht besonders ernst.
Ich will, dass Rassismus und Polizeigewalt gegen Minderheiten jetzt ernst
genommen werden. Ich will, dass Quoten eingeführt werden, und zwar nicht
nur für Frauen, denn Männer und andere Privilegierte werden nicht
freiwillig ihren Posten räumen. Ich will, dass der Klimawandel ernst
genommen und effiziente Lösungen umgesetzt werden, auf Kosten von
Konzernen. Ich will, dass unsere Gesellschaft nicht auf Kapitalismus und
Karriere fokussiert ist. Außerdem nervt es, überall Werbung zu sehen,
insbesondere, wenn bestimmte Gruppen wieder mal objektifiziert werden.
Für die Julis haben andere Themen deutlich mehr Bedeutung, wie
beispielsweise die Digitalisierung. Als ich Fabrice im Café gegenübersitze,
bin ich ausgelaugt und habe keine Motivation mehr. Stumm zahle ich seinen
Orangensaft in bar und verabschiede mich. Wenn ich eine Person daten
möchte, dann keine, die meine Werte im Bundestag nicht vertreten sehen
will.
7 Sep 2021
## AUTOREN
Shoko Bethke
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