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# taz.de -- Humboldt-Sprachenarchiv: Ich sage, also bin ich
> Noch in diesem Jahrhundert wird die Hälfte der Sprachen dieser Welt
> aussterben. Nun wird auch von Berlin aus verstärkt etwas dagegen getan.
Bild: Die Linguistin Tsendee Yunger bei einer Sprachaufnahme im Westen der Mong…
Berlin taz | Ein Mann sitzt irgendwo in Westsibirien in seiner Küche und
spricht in einer Sprache, die auf Laien wie eine verwirrende Mischung aus
Ungarisch und Russisch klingt. Die [1][chantische] ist eine bedrohte
Sprache, so erfährt man, da sie nur noch von etwa mehr als 9.000 Menschen
gesprochen wird. Mandana Seyfeddinipur hält die Videoaufnahme an und
berichtet von den Besonderheiten der Sprache. Chantisch, sagt sie, verfügt
über Evidentialität.
Das heißt, man kann in dieser Sprache mit grammatischen Mitteln ausdrücken,
woher man das Wissen hat über das, was man sagt. „Stellen Sie sich vor,
welche Auswirkungen es auf unsere Weltwahrnehmung hätte, wenn wir immer
auch darüber informieren müssten, ob wir Augenzeugen des Vorfalls waren,
den wir beschreiben“, lacht sie – und es geht ein begeistertes Raunen
durchs Publikum.
Mandana Seyfeddinipur ist die Direktorin des [2][Endangered Languages
Documentation Programme] (ELPD), das 2002 an der SOAS University of London
gegründet wurde, um Sprachen weltweit zu dokumentieren, zu sammeln und frei
zugänglich zu machen. Am Mittwochnachmittag sprach sie in Berlin, weil das
Institut mitsamt Archiv an die Berlin-Brandenburgische Akademie der
Wissenschaften wechselt, auf dass hier auch mithilfe der Bundesregierung
für Kultur das Humboldt-Sprachenarchiv entstehe – ein völlig neues Zentrum
zur Archivierung gefährdeter Sprachen.
Das ist nicht nur Grund zur Freude wegen der „vielen Stipendiatinnen und
Stipendiaten aus aller Welt, die nun hier arbeiten werden“, so
Akademiepräsident Christoph Markschies. Es ist auch ein Zeichen, wie
vielfältig Berlin geworden ist – wie viele Sprachen die Menschen hier
inzwischen sprechen und erforschen.
## Online Aramäisch lernen
Einer dieser Menschen ist der Orientalist und Semitist Shabo Talay, der
ebenfalls am Mittwoch sprach. Aufgewachsen in der Osttürkei, kam er in
seiner Kindheit mit den Eltern nach Deutschland und ist einer der wenigen,
bei dem man sogar online die stark bedrohte [3][neuaramäische Sprache]
erlernen kann.
Anschaulich berichtet er von den vier aramäischen Kirchengemeinden in
dieser Stadt, in der unterschiedliche Dialekte gesprochen werden – von der
„Dorf- und Märchensprache“, die er als Kind erlernte, die aber nicht
ausreichen würde, „auch nur diesen Saal zu beschreiben“.
Die Sprachwissenschaft geht davon aus, dass auf der Welt noch an die 7.000
Sprachen gesprochen werden. Rund die Hälfte von diesen werden durch
Globalisierung, Migration und Urbanisierung noch in diesem Jahrhundert
aussterben. Es ist gut, dass nun auch in Berlin verstärkt dagegen gesteuert
wird.
9 Sep 2021
## LINKS
[1] /Protest-in-Berlin/!5448505
[2] https://www.eldp.net/
[3] /Bibliothek-im-Katharinen-Kloster/!5470182
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Linguistik
Oral History
Dialekt
Schwerpunkt Stadtland
Sorben
Gerhard Schröder
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