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# taz.de -- Ausgrabungen: Kaum gefunden, schon verschwunden
> In Bremen wurde die Ziegelei entdeckt, in der vermutlich die Steine des
> Rathauses gebrannt wurden. In wenigen Tagen soll sie einem Büro-Neubau
> weichen.
Bild: Der spitzhütige "Bräutigam", Bremens mächtigste Bastion, auf einem Gem…
BREMEN taz | Feucht fühlen sie sich an, die langen, sorgfältig vermauerten
Ziegelsteine. Die Sonnenstrahlen, die jetzt die Rottöne zum Leuchten
bringen, sind die ersten seit vielen hundert Jahren, die den eben
ausgegrabenen achteckigen Backsteinkranz erreichen und langsam aufwärmen.
Im Spätmittelalter herrschten hier andere Temperaturen: Das gut 12 Meter
breite Mauerwerk mit dem gewaltigen Mittelpfeiler war das Fundament eines
Brennofens. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“, sagt der für Bremens
Stadtarchäologie zuständige Dieter Bischop, seien hier sogar die Ziegel des
auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco stehenden Bremer Rathauses gebrannt
worden.
„Keiner wusste, was hier schlummert“, erklärt Bischop die hektischen
Begleitumstände der Grabung. Wenige Meter entfernt warten schwere Maschinen
auf ihren Einsatz. Die Grube muss vertieft, die Kellerwanne für zwei
Bürohochhäuser gegossen werden. Im Krieg wurde das Gelände, auf dem damals
der Weserbahnhof stand, von Bombenkratern durchwühlt – ein umso größerer
Glücksfall ist der vollständige Erhalt des massigen Ringfundaments. Die
oberste Schicht ist allerdings angefressen: Als Bischop am Mittwoch auf der
Baustelle eintraf, wollten die Bauarbeiter es eben wegreißen.
Noch kühler als die Ziegel ist der kleine Pfeifenkopf, den Grabungshelfer
Tommy Kroll gerade aus dem Boden geholt hat. Winzig liegt der fein
gearbeitete Hohlzylinder in seinen schwieligen Händen, „17. Jahrhundert“,
schätzt Kroll. Vorsichtig legt er die Pfeife zu Kohleschaufel und Tiegel,
deren Alter erst noch bestimmt werden müssen.
Im Vergleich zu anderen Grabungen ist der Ofenfund eine äußerst sinnliche
Angelegenheit. Wo sonst eisenzeitliche Pfostenspuren hoch aufschlussreiche,
aber für Laien nur langweilige Verfärbungen hinterlassen, ist hier eine
markante Gebäudestruktur zu bestaunen. Zwar muss man sich die zehn Meter
hohe Kuppel, die den Meiler überspannte, selbst hinzudenken. Doch dabei
hilft der dicke Ruß an den Innenwänden. „Hier haben bis zu 1.000 Grad
geherrscht“, sagt Bischop. Er vermutet, dass der Ziegelmeiler Teil eines
mittelalterlichen Gewerbegebiets war, zu dem, natürlich außerhalb der
Stadtmauern, auch andere feuergefährliche Betriebe wie Kalkbrennöfen und
später auch Tran-Siedereien gehörten. Bremen war eine Hochburg der
Walfänger.
Das nahe Ufer versorgte die Ziegelei mit feinkörnigem Lehm. Doch obwohl
hier, ganz wörtlich, wohl ein Weltkulturerbe gebacken wurde, soll der
beeindruckende Backsteinkranz schon am Dienstag weggebaggert werden. „Wir
können die Planungen jetzt nicht mehr umschmeißen“, sagt Architekt Bernd
Block-Osmers. Allenfalls eine Mauerecke könne erhalten bleiben. „Rechtlich
kann man nichts machen“, erklärt ein Senatssprecher. Auch eine politische
Initiative zum Erhalt der Rathaus-Ziegelei sei „nicht in Sicht“.
Die Menschen am Bauzaun sehen das nicht ein. „Das darf doch nicht zerstört
werden“, sagt ein älterer Herr, dem tatsächlich die Tränen in den Augen
stehen. Auch ein auffallend gut gekleideter Mittvierziger steht dabei und
stimmt zu, dass der Brennofen „unbedingt erhalten“ bleiben müsse. „Hier
kann ich das sagen“, fügt er erklärend hinzu – „aber nebenan bin ich der
Bauherr“.
