# taz.de -- Historische Funde bei Arkadensanierung: Schätze auf 125 Metern | |
> Bluthostien, Musketenkugeln, Kaufmanns-Griffel: Unter dem Bremer Tiefer | |
> hat sich ein vielfältiges Sortiment historischer Artefakte erhalten. | |
Bild: Frisch aus dem Weserschlick geborgen: mittelalterliche Pilgerfigur vom Ja… | |
BREMEN taz | Unter den Arkaden piept es fast pausenlos. Unablässig | |
signalisieren die Suchsonden, dass der große Aushub-Haufen am Flussufer | |
voller Metall steckt. Passend zum Pressetermin der Landesarchäologie am | |
Tiefer haben die Ausgräber:innen soeben sogar eine „Bluthostie“ zu Tage | |
gefördert – eines von bemerkenswert vielen Pilgerzeichen, die ihr | |
vorläufiges Ende in der Weser fanden. Dazu Nierendolche, Musketenkugeln, | |
vermutlich von der schwedischen Belagerung Bremens im 17. Jahrhundert, | |
Warenplomben, mittelalterliche Armbrustspitzen, bekannt als | |
Kettenhemd-Killer, ebenso alte Angelhaken oder ein (noch nicht | |
entzifferter) Siegelring. | |
Nun, im Zuge der Arkadensanierung, kommt das alles wieder ans Tageslicht. | |
Die Fundsituation an den Weserarkaden sei mit mehreren Tausend Stück | |
außerordentlich reichhaltig, sagt Dieter Bischop von der Landesarchäologie. | |
Er wirkt geradezu beglückt, zumal er mit dieser Grabegelegenheit gar nicht | |
gerechnet hatte: Erst im Lauf der Arkadensanierung stellte sich heraus, | |
dass tief ausgeschachtet werden muss, um die Standfestigkeit der | |
stadtseitig gelegenen Sandsteinmauer wieder herzustellen. | |
Seither liegt für Bischop und seine Leute ein attraktives archäologisches | |
Menü auf dem Pflaster: der Aushub aus drei Metern Tiefe und 125 Metern | |
Länge, direkt vom jahrhundertelangen Bremer Handels-Hotspot, der oberen | |
Schlachte (heute Tiefer). Ein archäologischer Festschmaus. | |
Denn was ist ergiebiger als eine hochfrequentierte Anlegestelle, an der im | |
Lauf der Jahrhunderte alle kleinen Ausrutscher, Unachtsamkeiten und | |
sonstige logistische Missgeschicke zu einer Ablagerungsdichte führen, wie | |
man sie sonst nur aus mittelalterlichen Hauskloaken kennt? Um diese | |
Fundsituation zu verstehen, muss man wissen, dass die Arkaden erst 1913 der | |
historischen Kaimauer vorgesetzt wurden. Sie überwölben die frühere | |
Uferkante und beherbergen daher in ihren Tiefen alles Heruntergefallene – | |
oder absichtlich Hineingeworfene. | |
## Unmenge an Schweine- und Pferdekiefern | |
Zum Beispiel Siegburger Keramikscherben, zum Beispiel Knochen. Eine Unmenge | |
an Schweine- und Pferdekiefern wurde in den Fluss geworfen, | |
Abfallentsorgung und Uferbefestigung in einem. Zur Kategorie Hineingefallen | |
gehört der Griffel, den die Ausgräber:innen gerade gefunden haben: Mit | |
ihm ritzten die Kaufleute ihre Rechnungen in die Wachstafeln. | |
Daneben der Zapfhahn für ein Bier- oder Weinfass, die beliebtesten | |
historischen Handelsgüter der Stadt. Mit 26 Silbermünzen kam sogar ein | |
kleiner Schatz zusammen: „Für Bremer Verhältnisse ist das ziemlich viel“, | |
sagt Bischop. Einige Münzen aus dem 13. Jahrhundert stammen aus | |
französischen Städten. Sie dokumentieren entsprechende Handelsbeziehungen, | |
„von denen wir bislang gar nicht wussten“, sagt Bischop. | |
Besonders gut erhalten ist die Tonfigur eines Mönches, vermutlich Teil | |
eines Bierhumpens. Er hat derart eindrucksvolle Ohren, dass sich damit | |
manch christdemokratischer Wahlkampf bestreiten ließe. | |
Ein gewagter, aber genealogisch einwandfrei nachweisbarer Bogen lässt sich | |
auch von der eingangs erwähnten Bluthostie in die Gegenwart schlagen: Sie | |
stammt aus dem Brandenburgischen Wilsnack, das 1383 von besonders | |
rücksichtslosen Raubrittern gebrandschatzt wurde – direkte Vorfahren des | |
eng mit Bremen verbundenen Loriot. Die aus den noch rauchenden | |
Kirchenruinen geretteten Hostien bluteten der Legende nach und erwiesen | |
sich als entsprechend wundertätig, was in den folgenden Jahrzehnten | |
hunderttausende Pilger anzog. Im Ergebnis eine unbeabsichtigte | |
Wirtschaftsförderung, die sich bis nach Bremen auswirkte. | |
7 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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