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# taz.de -- Ausstellung „From Creatures to Creators“: Online unsterblich
> Das Hamburger Kunsthaus beschäftigt sich mit der menschlichen Sehnsucht
> nach der Überwindung von Fesseln, Schranken und Tod.
Bild: In der Galerie der alten weißen Männer: Zeichnung aus dem Comic „Die …
Sie hat es wieder getan: Futuristische Visionen sowie Künstlerinnen und
Künstler, die extreme Aspekte eines möglichen künftigen Lebens ausformen,
haben es der Hamburger Kuratorin Anna Nowak offenbar angetan. Wie schon bei
„Makin Kin“, der vom Cyber-Feminismus Donna Haraways inspirierten
[1][Ausstellung im Vorjahr], finden sich auch aktuell im Hamburger
Kunsthaus seltsame Metamorphosen, spirituelle Entkörperlichungen und
dystopische Zukünfte. „From Creatures to Creators“ heißt die
Gruppenausstellung, und die meisten der elf Positionen thematisieren das
Hinauszögern oder gar Vermeiden von Altern und Tod – Projekte also, an
denen derzeit etliche Wissenschaften arbeiten und auf ihre Weise auch die
Pandemiebekämpfung.
Da kann es überraschen, wenn das älteste Exponat ein Stich von 1730 ist: Er
bezieht sich auf antike Mythen, in denen die höheren Mächte Unsterblichkeit
gewähren und Lebensformen dramatisch verwandeln konnten. Auch wenn in
dieser Hinsicht bisher keine realen Erfolge belegt sind: Der Wunsch nach
solcher Transformation, aber auch die philosophische Reflexion der damit
verbundenen Gefahren sind schon sehr alt. Und seit einiger Zeit wird
angesichts der fortschreitenden Perfektionierung virtueller Realitäten
sogar spekuliert, ein biologischer Körper sei vielleicht gar nicht mehr
notwendig.
Samara Daioub und Zion König erlauben es dem Publikum nun immerhin, per
Virtual-Reality-Headset den zusammenstürzenden Hamburger Ausstellungsraum
in dimensionslose Welten verlassen. Und wird die Außenwelt von vielen
zunehmend nur noch als Handy-Video oder wie eine Gaming-Oberfläche
wahrgenommen, thematisiert Emmanuel van der Auwera das in seiner
Video-Arbeit – der fiktiven Dokumentation eines Anschlags in Miami – auch
als den Traum, online unsterblich zu werden.
Zu jedem Moment und pausenlos sind Billionen von Bildern in der
elektronischen Unendlichkeit vorhanden, sofern wir zur wirklichen Existenz
von Bildern nicht auch ein sie wahrnehmendes Subjekt voraussetzen. Ed
Fornieles holt für seine Bildkacheln einige Motive ins analoge Format
zurück und demonstriert die seltsame Leere, die im Rauschen der Bilderflut
liegt.
Wachsender, medienforcierter Realitätsverlust erzeugt offenbar den Wunsch,
den Körper beliebig zu manipulieren. Ist das zufällig ererbte nur ein
beliebiges Gefäß mit beliebig wählbarer Sexualität? Amalia Ulmann
hinterfragt in ihrem Lecture-Performance-Video „The Future Ahead –
Improvements for the further Masculinization of Prepubescent Boys“ die
Identität des androgynen Popstars Justin Bieber und zeigt wie hochgradig
konstruiert Geschlechterrollen sind.
Das Mutieren fängt aber schon viel privater an: bei der nicht nur am Bild,
sondern auch am realen Körper medikamentös oder chirurgisch durchgeführten
Selbstverschönerung. Ed Fornieles lässt in einem Video einen Comic-Fuchs zu
aktiver Selbstoptimierung auffordern. Die Re-Codierung des Ichs
persifliert auch der*die nicht-binäre US-Amerikaner*in Mary Maggic in der
schrägen Kochshow „Housewifes Making Drugs“. Zwei trans*Frauen
demonstrieren darin im Trash-TV-Stil ironietriefend, wie jeder eine eigene
Östrogenkur destillieren kann: Der Stoff, aus dem ihr Biohacking ist:
„homemade Estro-Gin“.
Ob gezielt oder nur als irrtümliches Zwischenprodukt: Alles transformiert
sich also. Ob Saelia Aparicios Wandzeichnungen pervers kombinierter Körper
oder die als edle Designerstücke auf Sockeln präsentierten gläsernen
Mutationsmodelle des litauischen Künstlerduos Pakui Hardware – der derzeit
gegebene Körper scheint nur eine vorübergehende Existenzform.
Sind wir auch nur eine Zwischenspezies – zwischen Dinosaurier und
elektronischem Universum? Ein unangenehmer Gedanke. Da mag es hilfreich
sein, sich alter Spiritualität zu erinnern. Vielleicht ist die Erde doch
eine Scheibe und alle Dualitäten lassen sich mit hinreichendem Glauben in
eine universelle Einheit überführen? In der Kunst jedenfalls ist das
möglich – oder es kann zumindest eingefordert werden. So beschwört Tabita
Rezaire in ihrem Video – projiziert auf die rituelle Form der Pyramide – in
einer Art magischer Science Fiction eine universelle, von einseitiger
Dominanz befreite Erotik.
Sicher wird die Zukunft nicht allein von Schamanen, Biologen und
IT-Spezialisten gestaltet werden. Eher politisch argumentieren die 30 im
Raum plakatierten Blätter aus „Die Dekolonisierung Amerikas“. Der Comic des
Hamburger Künstlers und Kritikers Steffen Zillig zeigt in einer Projektion
extremer Identitätsargumentation eine Welt, in der alle Ethnien rigoros
entflochten werden: Die aus den USA ausgewiesenen Euro-Amerikaner versuchen
zurück nach Europa zu kommen, sind in dem zukunftsfeindlich und radikal
offline gewordenen Kontinent aber unerwünscht.
Und die Supermächte Afrika und China? Können – und wollen – nicht helfen.
Keine mehr und mehr die Macht übernehmende künstliche Parallelwelt ist hier
also das Thema, sondern im Gegenteil eine überkonsequente Fortsetzung von
Identitätspolitiken bis hin zu einer konfrontativen Sprachlosigkeit.
Doch bei allen Querelen dieser Welt oder gar jenseits davon: Nichts kann
vorerst das Trauma menschlicher Sterblichkeit überwinden. Und die schwarzen
Monster sind niemals verschwunden, allenfalls vorübergehend nicht sichtbar.
In einer weiteren kunstgeschichtlichen Referenz nämlich zitiert Kuratorin
Nowak Alfred Kubins (1877–1959) grausame Zeichenwelten aus einer Mappe von
1903: Der Tod streut Seuchen aus und steht als Arzt am Krankenbett, schon
die Neugeborenen werden von einem Ekelinsekt ins Leben geschleudert,
Totenschädel und Uhr mahnen an den stets drohenden Tod. Biowissenschaft,
Digitalisierung und künstlerische Fantasie mögen noch so pfiffig aller
Leben Ziel hinaus zögern: Am Ende des bis dato Verstehbaren steht – das
Ende.
31 Aug 2021
## LINKS
[1] /Ausstellung-Making-Kin-in-Hamburg/!5693985
## AUTOREN
Hajo Schiff
## TAGS
Ausstellung
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Zukunft
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