„Nebenan“, das ist die Großbaustelle 200 Meter weiter, wo die Arbeiter
derzeit die Fundamente für ein Hotel samt Varietétheater in den Boden
rammen. Dort haben Bischop und sein Team Mauern mit fast fünf Meter
Durchmesser ausgegraben – und damit den „Bräutigam“ entdeckt.
Um die Begeisterung zu verstehen, die dieser Fund in Bremen auslöste, muss
man wissen, dass es in Bremen auch eine „Braut“ gibt. Zwei unglaublich
dicke Türme, die gemeinsam das Kernstück der weserwärtigen
Verteidigungsanlagen Bremens bildeten. Doch während der Standort der 1739
explodierten Braut immer bekannt war – heute steht dort passenderweise die
Versicherungsbörse – hatte ihr steinerner Kompagnon bislang nicht
lokalisiert werden können. Zu oft hat die Weser, in die er zur Hälfte
hineinragte, ihr Bett gewechselt.
Nun ist der Bräutigam wieder da. Allerdings haben die Bagger des Bauherren,
bis die Bedeutung des Fundes geklärt war, manche Scharte in das mächtige
Mauerwerk gehauen. Dabei hatte Bischop die Baustelle immer im Blick, sogar
sonntags, wenn er mit dem Kinderwagen extra Richtung Baustelle zockelte.
„Aber letztlich bin ich noch rechtzeitig gekommen“, sagt der immer im
Stress stehende Archäologe, der in einem hoffnungslos unterbesetzten Amt
arbeitet. Ein Großteil des 20 Meter dicken Turmfundaments steht unterm
Bahndamm – da ist es wenigstens sicher.
12.000 kaiserliche Soldaten haben diese Bastionen abgewehrt, 1547, im
Schmalkaldischen Krieg, da waren Braut und Bräutigam gerade mal 15 Jahre
alt. Die Investition hatte sich also gelohnt. Als weniger klug erwies sich
die Idee, das gesamte Schießpulver der Stadt hier einzulagern – zumal der
Blitzableiter noch nicht erfunden war. „Hier lagerten Kanonen und sechs
Tonnen Schwarzpulver“, sagt Bischop. Er zeigt auf ein zwischen den
Steinblöcken liegendes Relief, auf dem ein Renaissance-Mörser seine
Steinkugeln verschießt. Beide Türme fliegen im August in die Luft.
Allerdings mit fast 100 Jahren Abstand, so dass die Braut ab 1647 allein
als Witwe an der Weser stand. Bis auch sie ein Blitz entzündete.
Kräne schwenken durch die Luft, Baggerketten knirschen, Bischop muss sich
ein Ohr zuhalten, damit er den Mühlen-Experten versteht, der sich per Handy
meldet. „Es ist ein Brennmeiler, doch keine Mühle!“, klärt er den Kollegen
über den neuesten Stand auf, während er zwischen den frisch gegossenen
Fundament-Stützen des Neubaus umhertigert. Einige der Erdbohrer haben sich
in die Stadtmauer gefräst, die den Pulverturm mit den anderen Befestigungen
verband. „Das ist das Schicksal der Archäologen“, sagt Bischop: „Was er
ausgräbt, ist danach meistens kaputt.“
Jetzt aber schnell zurück zum Ziegelmeiler. Im Laufen hebt Bischop noch
rasch eine Scherbe auf, schön sieht sie aus, mit gelben Streifen und grünen
Punkten. „1600 und ein paar Tage“, sagt Bischop beiläufig, und:
„Werra-Keramik“. Schon wieder klingelt sein Handy. In Windeseile hat
Bischop eine Spezialfirma organisiert, die auf 3-D-Aufnahmen von Gebäuden
spezialisiert ist. Der Brennofen wird am Montag in eine Laserwolke gehüllt,
die jeden Millimeter der Oberfläche erfasst. So entsteht ein
dreidimensionales Modell der Anlage. „Digital haben wir sie dann gerettet“,
sagt Bischop.
Der Übertrag in eine virtuelle Wirklichkeit mag der Wissenschaft genügen.
Und: Allein die An- und Abfahrt der Fundamentbohrer, deren Einsatz sich
verzögert, erklärt der Architekt, kostet einen fünfstelligen Betrag.
„Dennoch“, sagt eine junge Frau am Bauzaun: „In spätestens 20 Jahren
bereuen wir’s, wenn das hier weggerissen wird.“
24 Aug 2012
## AUTOREN
Henning Bleyl
Henning Bleyl
## TAGS
Bremen
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